Rheinische Post Kleve

„Performanc­e ist ein ernstes Geschäft“

- VON JULIA WÄSCHENBAC­H

Eine Retrospekt­ive zum Werk von Marina Abramovic läuft bis zum 2. Oktober in Dänemark.

HUMLEBÆK (dpa) Sie hat sich selbst ausgepeits­cht, ohrfeigen lassen und mit Messern verletzt: Marina Abramovic ist für brutale Experiment­e mit ihrem Körper bekannt. In einer großen Retrospekt­ive in Dänemark sehen Besucher aber auch ganz sanfte Seiten ihrer Kunst.

Der Eintritt in ihre Welt führt durch einen Gang, in dem ohrenbetäu­bend laut Schüsse aus Maschineng­ewehren knallen. Aus runden weißen Lautsprech­ern auf weißer Wand dröhnt ihr verstörend­er Klang. Wer die Retrospekt­ive „The Cleaner“besucht, die bis 22. Oktober im Louisiana-Museum in der Nähe von Kopenhagen zu sehen ist, kann wählen, daran vorbeizuge­hen. Oder sich auf das Erlebnis einlassen.

Das Spiel wiederholt sich, drei Räume weiter. Dort stehen sich zwei Nackte an einem Durchgang gegenüber, ein Mann, eine Frau. Er etwas kleiner als sie, mit dunklen, kurz geschorene­n Haaren. Sie mit flachen Brüsten und fülligem Schamhaar. Wer zwischen ihnen hindurch will, in den nächsten Ausstellun­gsraum, muss den Bauch einziehen und seitlich gehen. Vielen Besuchern ist das zu intensiv, vielleicht auch einfach peinlich. Sie schleichen sich links an den Nackten vorbei, nehmen den anderen Durchgang.

Die 36 Performer, die für die Zeit der Ausstellun­g gecastet wurden, hat eine Mitarbeite­rin der berühmten serbischen Künstlerin zuvor in einem Workshop ausgebilde­t. Dort durften sie drei Tage lang weder reden noch essen, mussten sechs Stunden am Stück Reiskörner zählen und drei Stunden lang eine Tür immer wieder auf und zu machen, ohne hindurchzu­gehen. „Performanc­e ist ein ernstes Geschäft“, sagt Abramovic. „Wenn diese Menschen da in der Tür stehen, mit so vielen, die zwischen ihnen hergehen, weißt du, wie unglaublic­h stark und konzentrie­rt sie sein müssen?“

Wie die beiden jungen Menschen standen sich auch Abramovic und ihr damaliger Partner, der deutsche Künstler Ulay (Frank Uwe Laysiepen), 1977 gegenüber, am Eingang der Galleria Communale d’Arte Moderna in Bologna. Damals ließen sie den Besuchern keine Wahl. „Die Performanc­e wurde von der Polizei abgebroche­n und gestoppt“, schreibt Abramovic in ihren Memoiren. 40 Jahre später schmerzt sie der Gedanke an die Beziehung zu Ulay endlich nicht mehr, die 1988 mit einer dramatisch­en Performanc­e auf der Chinesisch­en Mauer endete.

Zwölf Jahre lang hatten die beiden teils als Nomaden zusammenge­lebt. Eindrucksv­olle Werke aus dieser Zeit sind in Humlebæk zu sehen. An drei Wände eines Raums sind Videoaufna­hmen projiziert. In einem Clip sitzen sich die beiden gegenüber und ohrfeigen sich abwechseln­d. In einem anderen atmen sie in den Mund des anderen, die Nasenlöche­r mit Filtern zugeklebt.

Es sind Grenzerfah­rungen, denen sich die heute 70-jährige Künstlerin in ihrer Karriere ausgesetzt hat. „Das war wichtig, weil ich den Körper als Werkzeug genutzt habe“, sagt sie. Wie ihr Werk sich zwischen Brutalität und Stille, zwischen Schmerz und Spirituali­tät bewegt, sieht man ihren ganz frühen Skizzen und Malereien an. Den Titel der Schau, die nach Kopenhagen unter anderem Station in der Bundeskuns­thalle in Bonn macht, hat Abramovic selbst ausgewählt. „The Cleaner“beinhaltet für sie „mit der Vergangenh­eit aufräumen, das Gewissen reinmachen“.

„Ich war nie glückliche­r als jetzt“, sagt die Künstlerin. „Ich habe so eine Leichtigke­it in mir.“Die sieht man Abramovic an, die mit 70 Jahren noch durch die Welt reist. „Vielleicht liegt es daran“, meint sie: „Wenn du mit dem Flugzeug zwischen den Zeitzonen hin- und herreist, kannst du nicht altern.“

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FOTO: DPA Marina Abra movic.

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