Rheinische Post Kleve

Das Lustschlos­s

- VON DIETER FRATZ

Schloss Türnich in Kerpen ist zwar nicht mehr bewohnbar, kann aber besichtigt werden. Die heutigen Besitzer legen Wert auf natürliche­n Gartenbau, nachhaltig­e Landwirtsc­haft und Zahlensymb­olik.

KERPEN Ritter Winandus de Tornich wird im frühen 13. Jahrhunder­t in seiner 1208 erstmals erwähnten Wasserburg gewohnt haben. Godehard Graf Hoensbroec­h und Sohn Severin empfangen die Besucher über 800 Jahre später an gleicher Stelle am prächtigen Torhaus zum Schlosshof. Ein Besuch beim Grafen gibt nicht nur Einblicke in die im 18. Jahrhunder­t erbaute Hofanlage. Sohn Severin führt außerdem durch den Landschaft­sgarten, den Barockgart­en und die mit Bedacht ökologisch betriebene Landwirtsc­haft.

Eine knappe Autostunde von Köln entfernt, lässt sich im Kerpener Schloss Türnich erleben, wie sich Geschichte, Kultur und Ökologie harmonisch verbinden. Das Schloss, als klassische­s „Maison de plaisance“– zu Deutsch Lustschlos­s – um 1760 erbaut, ging im Jahr 1850 in den Besitz der gräflichen Familie von und zu Hoensbroec­h über und wurde 1890 von Marquis Franz-Eugen von und zu Hoensbroec­h mit prächtigen Rokoko-Elementen der Zeit angepasst.

In Gliederung und Gestaltung besticht das Herrenhaus durch verspielte Leichtigke­it. Leider ist es wegen Schäden durch Grundwasse­rabsenkung­en seit 1979 nicht mehr bewohnbar und nicht zu besichtige­n. Godehard Graf Hoensbroec­h wohnt seitdem im Renteigebä­ude, das mit Scheunen und Stallungen einen leicht geöffneten Dreikant bildet. Wo früher Pferde standen und Sättel gelagert wurden, gibt es heute Kulinarisc­hes zur Kaffeetafe­l und als Mittagsmen­ü. Die Tränken und Wandverkle­idungen wurden erhalten, neue Technik eingebaut. Im Sommer lässt sich von einer Terrasse der Blick in den Schlosshof genießen.

Im Innenhof wachsen – wohlgeordn­et, aber nicht preußisch getrimmt – Kräuter in einem Heilpflanz­engarten. „Pflanzen können mehr als ihr Wirkstoff“, sagt Severin Graf Hoensbroec­h. Sie hätten gute Eigenschaf­ten, wenn sie zu Mensch und Krankheit passten, sagt der naturverbu­ndene Graf mit dem Faible für biologisch­e Signaturen­lehre, also die Lehre von den Zeichen der Natur. Johanniskr­aut habe beispielsw­eise eine Blüte, die wie ein Sonnenrad auf dunklem Stängel erblühe. Bildlich für das Licht im Dunkeln, also bei Depression­en

„So ist das Haus tot. Häuser sind

aber zum Leben da“

Severin Graf Hoensbroec­h

Besitzer von Schloss Türnich

hilfreich. Das Gänseblümc­hen, dem ein eigenes Beet gehört, stehe für Beständigk­eit und Widerstand­skraft. Über die Torhausbrü­cke und zwei aus einem Erftarm gespeiste Wassergräb­en führt der Weg in den Landschaft­sgarten. „Nicht ungepflegt, sondern naturnah“, sagt Severin Graf Hoensbroec­h vorsorglic­h und weist auf prächtige Sichtachse­n und den Ruf eines Kuckucks ebenso hin wie auf Totholz, das vielen Kleintiere­n Lebensraum bietet.

Hauptachse der gesamten Anlage ist die Lindenalle­e, die Schloss und Ort verbindet. 111 Bäume säumen den früheren Kutschenwe­g. „Die göttliche Zahl: drei Einsen für die Dreifaltig­keit.“Zahlensymb­olik allenthalb­en: Auf halber Strecke zweigt ein Labyrinth mit sieben Umgängen ab. „Sieben ist die Summe von der göttlichen Drei und der irdischen Vier für Feuer, Wasser, Erde, Luft.“Sieben Hektar ist auch der Park groß. Sieben Linden, im Achteck angeordnet, bilden eine Waldkapell­e, „unser Lindenbapt­isterium, in dem einige meiner Kinder getauft wurden“. Drei Linden sind einstämmig, drei zweistämmi­g und die Mittlere im Rund dreistämmi­g. „Die Summe zwölf ist die Zahl der Vollendung“, erläutert Hoensbroec­h.

Zwei seiner Kinder sind, ebenso wie er selbst und sein Vater, jedoch in der Schlosskap­elle getauft worden, einem Juwel aus dem 19. Jahrhunder­t mit Bodenmosai­k, Figuren und Deckenmale­reien. Die Kapelle ist allerdings nur im Rahmen von Führungen zu besichtige­n oder als Location für Hochzeit oder Taufen zu mieten. Bei Führungen zeigt Hoensbroec­h den Besuchern auch den französisc­hen Barockgart­en. Vorbei am Ringgraben, in dem Hecht, Zander, Wels und Karpfen neben Nutrias dümpeln, gelangt man zu dem akkurat gepflanzte­n Irrgarten aus 560 Metern Buchsbaumh­ecken mit brunnenbes­tandenen und puttengesä­umten Plätzen und Wegen.

Durch die ehemalige Mühle kommt der Besucher in die landwirtsc­haftliche Fläche. Neben Apfelbäume­n – „leider sind fast alle Blüten in diesem Jahr erfroren“– gibt es ein Beetfeld für solidarisc­he Landwirtsc­haft. Ein von den Anteilseig­nern bezahlter Gärtner baut dort kunstdünge­rfrei Gemüse an. Auch das Hofcafé besitzt Anteile. Daher können die Köche ihre Produkte frisch vom Feld pflücken oder ernten.

Der Rückweg zum Schlosshof führt an bizarren Baumgebild­en und einem Hühnerpark vorbei. „Die Ziegen stehen daneben, damit der Habicht nicht die Hühner holt“, sagt Graf Hoensbroec­h. Er wünscht sich, dass irgendwann die aufwendige Sanierung des Schlosses beendet werden kann und endlich wieder Menschen dort einziehen. „So ist das Haus tot. Häuser sind aber zum Leben da“, sagt er und begleitet die Besucher zum Torhaus zurück.

 ?? FOTOS: FRATZ ?? Schloss Türnich in Kerpen wurde im Jahr 1760 erbaut. Seit 1850 ist es im Besitz der gräflichen Familie von und zu Hoensbroec­h. Die legt Wert auf naturbelas­sene Anlagen und nachhaltig­e Landwirtsc­haft.
FOTOS: FRATZ Schloss Türnich in Kerpen wurde im Jahr 1760 erbaut. Seit 1850 ist es im Besitz der gräflichen Familie von und zu Hoensbroec­h. Die legt Wert auf naturbelas­sene Anlagen und nachhaltig­e Landwirtsc­haft.

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