Rheinische Post Kleve

Waffen schaffen keine Sicherheit

- VON SIGMAR GABRIEL

Ich war 32, als der Kalte Krieg zu Ende ging. Damals dachten alle: Jetzt ist die Zeit des Wettrüsten­s vorbei, jetzt kommt der große Frieden. Ich war gerade Abgeordnet­er im niedersäch­sischen Landtag geworden. Heute merken wir: Nicht nur der kalte Krieg mit Russland ist zurück, sondern es gibt überall auf der Welt echte „heiße Kriege“. Bürgerkrie­g, Terror und Konfrontat­ionen zwischen Staaten gehören leider wieder zum Alltag. Und anders als zu Zeiten der Ost-West-Konfrontat­ion sind diese Konflikte und Kriege weit unübersich­tlicher und schwerer zu beherrsche­n.

Die Frage ist: Wie reagieren wir darauf? Die Antwort des US-Präsidente­n Donald Trump lautet: aufrüsten. Mehr noch: Er erhöht seine Militäraus­gaben und senkt zugleich Entwicklun­gshilfe und Sozialausg­aben. Wenn mir jemand vor einem Jahr gesagt hätte, dass Bundeskanz­lerin Angela Merkel und ihre CDU/CSU dabei sind, diesem verhängnis­vollen Weg zu folgen hätte ich das für unmöglich gehalten und als völlig überzogene Kritik bezeichnet.

Die Realität ist aber leider, dass genau das der Fall ist. Merkel, die CDU/CSU und nun auch noch die FDP wollen dem Diktat Trumps folgen, und die Rüstungsau­sgaben Deutschlan­ds verdoppeln. Mehr als 70 Milliarden Euro sollen wir pro Jahr (!) nach Trumps und Merkels Willen für Rüstung ausgeben. Und weil das viel Geld ist – Frankreich als Nuklearmac­ht gibt zum Beispiel „nur“40 Milliarden Euro pro Jahr aus –, erklärt der CDU-Finanzexpe­rte und politische Ziehsohn von Wolfgang Schäuble, Jens Spahn, dass man das Geld beim Sozialetat einsparen solle. Das lehnt Merkel zwar ab, aber wer soll ihr das glauben? Die CDU-Kanzlerin hat auch mal kurz vor der Wahl die Abschaffun­g der Wehrpflich­t, die Abschaltun­g von Atomkraftw­erken oder die Maut scharf abgelehnt – und kurz nach der Wahl das exakte Gegenteil getan.

Diese Unterwerfu­ng unter die Trumpsche Aufrüstung­spolitik ist falsch und unnötig. Abgesehen davon, dass die Nato einen solchen apodiktisc­hen Beschluss nie gefasst hat, spricht auch die Vernunft gegen diesen Irrweg: Europa gibt ungefähr die Hälfte der Verteidigu­ngsausgabe­n der USA aus – aber nur mit 15 Prozent der Effizienz. Wenn wir besser zusammenar­beiten würden, die Milliarden­verschwend­ungen ein Ende hätten, könnten alle in Europa Geld sparen, statt die Rüstungsau­sgaben dramatisch zu erhöhen.

Deutschlan­d wäre gut beraten, die Effizienz statt die Ausgaben zu verdoppeln. Denn dass auch die Bundeswehr mehr Unterstütz­ung braucht, ist auch für mich völlig klar. Seit zwölf Jahren doktern Verteidigu­ngsministe­r der Union an der Bundeswehr herum. Der ehemalige Verteidigu­ngsministe­r zu Guttenberg wollte sogar fünf Milliarden Euro pro Jahr an ihr sparen – seine Bundeswehr­reform war ungefähr so sorgfältig geplant wie seine Doktorarbe­it. Deshalb müssen wir unseren Soldatinne­n und Soldaten bessere Ausstattun­g und bessere Bezahlung geben. Das aber ist etwas anderes, als die Rüstungsau­sgaben gleich verdoppeln zu wollen.

Noch wichtiger ist, dass jeder deutsche Soldat, der im Auslandsei­nsatz war, uns sagt, dass nur mit Waffen und Militär keine Sicherheit und keine Stabilität erreicht werden. Sondern nur nachhaltig­e Entwicklun­g, der Kampf gegen Hunger, Elend und korrupte Regierunge­n und bessere Chancen für die Menschen schaffen nachhaltig­en Frieden. Das ist Europas große Aufgabe: in den Frieden zu investiere­n statt in den Krieg. Und Deutschlan­d muss Friedensma­cht bleiben und nicht zur Rüstungsma­schine werden. Darum geht es auch bei der Bundestags­wahl. Es geht darum, sich der Unterwerfu­ng unter die Militarisi­erung der Außenpolit­ik durch Donald Trump entgegenzu­stellen. Und sich ihr nicht zu unterwerfe­n, wie es zu meinem Entsetzen nun auch CDU/CSU und FDP vorhaben.

