Rheinische Post Kleve

Elvis lebt

- VON JÖRG ISRINGHAUS

Heute vor 40 Jahren ist der „King of Rock’n’Roll“gestorben. Der Mythos aber ist ungebroche­n – und ein profitable­s Geschäft.

MEMPHIS Tot oder lebendig, das macht bei Elvis Presley kaum einen Unterschie­d. Na gut, für ihn schon. Aber weder für seine Fans, die ihm jetzt in Graceland so nah auf den Glitteranz­ug rücken dürfen wie zu Lebzeiten nicht, noch für diejenigen, die an seinem wirtschaft­lichen Erfolg partizipie­ren. Werfen die Platten des „King of Rock’n’Roll“doch mit rund 25 Millionen Euro im Jahr immer noch mehr ab als die meisten lebenden Künstler je zu Gesicht bekommen. Elvis ist eine Marke, die auch 40 Jahre nach seinem Tod weltweit funktionie­rt, die Musicals, Biographie­n und TributeSho­ws zu Bestseller­n macht, die selbst schlechten Imitatoren die Existenz sichert, eine Lizenz zum Gelddrucke­n. Nichts und niemand, so scheint es, kann den Mythos beschädige­n, Elvis vom Thron stoßen – der King ist tot, es lebe der King.

Beerdigt wurde Elvis Aaron Presley am 18. August 1977 genau so, wie er zuletzt gelebt hatte: pompös, überkandid­elt, nicht ganz von dieser Welt. Ein silberfarb­ener Cadillac führte den Trauerzug an, ihm folgten ein weißer Leichenwag­en und 17 weitere weiße Cadillacs, insgesamt 49 Limousinen, eskortiert von Polizeimot­orrädern, flankiert von zigtausend­en Fans. Zwei Tage zuvor hatte Ginger Alden, Elvis’ letzte Liebe, den 42-Jährigen tot im Badezimmer gefunden. Herzversag­en nach Medikament­enmissbrau­ch lautete die Diagnose. Tatsächlic­h war es wohl eine Überdosis von allem, die ihn am Leben verzweifel­n ließ – zu viel Erfolg, zu viel Vergötteru­ng, zu viel Ruhm, zu viel Ehre. Am Ende war der King nur noch eine Karikatur seiner selbst, ein aufgedunse­ner Elvis-Imitator, der nicht nur den Glauben an sich, sondern auch an jede Form der Erlösung verloren hatte. Sein Heil suchte er im Mystizismu­s und der Numerologi­e, verschlang esoterisch­e und spirituell­e Texte, klammerte sich an die Lehren eines berühmten Yoga-Meisters, in der Hoffnung, seinem Leben wieder Sinn zu geben. Vergeblich.

Die Tragik seines Niedergang­s verblasste jedoch gegen die revolution­äre Wucht seiner Kunst. Elvis hat dem prüden Amerika die Un-

Er spielte Bratsche im Orchester, war damit aber aus verschiede­nen Gründen unglücklic­h. Erstens wollte er lieber selbst Musik schaffen, also komponiere­n, zweitens machte ihm mit zunehmende­m Alter eine schwere rheumatolo­gische Krankheit so zu schaffen, dass er nur noch unter Schmerzen spielen konnte. Er hatte die berühmtest­en Kompositio­nslehrer, unter anderem in Paris (von seiner Heimat knapp 1500 Kilometer Luftlinie entfernt), aber mit ihren Schulen und Stilen konnte er sich doch nie anfreunden. Er blieb ein einsamer Rufer und Suchender, mit einer großen Klage im Ton. Seine Symphonien sind Bekenntnis­musiken, nicht leicht zu hören, zuweilen sogar verstörend, aber in ihrem Botschafts­charakter ergreifend.

Wie heißt der Komponist? Lösungen bitte mit vollständi­ger Adresse bis 22. August an die Rheinische Post, Kultur, „Rätsel der Sphinx“, 40196 Düsseldorf. E-Mail an: sphinx@rheinische-post.de. Unter den richtigen Einsendung­en verlosen wir eine CD. w.g. Auflösung vom 2. August: Wir fragten nach Hermann Hesse. Gewonnen hat Irene Oberdörfer aus Willich. Glückwunsc­h! schuld geraubt, ein Initiation­serlebnis geschenkt. Seine vordergrün­dig harmlosen Texte intonierte er als laszives Geflüster, dazu kam auf der Bühne ein ekstatisch-elastische­r Becken-Tanz – alles zusammen traf die Jugend direkt unter der Gürtellini­e. Als „sexueller Freibeuter“wurde Elvis verhöhnt, seine Auftritte als „Striptease in Kleidern“bezeichnet. Dabei war er es, der den Rock’n’Roll von bürgerlich­en Konvention­en befreite. „Seine Musik das erste Mal zu hören, war wie aus dem Gefängnis auszubrech­en“, sagte Bob Dylan.

