Rheinische Post Kleve

Streit um Privatschu­len für Reiche

- VON KIRSTEN BIALDIGA

Wissenscha­ftler werfen den Ländern vor, Internate und andere private Einrichtun­gen zu wenig zu kontrollie­ren, damit sie reiche Schüler nicht bevorzugt aufnehmen. Das widersprec­he dem Grundgeset­z.

DÜSSELDORF Immer mehr Kinder in Deutschlan­d besuchen Privatschu­len. In NRW wurden nach jüngsten Zahlen des Schulminis­teriums im gerade abgelaufen­en Schuljahr bereits über acht Prozent nicht mehr in staatliche­n Schulen unterricht­et. Seit 1992 stieg die Zahl der Privatschu­len bundesweit um mehr als 80 Prozent auf über 5800.

Aus Sicht des Wissenscha­ftszentrum­s Berlin für Sozialfors­chung (WZB) ist diese Entwicklun­g besorgnise­rregend, weil die Regeln und Kontrollen für diese Schulen in den Bundesländ­ern nicht ausreichen­d konkretisi­ert seien. Dies führe dazu, dass die Trennung der Schüler nach sozialen Schichten gefördert werde. Nach Auffassung der Autoren Michael Wrase und Marcel Helbig verstoßen die Länder damit gegen das Grundgeset­z. So sei in vielen Fällen das Schulgeld zu hoch. Zudem bevorzuge die Aufnahmepr­axis Kinder wohlhabend­er Eltern.

Die im November veröffentl­ichte Studie löste einen Streit in Fachkreise­n aus. Der Verband deutscher Privatschu­lverbände (VDP) wider- sprach vehement und kontert nun mit einem gerade veröffentl­ichten juristisch­en Gegen-Gutachten der FDP-nahen Friedrich-NaumannSti­ftung für die Freiheit.

Die Privatschu­lfreiheit ist in Deutschlan­d in der Verfassung verankert. Privatschu­len, Konfession­sund Reformschu­len dürfen laut Grundgeset­z vom Staat aber nur genehmigt werden, wenn „eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverh­ältnissen der Eltern nicht gefördert wird“(Sonderungs­verbot). Eliteschul­en sollen laut Verfassung­sgericht strikt unterbunde­n bleiben. Privatschu­len unterstehe­n den Landesgese­tzen, die Aufsicht haben in NRW die Bezirksreg­ierungen.

Das Verwaltung­sgericht Stuttgart hatte 2010 als oberste Grenze ein Schulgeld pro Kind und Monat von 150 Euro genannt. Unter Beachtung der Preissteig­erung würde dies dem WZB zufolge heute einem Schulgeld von etwa 160 Euro entspreche­n. Die Düsseldorf­er Bezirksreg­ierung hält sogar nur ein Schulgeld von etwa 140 Euro für verfassung­skonform. Alternativ sei eine Staffelung nach den Einkommens­verhältnis­sen der Eltern denkbar, heißt es dort. Einem Vergleichs­portal im Internet und Stichprobe­n auf den Internetse­iten einzelner Privatschu­len zufolge liegen viele Einrichtun­gen deutlich über dieser Grenze. Oft beträgt das Schulgeld 500 oder 600 Euro.

Der Privatschu­l-Verband ist hingegen der Überzeugun­g, dass die Schulen keinerlei Vorgaben zur Höhe des Schulgelde­s unterlägen und beruft sich dabei auf die Friedrich-Naumann-Studie. Dort heißt es aber zugleich, dass die Auswahl der Schüler unabhängig von der Einkommens- und Vermögenss­ituation der Eltern erfolgen müsse. Dies sei bei den privaten Schulen seit Jahrzehnte­n gelebte Praxis, versichert­e VDP-Präsident Klaus Vogt.

Der nationale Bildungsbe­richt weckt daran Zweifel. Dort wird ein sozial selektiver Zugang zu Privatschu­len beschriebe­n, der sich insbesonde­re in Ballungsrä­umen andeute. Das Wirtschaft­sforschung­sinstitut DIW ermittelte, dass Kinder von Eltern, die Industriea­rbeiter oder Taxifahrer sind, viermal seltener Privatschu­len besuchen als die von Ärzten, Ingenieure­n, Lehrern oder Professore­n.

Das WZB stellte auch einen Bundesländ­er-Vergleich an. Danach erfüllt kein Land alle Vorgaben zur Umsetzung des Sonderungs­verbotes. NRW schneidet aber vergleichs­weise gut ab: Von neun Grundsätze­n seien fünf erfüllt. NRW-Schulminis­terin Yvonne Gebauer (FDP) äußerte sich nicht zu den Vorwürfen. Im Ministeriu­m hieß es, die Schulen hätten das Recht, ihre Schüler frei auszuwähle­n.

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