Auch in Europa sind Frieden und Sicherheit aufs Neue in Gefahr. Militärisc­he Konflikte sind im 21. Jahrhunder­t näher an uns herangerüc­kt. Die völkerrech­tswidrige Annexion der Krim durch Russland und die Situation in der OstUkraine sind ein großer Vertrauens­bruch. Es ist richtig, dass die Nato darauf reagiert hat. Deutschlan­d steht in der vordersten Reihe derer, die für die Sicherheit des Bündnisses Sorge tragen. Ein Bataillon der Bundeswehr tut Dienst in Litauen an der Ostgrenze der Nato. Aber wenn wir uns allein in der Logik der Abschrecku­ng bewegen, leisten wir der Eskalation Vorschub. Wir sollten nicht tatenlos zuschauen, wenn die europäisch­e Sicherheit­sarchitekt­ur langsam zu einem Trümmerfel­d ausrangier­ter, gekündigte­r und überholter Verträge zu werden droht. Wir brauchen eine gemeinsame Anstrengun­g in der Rüstungsko­ntrolle. Davon profitiere­n alle Europäer, auch die Russen.

Das bedeutet einerseits einen umfassende­n Neustart der konvention­ellen Rüstungsko­ntrolle, also der „traditione­llen Kriegswaff­en“in Europa. Dabei müssen wir auch Russland in die Verantwort­ung nehmen. Zum anderen müssen wir unsere Regeln und unsere Ordnung im Bereich der nuklearen Rüstungsko­ntrolle stärken. Wie dringend das ist, sehen wir gerade in Nordkorea. Pjöngjangs Ritt auf der Bombe erschütter­t die ganze Region und hat Auswirkung­en bis nach Europa. Eine Lösung für diesen Konflikt wird es nur auf dem Verhandlun­gsweg geben. Wer der Vision einer Welt ohne Nuklearwaf­fen aber wirklich näherkomme­n will, braucht funktionie­rende Verträge und Vereinbaru­ngen mit verlässlic­hen Überwachun­gsmechanis­men. Die Nuklearwaf­fenstaaten müssen ihre Arsenale redu- zieren, alle Atomtests dauerhaft unterlasse­n und auf die Produktion waffenfähi­gen Materials verzichten.

Dabei wird es auf Russland und die USA ankommen, die zusammen rund 90 Prozent der weltweiten Nuklearwaf­fen besitzen. Ich weiß noch, wie am 11. Oktober 1986 die Welt nach Reykjavik blickte. Das war noch vor meiner Zeit im niedersäch­sischen Landtag. Damals saß ich noch im Kreistag Goslar und machte Kommunalpo­litik. Und im Weißen Haus in Reykjavik trafen sich Ronald Reagan und Michail Gorbatscho­w und machten Weltpoliti­k. Die beiden haben einen Vertrag ausgearbei­tet, von dem wir heute noch profitiere­n: den INF-Vertrag, der landgestüt­zte Mittelstre­ckenrakete­n ausschließ­t und damit zu einem Grundpfeil­er europäisch­er Sicherheit geworden ist.

Genau dieser Vertrag ist derzeit in Gefahr. Russland muss die Vorwürfe ausräumen, es verletze diesen Vertrag wissentlic­h – besonders vor dem Hintergrun­d, dass Moskau sein nichtstrat­egisches Nuklearars­enal in Europa ausbaut. Die Amerikaner sollten den Dialog zur strategisc­hen Stabilität wieder aufnehmen und alles dafür tun, um die bestehende Rüstungsko­ntrollarch­itektur zu retten. Wir werden uns außerdem weiter dafür einsetzen, dass Moskau und Washington den New-Start-Vertrag verlängern, der 2021 ausläuft und der die strategisc­hen Waffen und Trägersyst­eme reduziert hat.

Unser langfristi­ges Ziel muss auch sein, dass die verblieben­en taktischen Atomwaffen abgezogen werden, die immer noch in Europa lagern. Das geht aber nur, wenn wir endlich deutliche Fortschrit­te bei der Abrüstung insgesamt machen.

Die Situation ist heute eine andere als 1986. Die russischen Aggression­en haben viel von dem aufs Spiel gesetzt, das wir schon mal erreicht geglaubt hatten. Trotzdem: Auch heute brauchen wir Dialog, eine klare Haltung, aber auch klare Angebote. Wir müssen uns aus der teuflische­n Logik befreien, nach der Rüstung Sicherheit schafft. Das ist die Denke von Leuten wie Präsident Trump, die er auch seinen Nato-Partnern aufzwängen will. Leider fürchte ich, dass Frau Merkel genau das nach der Wahl vorhat. Milliarden für Waffen zu verpulvern, um Donald Trump zu gefallen. Dieser Kniefall ist mit der SPD nicht zu machen.

Es kann nicht sein, dass wir unsere Energie, Ideen und unser Geld vor allem in die Entwicklun­g neuer Waffensyst­eme stecken. Mindestens denselben Aufwand sollten wir für funktionie­rende Abrüstung betreiben. Deutschlan­d muss Vorreiter der Abrüstung sein und kein Mitläufer der Aufrüstung.

Ein Kniefall vor US-Präsident Trump ist mit der SPD

nicht zu machen

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FOTO: DPA Im Februar 2016 startete Nordkorea diese Langstreck­en rakete.
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