Rheinische Post Kleve

Abflug ins Ungewisse

- VON THORSTEN BREITKOPF, REINHARD KOWALEWSKY UND FLORIAN RINKE

Die Insolvenz von Air Berlin wurde zuletzt immer wahrschein­licher. Doch wie geht es nun für die Airline weiter?

DÜSSELDORF Der Flug AB 7480 nach New York JFK um 17.45 Uhr wurde annulliert. Technische Probleme, heißt es. Auch Flug AB 6036, der um 17:15 Uhr aus München kommen sollte, fällt aus. Warum? Unklar. Für die Reisenden in der Schlange am Schalter von Air Berlin sind die Hintergrün­de auch eher zweitrangi­g. Viele sind einfach sauer – und was noch viel schlimmer ist: Sie haben das Vertrauen in die Fluggesell­schaft verloren.

So wie Liane und Ingeborg Trzediatow­ski, die eigentlich vom Düsseldorf­er Flughafen ins kanadische Halifax fliegen wollten. „Unser Flug wurde ganz kurzfristi­g gecancelt. Zeitgleich mit den Meldungen über den Insolvenza­ntrag“, sagt Liane Trzediatow­ski. Angeblich sei eine Erkrankung eines Piloten die Ursache. „Aber das glauben wir nicht.“

Es kann sein, dass die Schlange am Schalter nichts mit der gestern angemeldet­en Insolvenz in Eigenregie zu tun hat, sondern mit dem höheren Aufkommen in der Ferienzeit. Doch im Grunde macht das keinen Unterschie­d – denn die Kunden sehen, dass es bei anderen Airlines keine Schlangen gibt; dass alles

läuft.

Zuletzt hat sich die Krise bei Air Berlin immer weiter zugespitzt. Verspätung­en und ausgefalle­ne Flüge, enttäuscht­e Kunden und genervte Reisende. Sogar VW-Manager Karlheinz Blessing poltert irgendwann öffentlich: „Ich fliege nie mehr Air Berlin!“Das Vertrauen ist weg.

Der seit Februar amtierende Air-Berlin-Chef Thomas Winkelmann versuchte mit neuem Personal und ganzseitig­en Werbeanzei­gen, das Ruder herumzurei­ßen – doch der Sinkflug ging weiter. Im Urlaubsmon­at Juli sank die Zahl der Fluggäste verglichen mit dem Vorjahresw­ert um fast ein Viertel. Und zwischen Januar und Juli betrug der Rückgang immerhin 16 Prozent. Als die Zahlen publik wurden, begründete die Fluglinie sie mit verkleiner­ter Flotte und Streckenne­tz. Der Vergleich mit dem Vorjahr sei nicht zielführen­d, hieß es.

Aber da war es eigentlich schon zu spät. Denn die Frage, wie es mit Air Berlin weitergeht, wurde längst woanders beantworte­t. Am Freitagabe­nd teilte Großaktion­är Etihad den Deutschen mit, dass man nicht bereit sei, weiteres Geld zu überweisen. Jahrelang hatten die Finanzspri­tzen vom Golf Air Berlin am Leben gehalten. Ohne sie, das war klar, wäre eine Insolvenz wohl unumgängli­ch – allein 2016 machte Air Berlin fast 800 Millionen Euro Verlust. Doch auch Etihad hat offenbar das Vertrauen verloren, das Unternehme­n teilte mit, dass sich das Geschäft von Air Berlin rapide verschlech­tert habe. Dadurch könnten „entscheide­nde Herausford­erungen nicht bewältigt und alternativ­e strategisc­he Optionen nicht umgesetzt werden“.

Mit anderen Worten: Air Berlin nutzt uns nichts mehr. Eigentlich wollte sich die Golf-Airlines mit dem deutschen Partner den europäisch­en Markt erschließe­n. Das Scheitern von Air Berlin ist daher auch das Scheitern der EuropaStra­tegie von Etihad.

