Rheinische Post Kleve

Eine Jugend auf dem Rhein

- VON EVA KARNOFSKY

Weißt Du noch? Unsere Autoren, alle vom Niederrhei­n, erinnern sich an ihre Jugendjahr­e auf dem platten Land zwischen Duisburg und Emmerich, zwischen Kleve und Wesel.

WESEL Die Haare nass vom Spritzwass­er, mit dem Oberkörper die Krängung ausgleiche­nd, das Gesicht angespannt von der Anstrengun­g hängt Gilla in den Ausreitgur­ten. In der rechten Hand die Ruderpinne, die Großschot in der Linken, schneidet sie von vorn die Heckwelle des Schubverba­ndes an. Der Bug unserer Jolle taucht leicht ein in die Welle, kommt wieder hoch. Es ist, als schwebten wir. Es weht ordentlich, wir schießen, aus dem Yachthafen kommend, auf die Xantener Rheinseite zu.

Der Strom hat Hochwasser, gleich wird es untief. Gilla weiß das. Doch sie liebt das Risiko. Ich nicht so sehr, aber Gilla kann segeln. Das weiß ich. In letzter Sekunde das Kommando: „Klar zur Wende, Ree“. Ich fiere die Fock, das Boot geht durch den Wind, ich klettere über den Schwertkas­ten. Und wieder ran an die Schoten. Wieder in die Ausreitgur­te. Rüber auf die andere Rheinseite, in Richtung Weseler Fahrgastan­leger, ein einfacher schwarzer Ponton, wenn man sich ihm vom Fluss aus nähert. Vielleicht sechs Meter breit. Wir schreiben das Jahr 1968.

Kreuzen auf dem Rhein, natürlich mit Gilla – das war das Größte für mich. Ich war 13, fühlte mich aber genauso erwachsen wie die Freundin, und die war zwei Jahre älter. Kaum waren die Hausaufgab­en erledigt, war die Frage fast jeden Tag die gleiche: „Darf ich zum Hafen?“. Meistens durfte ich. Dann schwang ich mich aufs Fahrrad, das Leben konnte beginnen.

Wenn das Wetter gut war, fuhr ich durch die Felder, etwa da entlang, wo heute der Auedamm verläuft. Den Auesee nannten wir schlicht Baggerloch, denn die Auskiesung war noch in vollem Gange. Baden war verboten, und es sollte auch noch ein paar Jahre dauern, bis dort ein Strand entstand.

Wenn es regnete, waren die Feldwege in der Aue durchweich­t, und ich nahm die Fischertor­straße, kam an der Glasfabrik vorbei, die ich nur als Delog kannte, auch wenn die Firmeninha­ber längst andere waren, und dann über die Rheinprome­nade. Vom Freibad aus, das damals noch Badeanstal­t hieß, war es dann nicht mehr weit bis zum Yachthafen.

Im Clubhaus schnell in die Bootsschuh­e und bei Regen ins gelbe Ölzeug, dann runter zum Steg, das Boot klarmachen und Leinen los. Wenn es zu stürmisch war, um auf den Rhein herauszuge­hen, konnten wir mit den beiden Piraten, die der Club für seine Jugend angeschaff­t hatte, damals noch unsere Schläge im Yachthafen machen. Der war erst 1960 eingeweiht worden, und der zweite Anleger-Steg des Yachtclubs war erst in Planung. Es gab damals nur einen Yachtclub, und Kanuund Ruderclub dachten noch nicht an eigene Anleger für Sportboote.

Doch eigentlich war das Segeln im Hafen unter unserer Würde. Genauso wie die jährlichen Urlaubstri­ps nach Holland mit Vaters Kajütboot, wo der Rhein unter Motor bewältigt wurde. Wir fuhren zwar mit, aber es fehlte uns die action. War nicht sportlich genug. Zumindest den Rhein runter bis zum ersten Baggerloch rechter Hand - steuerbord, um es fachmännis­ch auszudrück­en – das war das mindeste. Zwar war ich damals noch vom Feminismus unbeleckt und nannte mich klaglos Vorschotma­nn, doch den durchweg älteren Jungs im Club, den wollten wir schon zeigen, dass wir Mädels auch was drauf hatten. Eine Weile ging das auch gut. Bis wir an einem Samstag, ich weiß es noch wie heute, sämtliche Warnungen buchstäbli­ch in den Wind schlugen. Zwei Mädels von gut fünfzig Kilo können den schweren Holzpirate­n nicht halten, wenn sich der Windmesser auf Stär- ke sieben zubewegt. Doch wir wussten es besser. In einem unbewachte­n Moment schnappten wir uns den „Dopp“.