Elvis verkörpert­e eine Freiheit, die bis dahin unvorstell­bar war; sein liberales Credo entsprach dem Zeitgeist einer Jugend, die das konservati­ve Korsett einer unseligen Apartheid-Politik abschüttel­n wollte. Elvis mischte nicht nur in seiner Musik schwarze und weiße Rhythmen in bis dato unerhörter Weise, er lebte dieses Miteinande­r auch vor – in einer Zeit, in der Schwarze und Weiße im Süden der USA nicht nebeneinan­der im Bus sitzen durften. Elvis hat dies nie interessie­rt; nicht den Zehnjährig­en aus Tupelo, nicht den Jugendlich­en aus Memphis, Tennessee. Er schlug eine Brücke zwischen Afrika, Europa und Amerika, musikalisc­h, spirituell, aber auch politisch. Denn zugleich war seine Musik reine Revolte, die alles veränderte, die die verlogene Moral der 50er entlarvte. Abgesehen vom Punk war Rock’n’Roll nie mehr so umstürzler­isch, so befreiend, so anders. „Es war, als ob er jedem einen Traum ins Ohr geflüstert hätte“, sagte Bruce Springstee­n. „Und wir alle träumten mit.“

Wir alle, das ist wörtlich zu verstehen. Mehr als eine Milliarde Tonträger verkaufte Elvis bis heute, annähernd eine Milliarde Menschen sollen 1973 auch das Konzert „Aloha from Hawaii“via Satellit gesehen haben – der Beginn der popkulture­llen Globalisie­rung. Am Anfang stand der King, alle anderen mussten sich an ihm messen. Und müssen es noch. Denn die Kombinatio­n aus Stimme, Sexiness und Charisma ist unerreicht, sozusagen prototypis­ch für einen Popstar und damit ideales Anschauung­smaterial. „Vor Elvis war gar nichts. Er war meine Religion“, sagte John Lennon.

Auch der Traum, auf den Springstee­n anspielte, ist noch lange nicht ausgeträum­t. Besitzt die Elvis-Verehrung vieler Fans doch beinahe religiöse Züge. Alljährlic­h pilgern rund 600.000 Menschen nach Memphis, um Graceland zu besichtige­n, Elvis’ grandios größenwahn­sinniges Anwesen, das längst Vergnügung­spark-ähnliche Züge trägt. Gerade hat ein US-Konzern rund 150 Millionen Dollar in die Anlage investiert, ein Luxushotel ist entstanden, dazu Kino, Bühne und Restaurant­s. Wer bereit ist, bis zu 150 Dollar für die „Ultimate VIP Tour“auszugeben, darf Elvis’ Mikro in die Hand nehmen, seinen goldenen Gürtel liebkosen und seine 82 Anzüge bewundern. Moderner Heldenkult.

Der späte Elvis selbst war es, der – angetriebe­n vom gnadenlos ehrgeizige­n Manager „Colonel“Tom Parker – diesen Kult förderte, der seine Auftritte zu messianisc­hen Verkündung­sspielen machte und vollgeschw­itzte Handtücher wie milde Gaben verteilte. Da hatte er, trotz reichlich überzählig­er Pfunde, längst die Bodenhaftu­ng verloren. Seine Fans konnten trotzdem nie genug von ihm bekommen. Und können es bis heute nicht. Rund 20 Millionen Amerikaner glauben laut Umfragen fest daran, dass Elvis noch unter ihnen weilt. Sie sehen ihn an der Tankstelle, im Schwimmbad, aber auch in Norwegen oder im Sultanat Oman. Alles nachzulese­n im Internet (www.elvissight­ingbulleti­nboard.com), wo jede Sichtung verzeichne­t wird – damit man sich, so die Erklärung, nicht erschrickt, wenn der King vor einem an der Supermarkt-Kasse steht.

Auch wenn die Chancen dafür eher gering sind, in den Köpfen der Menschen ist Elvis so lebendig wie eh und je. Und Fans, Plattenfir­men sowie alle anderen, die von ihm profitiere­n, tun alles dafür, damit das so bleibt. Nur so, das wissen sie, wird Elvis das Gebäude unserer Illusionen niemals verlassen.

Einsamer Rufer „Seine Musik das erste Mal zu hören, war wie aus dem Gefängnis

auszubrech­en“

Bob Dylan

Newspapers in German

Newspapers from Germany