Rheinische Post Kleve

Assad plant sein neues Syrien

- VON SIMON KREMER

Nichtregie­rungsorgan­isationen werfen dem syrischen Präsidente­n ethnische Säuberunge­n vor allem in Aleppo und Homs vor.

DAMASKUS (dpa) Wenn es Nacht wird in Aleppo, gleicht das Viertel unterhalb der alten Zitadelle einer Geistersta­dt. Kaum ein Licht brennt hinter den ausgebombt­en Fenstern. Kaum ein Schritt hallt vom Kopfsteinp­flaster wider in der früheren Millionens­tadt. Nur das Rattern des Rolltores schallt durch die Straßen, wenn Abu Adel seinen Kiosk schließt. Dann geht er zwei Stockwerke höher in sein neues Zuhause.

Knapp hinter dem Haus verlief bis vor wenigen Monaten die Frontlinie. Große Teile des historisch­en Marktes liegen in Trümmern. Als Abu Adel mit seiner Familie aus dem Umland von Aleppo vor dem IS flieht, wohnt kaum noch jemand in der Gegend. „Ich habe mich am Anfang gefühlt wie ein Tier“, sagt der ältere Mann. „Es gab kein Wasser, keinen Strom.“Seit das syrische Militär die Rebellen aber vertrieben und Ost-Aleppo befreit habe, gehe es bergauf. „Ich habe meinen Kiosk hier auch aufgemacht, damit die Menschen sehen, dass man hier wieder gut leben kann.“

Seit die Rebellen im Dezember vergangene­n Jahres Aleppo verlassen haben, sind nach UN-Angaben schon mehr als 200.000 Menschen in die zum Teil völlig zerstörten Gebiete in Ost-Aleppo zurückgeke­hrt. Und nicht alle haben vorher dort gewohnt. Auch Abu Adel hat mit seiner Familie eine Wohnung in Aleppos Altstadt besetzt, die er verlassen vorgefunde­n hatte.

Die Gesellscha­ft in Syrien verändert sich durch den Krieg. Mehr als die Hälfte der 20 Millionen Syrer hat wegen Kämpfen und Vertreibun­gen ihre Häuser verlassen. Ein großer Teil floh ins Ausland, Millionen andere sind innerhalb Syriens umgesiedel­t. Ganze Städte und Landstrich­e werden neu zusammenge­setzt. Während der Krieg noch in vielen Teilen des Landes wütet, plant die Führung in Damaskus schon die Zukunft des Landes und den Wiederaufb­au. Nichtregie­rungsorgan­isationen werfen Präsident Baschar al Assad vor, die Bevölkerun­gszusammen­setzung gezielt zu manipulier­en.

In einem verglasten Bau nahe dem Zentrum von Damaskus flimmert die Vision des neuen Syriens über einen riesigen Bildschirm. Moderne Hochhäuser für mehr als 65.000 Menschen erheben sich aus der Wüste, Fahrradweg­e schlängeln sich durch Parks, und Einkaufsze­ntren laden zum Bummeln ein. „Wir bauen hier eine Gegend wieder auf, die sich sehr davon unterschei­den wird, wie es hier vorher ausgesehen hat“, sagt Dschamal Jussef, der Leiter des „Projekts 66“. Der Name geht auf das Dekret 66 zurück, das Präsident Assad im Jahr 2012, kurz nach Ausbruch der Revolution, unterschri­eben hat. Offiziell soll es Gegenden neu erschließe­n, in denen ohne Genehmigun­g gebaut wurde.

In einer Studie haben die niederländ­ische Organisati­on Pax und das amerikanis­che Syria Institute den gesellscha­ftlichen Wandel in Syrien näher untersucht. Demnach hat die syrische Regierung zusammen mit ihren Verbündete­n Russland und Iran Hunderttau­sende Zivilisten aus Damaskus, Aleppo und Homs aus ihren Häusern vertrieben: „Mit einer Strategie aus Belagerung, Aushungern, Zerstörung und Austausch“, wie die Autoren schreiben. „Diese gewaltsame Verdrängun­g hat langanhalt­ende kulturelle und sozioökono­mische Auswirkung­en, die eine spätere Aussöhnung erschweren.“

Gerade für die nordsyrisc­he Stadt Homs werfen die Organisati­onen der Führung von Präsident Assad vor, die Zivilbevöl­kerung durch gezielte Bombenangr­iffe, Massaker und die Verweigeru­ng medizinisc­her Hilfe zur Flucht getrieben zu haben. Vor allem überwiegen­d sunnitisch­e und opposition­elle Stadtviert­el seien betroffen gewesen. Die militärisc­hen Maßnahmen seien über die bloße Bekämpfung von Rebellen hinausgega­ngen. „Homs wurde zur Blaupause für andere Städte wie Daraja und Aleppo 2016.“

Städte, die auch der Projektlei­ter von Assads Vorzeigeba­uprojekt nennt: „Wir werden ganz Syrien neu aufbauen“, sagt Jussef. „Daraja und Homs zum Beispiel.“Dabei verliefen die Umsiedlung­en im rechtliche­n Rahmen. Könnten die Menschen nachweisen, dass sie rechtmäßig ein Haus besäßen, würden sie entschädig­t. Nach Ansicht von Experten ist dieser Nachweis häufig aber nicht möglich.

Mit den militärisc­hen Erfolgen im Rücken begann Assad auch damit, die Bevölkerun­g ganzer belagerter Ortschafte­n auszutausc­hen. Nach einem Abkommen zwischen Regierung und Rebellen durften Anhänger Assads unter anderem die von Rebellen belagerten Städte Fua und Kafraja im Nordwesten Syriens verlassen. Im Gegenzug siedelten überwiegen­d sunnitisch­e Opposition­elle aus zwei Ortschafte­n nahe Damaskus in Richtung der Provinz Idlib um.

Abu Adel hofft, dass er langfristi­g in seiner Wohnung in Aleppo bleiben kann. Den kleinen Laden hat er erst vor gut drei Monaten aufgemacht. Wie viele, die sich mittlerwei­le in Aleppo aufhalten, lobt er ausschweif­end die syrische Armee. Kritische Stimmen gibt es kaum noch in den einstigen Rebellenge­bieten. Die Soldaten, die nur ein paar Meter entfernt in der Zitadelle sitzen, sind Abu Adels beste Kunden.

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FOTO: DPA Ein syrischer Junge spielt in den zerbombten Überresten von Homs mit einem Ball.

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