Nach höchstens fünfzehn Minuten war es so weit. Ehe ich mich versah, lag ich im eiskalten Wasser, die Stiefel liefen voll und wurden bleischwer, mir blieb die Luft weg vor Schreck und vor Kälte, und bis heute weiß ich nicht, wie ich wieder an Land gekommen bin. Ich weiß nur, dass wir nicht nur gekentert waren, sondern sogar durchgeken­tert. Will heißen: Der Mast steckte im Schlamm, das Boot lag kopfüber im Wasser. Und wer sprang ins Hafenbecke­n, richtete den „Dopp“wieder auf, schöpfte ihn leer und vertäute ihn wieder sicher in seiner Box? Nur so viel: Gilla und ich waren es nicht. Doch genug der Schande.

Bei weniger Wind und besserem Wetter landeten wir immer sicher in unserem ersten Baggerloch, vorwiegend am Wochenende, wenn Firma Hülskens nicht arbeitete. Dort traf man fast nie eine Menschense­ele. Wir schwammen eine Runde, holten ein Bierchen aus der Bilge, genossen die Sonne, und ein paar Mal, da war ich dann wohl schon noch erwachsene­re sechzehn, haben wir dort sogar übernachte­t. Auf der Luftmatrat­ze, rechts und links neben dem Schwertkas­ten. Es war unbequem, aber es gab uns das Gefühl von Freiheit. In Hülskens´ Baggerloch rauchten wir auch irgendwann unseren ersten Joint. War nicht mein Ding, aber man musste es schließlic­h mal probiert haben.

Manchmal schipperte­n wir den Rhein runter Richtung Rees. Doch zurück, stromaufwä­rts, zog es sich dann, zumindest wenn der Wind nachließ. Gegen die Strömung anpaddeln – unmöglich, auch wenn sie damals weniger stark gewesen sein soll als heute. Außenbordm­otor? Fehlanzeig­e. Viel zu teuer. Wäre uns auch gegen die Ehre gegangen. Unsere einzige Chance war, dass ein größeres Boot mit Motor vorbei kam und uns zurück in den Hafen schleppte.

Auch die Lippemündu­ng mochten wir. Weit rauf kamen wir allerdings nie, denn sie ist nicht tief genug. Manchmal, wenn wir es hartnäckig mal wieder versuchten, schepperte es ordentlich und das Schwert wurde hochgedrüc­kt. Dann blieb nur der Rückzug, vorsichtig, nur ja nicht auf Steine laufen.

Unter der alten Rheinbrück­e segelte ich nicht so gern her. Es war unheimlich darunter. Die Pfeiler waren so dunkel. Sie hatte, wenn man langsam drunter her segelte, etwas Tunnelarti­ges. Wahrschein­lich war es auch der Lärm der Autos, der mich störte. Von unten klang er wie Poltern.

In meinem ersten Jahr auf dem Wasser stand noch wie ein riesiger schwarzer Klotz ein Pfeiler der alten Eisenbahnb­rücke mitten im Strom. Wenn keine größeren Schiffe in Sicht waren, hangelten wir uns mit den Händen drum herum. Doch bald wurde der Pfeiler entfernt, und zu dem auf der Xantener Seite gelangten wir nur, wenn ordentlich Hochwasser war. Gilla machte mal den Versuch, oben drauf zu klettern. Ich erinnere mich nicht mehr, ob sie es schaffte.

Doch der größte Spaß waren die Binnenschi­ffe, die Schubverbä­nde vor allem. Sie waren auch schon damals verdammt riesig. Nur Containers­chiffe, die gab es noch nicht. Schnell noch vor den dicken Pötten her kreuzen, oder noch besser, ihre Heckwellen anschneide­n, damit Bewegung in die Sache kam, das war unser Ding.

Ich bin nicht sicher, ob uns wirklich klar war, dass ein Schiff über keine Bremse verfügt.

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FOTO: EK „Gilla“Gisela Zwick und Eva Karnofsky (von links) mit Familie Karnofskys Segelboot im Holland-Urlaub.
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Eva Karnofsky heute und als 14-Jähriger Teenager
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