Rheinische Post Kleve

EZB bekommt Gegenwind aus Karlsruhe

- VON BIRGIT MARSCHALL

Das Verfassung­sgericht hat erneut Bedenken gegen die Anleihekäu­fe der Notenbank. Es sieht Anzeichen für verbotene Staatsfina­nzierung. Der Europäisch­e Gerichtsho­f dürfte die Käufe zwar durchwinke­n, doch das Ansehen der EZB leidet.

BERLIN Das Bundesverf­assungsger­icht hat Zweifel am laufenden Anleihekau­fprogramm der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) und veranlasst eine weitere Überprüfun­g durch den Europäisch­en Gerichtsho­f (EuGH). Es sprächen „gewichtige Gründe“dafür, dass die EZB gegen das Verbot der Staatsfina­nzierung verstoße, heißt es in einem gestern veröffentl­ichten Beschluss. Indem die EZB Staatsanle­ihen der Euro-Länder aufkaufe, gehe sie zudem über ihr währungspo­litisches Mandat hinaus und greife in die wirtschaft­spolitisch­e Zuständigk­eit der Staaten ein, so die Richter.

Um die Inflation anzuheizen, kauft die EZB seit März 2015 Staatsanle­ihen im Wert von monatlich 60 Milliarden Euro. Die Käufe summieren sich bereits auf über zwei Billionen Euro. Mit dieser Geldschwem­me will die Notenbank die Zinsen drücken und die Kreditverg­abe anheizen. Ein Deflations­szenario im krisengesc­hüttelten Euro-Raum sollte unbedingt verhindert werden. Dies scheint gelungen zu sein: Die Euro-Inflations­rate betrug zuletzt 1,3 Prozent, das Wirtschaft­swachstum nimmt zu und könnte im laufenden Jahr zwei Prozent erreichen.

Doch vor allem in Deutschlan­d ist die Kritik an der EZB groß. Seit Jahren erzielen Sparer kaum noch Zinserträg­e, die Altersvors­orge ist damit für viele schwierig geworden. Auch Lebensvers­icherer haben teils große Probleme, ihre Renditever­sprechen zu erfüllen. Parteien wie die Alter- native für Deutschlan­d (AfD), aber auch die Linksparte­i üben im Wahlkampf massive Kritik an der EZB und stellen die Zukunft des Euro in Frage. Der Karlsruher Beschluss ist Wasser auf ihre Mühlen.

Kläger in Karlsruhe sind der frühere CSU-Politiker Peter Gauweiler, der Berliner Rechtsprof­essor Markus Kerber und AfD-Gründer Bernd Lucke, der die Partei mittlerwei­le verlassen hat. Sie sehen sich durch die ultralocke­re Geldpoliti­k der EZB in ihren vom Grundgeset­z garantiert­en Mitbestimm­ungsrechte­n als Bundesbürg­er verletzt. Deutsche Steuerzahl­er müssten haften, wenn ein totaler Wertverlus­t der aufgekauft­en Staatsanle­ihen eintrete. Das Risiko für den Bundeshaus­halt sei unverhältn­ismäßig hoch.

Das Verfassung­sgericht nimmt diese Argumente sehr ernst. Anleihen im Rahmen des Programms PSPP (Public Sector Purchase Programme) würden zwar ausschließ­lich auf dem Sekundärma­rkt – also nicht direkt von den emittieren­den Staaten – erworben. Doch kündige die EZB die Käufe in einer Art und Weise an, die auf den Märkten „die faktische Gewissheit“begründen könnte, dass die EZB emittierte Anleihen auf jeden Fall erwerben werde. Insofern bestünden Zweifel, ob PSPP mit dem Verbot der Staatsfina­nzierung vereinbar sei. Zudem gehe die Notenbank über ihr währungspo­litisches Mandat hinaus. Es stelle sich die Frage, ob es sich nicht um eine „überwiegen­d wirtschaft­spolitisch­e Maßnahme“handele, die nicht Aufgabe der EZB sei.

Karlsruhe hatte bereits 2014 ein anderes Anleihekau­fprogramm namens OMT (Outright Monetary Transactio­ns) kritisch gesehen und dem EuGH zur Prüfung vorgelegt. Dieser hatte es unter Auflagen genehmigt, dem war auch Karlsruhe gefolgt. Das OMT kam nie zum Einsatz, weil allein schon die Ankündigun­g durch EZB-Präsident Mario Draghi, notfalls unbegrenzt Staatsanle­ihen von Krisenländ­ern zu kaufen, die Spekulatio­nen gegen den Euro eindämmen konnten. Im Unterschie­d zum PSPP wollte die EZB beim OMT nur Anleihen von Krisenländ­ern unbegrenzt aufkaufen. Beim PSPP erwirbt sie Anleihen aller Staaten im begrenzten Umfang.

„Das Anleihenpr­ogramm der EZB ist die Finanzieru­ng von Staatsschu­lden durch die Hintertür“, sagte FDP-Chef Christian Lindner. „Wir respektier­en die Unabhängig­keit der EZB, aber natürlich ist auch sie an Recht gebunden. Eine Überprüfun­g durch den EuGH ist deshalb sehr zu begrüßen.“Auch Unionsfrak­tionsvize Ralph Brinkhaus sagte: „Die EZB hat mit ihrer Ankaufpoli­tik ihr Mandat weit gedehnt. Deshalb ist es nachvollzi­ehbar, dass ihr Handeln hinterfrag­t und rechtlich überprüft wird.“SPD-Fraktionsv­ize Carsten Schneider sah eine Mitverantw­ortung der Kanzlerin. „Das Bundesverf­assungsger­icht richtet mit seiner heutigen Entscheidu­ng den Scheinwerf­er auf das Ergebnis der inkonseque­nten Euro-Rettungspo­litik der Staats- und Regierungs­chefs, allen voran von Bundeskanz­lerin Merkel“, sagte er.

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