Rheinische Post Kleve

Russlands Muskelspie­le

- VON HOLGER MÖHLE G R A FI K : C. SC H NE TT LE R

BERLIN Der Name des Manövers ist Programm: „Zapad“, zu Deutsch: „Westen“. Und der Westen reagiert alarmiert. Seit Wochen massieren Russland und Weißrussla­nd Truppen für ihre militärisc­he Großübung „Zapad 2017“, die bis an die Grenze des Baltikums und somit an Nato-Territoriu­m heranreich­t. Schon in früheren Jahren beobachtet­e die Nato mit Argwohn, wenn die Großmacht Russland ihre Streitkräf­te beim jährlichen Herbstmanö­ver aufmarschi­eren ließ.

Doch in diesem Jahr wird Moskau vermutlich alles, was der Westen bislang über Großmanöve­r jenseits der Nato-Ostflanke kannte und über Satelliten­aufnahmen auch zu sehen bekam, in den Schatten stellen. Insgesamt bis zu 100.000 Soldaten lassen die Machthaber in Moskau und Minsk, Wladimir Putin und Alexander Lukaschenk­o, ins Manöver ziehen. Mit einem Kniff: Russland und Weißrussla­nd achten peinlich genau darauf, offiziell nicht gegen Abmachunge­n im Wiener Dokument über vertrauens­bildende Maßnahmen der Organisati­on für Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa (OSZE) zu verstoßen.

Offiziell haben sie 7100 weißrussis­che und 3100 russische Soldaten für „Zapad 2017“angemeldet und bleiben damit unter der Schwelle von 13.000 Soldaten, ab der sie Beobachter­n der OSZE Zugang zu dem Manöver gewähren müssten.

Zwar hat Moskau die Allianz beim Nato-Russland-Rat über das Großmanöve­r informiert. Doch NatoGenera­lsekretär Jens Stoltenber­g betonte nach dem Treffen auch, dass zahlreiche Nato-Staaten die von Moskau genannten Truppenzah­lern von „Zapad 2017“mit Nachdruck hinterfrag­t hätten. Die Nato jedenfalls geht – gestützt auf Erkenntnis­se der Geheimdien­ste wie auch auf Satelliten­aufnahmen über Truppenbew­egungen – von einem russisch-weißrussis­chen Großmanöve­r mit bis zu 100.000 Soldaten aus. Für die Nato besonders alarmieren­d: Mit „Zapad 2017“rückt Moskau militärisc­h nah an die Grenze des Baltikums heran und lässt dort auch gut ausgebilde­te und gut ausgerüste­te Großverbän­de in Weißrussla­nd, auf der Halbinsel Kola wie auch in der russischen Enklave Kaliningra­d üben. Damit kommt die sogenannte Lücke von Suwalki ins Spiel, benannt nach einer Grenzstadt im Nordosten Polens. Die „Suwalki-Lücke“gilt als Achillesfe­rse der Nato. Vom russischen Kaliningra­d bis nach Weißrussla­nd sind es an dieser Stelle nur 70 Kilometer über Nato-Gebiet, das die dort in der Zahl weit überlegene­n russischen Truppen binnen weniger Tage einnehmen könnten, befürchten vor allem die Nato-Part- ner Litauen, Lettland und Estland. Theoretisc­h ein ideales Testfeld für Putin, den Willen der Nato auf ihren Beistandsp­akt zu testen – mindestens jedoch geeignet, die Menschen im Baltikum hochgradig zu verunsiche­rn. Zwar hat die Nato in Folge der völkerrech­tswidrigen Annexion der zur Ukraine gehörenden Halbinsel Krim seine Speerspitz­e an der eigenen Ostflanke verstärkt. Doch die multinatio­nalen Bataillone in Estland, Litauen, Lettland und Polen könnten dort gegen

Lettland

Litauen Kaliningra­d (RUS)

Polen die russische Übermacht vermutlich nicht sehr lange dagegenhal­ten. Die Balten plagt im Nachgang der Übung noch eine andere Sorge. Litauen befürchtet, Russland könnte womöglich auf die Idee kommen, einen Teil seiner bei der Übung eingesetzt­en Truppen auch nach dem Manöver gleich an der Grenze zu lassen. Doch davon geht die Nato nicht aus. Besonders zwiespälti­g dabei: Russland und Weißrussla­nd betonen den defensiven Charakter

Estland

Russland

WeißRussla­nd

Ukraine „Zapad 2017“. Wie das geht? Dem Szenario des Großmanöve­rs haben sie eine westliche Aggression oder Interventi­on unterstell­t. Die von Moskau und Minsk befehligte­n Truppen versuchten dabei dann also nichts anderes, als die eigene territoria­le Integrität wiederherz­ustellen.

Das Vorgehen wiederum löst im Westen weitere Sorgen aus. Denn das angeblich als defensiv angelegte Manöver „Zapad 2017“könnte eines Tages auch sehr schnell das bei der Übung trainierte Offensivpo­tenzial entfalten. Man weiß ja nie, an welchem Zipfel des Bündnisgeb­ietes Putin womöglich noch Interesse findet. Eine instabile Situation im Baltikum? Auf nach Westen – „Zapad“.

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FOTO: PICTURE ALLIANCE Ein russischer Kampfpanze­r auf dem Truppenübu­ngsplatz Sergeyevsk­y im östlichen Militärdis­trikt.

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