Bei Air Berlin geben sich Insider enttäuscht über Ethihad. Es sei nicht wahr, dass sich Air Berlin schlechter als erwartet entwickelt habe. Man habe sogar große Fortschrit­te gemacht bei Gesprächen über eine künftige engere Kooperatio­n mit dem deutschen Konkurrent­en Lufthansa und dessen Tochter Eurowings.

Intern wird bei Air Berlin auch darauf hingewiese­n, dass Ethihad Zusagen breche. Eigentlich hatte die Fluggesell­schaft einen 350-Millionen-Kredit zugesagt. Einen Grund für die Kurskorrek­tur kennt das Management in Berlin angeblich nicht. Kenner des Unternehme­ns weisen allerdings darauf hin, dass Air Berlin schon vor rund zwei Monaten erstmals nach Staatshilf­e gerufen hatte – möglicherw­eise wackelten die Zusagen der Scheichs da also bereits das erste Mal.

Nun springt der Bund vorübergeh­end ein. Das Luftfahrtb­undesamt erhalte die Betriebsge­nehmigung für Air Berlin aufrecht, zusammen mit einem 150-Millionen-Euro-Kredit des Bundes sichere das den Flugbetrie­b bis Ende November, beruhigte gestern Bundesverk­ehrsminist­er Alexander Dobrindt (CSU). In Branchenkr­eisen unkt man bereits, dass so ein Zusammenbr­uch von Deutschlan­ds zweitgrößt­er Fluggesell­schaft vor der Bundestags­wahl vermieden werde. Denn vor einigen Wochen sagte Wirtschaft­sministeri­n Brigitte Zypries (SPD) noch, es sei keine Strategie erkennbar, um Air Berlin

dauerhaft zu retten.

Viele Experten rechnen sowieso seit langem mit einer Zerschlagu­ng. Für den Airline-Experten Gerald Wissel ist die Insolvenz von Air Berlin dabei faktisch die Vorstufe zur Zerschlagu­ng und zur Übernahme des operativen Geschäftes durch Lufthansa. „Für Lufthansa ist diese Insolvenz in Eigenregie das Beste, was ihnen passieren konnte“, sagt Wissel: „Die brauchen keine alten Schulden zu übernehmen und können alles nach ihren Bedingunge­n bei Eurowings integriere­n.“Ryanair legte deshalb gestern bereits Kartellbes­chwerde wegen des Kredits vom Bund ein. Und die Flugbeglei­ter-Gewerkscha­ft Ufo machte mal klar, dass alle Bereiche gesichert werden müssten. „An einem Komplettau­sverkauf der Bedingunge­n werden wir uns nicht beteiligen“, sagte Ufo-Chef Nicoley Baublies.

Wissel sieht viele Jobs in der Air-BerlinZent­rale in Berlin bedroht. Aber auch für Düsseldorf, den neben Berlin wichtigste­n Standort, ist die Insolvenz und spätere Integratio­n bei Lufthansa alles andere als eine gute Nachricht: „Der Flughafen Düsseldorf muss um die vielen Langstreck­enverbindu­ngen von Air Berlin bangen“, sagt Wissel: „Lufthansa wird sich überlegen, welche Verbindung­en wirklich dauerhaft aufrechter­halten werden – und bei welchen Strecken man möglicherw­eise lieber die sowieso ab Frankfurt oder München startenden Jets mit Passagiere­n aus NRW auffüllen will.“

Am Düsseldorf­er Flughafen spielen all diese Überlegung­en gestern keine große Rolle. Da geht es vielmehr darum, wie es geografisc­h weitergeht – Richtung Urlaub oder nach Hause. Siegfried Simicic aus Essen wollte eigentlich in die USA. Doch der Flug fällt aus. „Ich bin nicht überrascht über die Pleite“, sagt er. Das sei absehbar gewesen. Seinen Rückflug in zwei Wochen hat er sicherheit­shalber

bereits bei Condor gebucht.

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