KULTURTIPPS
Comedy-Serienkunst über das Familienleben Legendäre Platte: Glenn Gould in Moskau Dennis Lehane und der Sog der Mafia
TV-Serie Es gibt wenige Fernsehserien, die Familienleben so wahrhaftig abbilden wie „Modern Family“. 188 Folgen über die Sippe, als deren Patriarch Ed O‘Neill auftritt (viele kennen ihn als Al Bundy), gibt es bereits. Netflix hat nun Staffel sechs im Programm, und alle, die darauf Zugriff haben, sollten sich Episode 16 ansehen: große Comedy-Serienkunst. Claire Dunphy, dreifache Mutter, sitzt am Flughafen Chicago fest und hat 20 Minuten Zeit, bis sie ins Flugzeug nach L.A. muss. Sie schaut heimlich in den Facebook-Account ihrer halbwüchsigen Tochter, und da steht, die Tochter habe gestern geheiratet. Die folgenden 20 Minuten lang sieht man ausschließlich den Monitor von Claires Computer, an dem sie versucht, ihre Tochter zu erreichen und der rätselhaften Verheiratung nachzugehen: SMS-Attacken, FaceTimeAnrufe, Google-Suchanfragen. Alles in Echtzeit. Sehr authentisch, sehr lustig. Philipp Holstein Klassik Eine der klügsten Musikkritiken, die je über Glenn Gould geschrieben wurden, war 1957 in der „Prawda“zu lesen. „Seine seltene Virtuosität und sein Klangspektrum, das von ätherischer Zartheit bis zu ungewöhnlicher, aber nie grober Kraft reicht, sind vollständig seiner kreativen Vorstellung untergeordnet.“Das war die Wahrheit. Moskau war aus dem Häuschen über das Spiel des kanadischen Pianisten; Kollegen wie Swjatoslaw Richter saßen im Saal, hatten Tränen in den Augen oder schrien sich die Kehle wund vor Begeisterung.
Interessant ist, dass die „Prawda“ausschließlich über Goulds Aufführung von Bachs „Goldberg-Variationen“schrieb. Dass er auch Bergs Klaviersonate op. 1 gespielt hatte, die Variationen von Webern sowie Kreneks 3. Klaviersonate, blieb unerwähnt. Staatlicher Bann nannte Musik der Zweiten Wiener Schule „formalistisch“. So kam es, dass die Zuhörer am 12. Mai 1957 im Saal des Moskauer Konservatoriums mit einem Ohr im Gefängnis saßen – diese Musik durften sie unter Strafe nicht hören. Und dann sagte Gould im Konzert über die Webern-Variationen: „Übrigens muss ich Sie bitten, mein Spiel zu entschuldigen. Ich habe dieses Stück seit zwei Jahren nicht mehr geübt.“Dass er es per- Literatur Er gilt als glänzender Kenner von Mafia-Strukturen, und in einem literarischen Kolossalakt hat er das kriminelle und halbseidene Milieu mit allen schillernden Seiten und blutigen Abgründen gezeichnet. Jetzt geht die Geschichte um die Bostoner Familie Coughlin, deren jüngster Sohn Joe in Florida eine beispiellose Verbrecher-Karriere hingelegt hat, ihrem Ende entgegen. In „Am Ende einer Welt“sieht sich Coughlin, der längst zurückgezogen lebt und sich nach dem Tod seiner Frau seinem Sohn Tomas widmet, einer Todesankündigung ausgesetzt, die sein Weltbild ins Wanken bringt. Lehane beschreibt das mit einer soghaften Energie; wer als Leser schon bei „Shutter Island“den Nervenkitzel an seinem eigenen Herzschlag spürte, der wird in „Am Ende einer Welt“(das es jetzt als Taschenbuch gibt) erst aus der Hand legen, wenn sich der Nebel um Prophezeiungen und albtraumhaften Visionen endlich gelichtet hat. Elektrisierend! w.g. fekt beherrschte, können wir jetzt auf dem legendären Mitschnitt nachprüfen, der in neuer Digitalisierung beim Label Urania (bei Klassik Center Kassel) vorliegt.
Vor allem die Berg-Sonate hat Gould nie wieder so ergreifend, so flammend bewegt, so überrumpelnd offensiv gespielt wie damals. Nach der Pause trug das Konsequenzen bei Musik von Bach, auf die mancher im Saal sich klammheimlich gefreut hatte. Die Freude wich neuerlicher Atemlosigkeit. In drei Sätzen aus der „Kunst der Fuge“wurden die Fugenthemen zu Elementarteilchen, die sich der formenden Magie eines Virtuosen beugten, aber nie verschwanden. Goulds Witz war an diesem Abend derart infernalisch, dass er im Contrapunctus 4 ein Tempo riskierte, das zunächst an offenen Nonsens grenzte, aber die thematischen Verläufe wundervoll transparent hielt. Dass auch Goulds Abend in Leningrad (mit Beethovens 2. Klavierkonzert) mitgeliefert ist, ist famos. w.g.