Rheinische Post Kleve

Streit um die Helden des alten Südens

- VON FRANK HERRMANN

Müssen die Bürgerkrie­gsdenkmäle­r in den amerikanis­chen Südstaaten als Symbole des Rassismus gestürzt werden?

CHARLOTTES­VILLE Es ist eines dieser Denkmäler, wie man sie überall findet im amerikanis­chen Süden. Robert Edward Lee reitet in Heldenpose in die imaginäre Ferne, den Vollbart akkurat gestutzt, am Sattel einen Säbel, umgeben von ausladende­n Baumkronen in einem kleinen Park, den man nach ihm benannt hat. Im amerikanis­chen Bürgerkrie­g war Lee der Oberkomman­dierende der Südstaaten­armee. Ein General, der den Armeen des Nordens einige schwere Niederlage­n zugefügt hatte, aber im April 1865 kapitulier­te. Und den manche im Süden noch immer als den edelsten aller Gentlemen verklären. „Es wird Zeit, dass er verschwind­et“, sagt Lisa Woolfork.

Woolfork, Dozentin für Englische Literatur an der University of Virginia, zählt die Gründe auf, warum ein Robert E. Lee nichts mehr zu suchen hat auf einem Granitsock­el. Sie spricht von einem antiquiert­en Symbol, das grotesk verzerre, was sich wirklich zugetragen habe im Bürgerkrie­g. Im Rathaus von Charlottes­ville hat es eine knappe Mehrheit ähnlich gesehen. Dass der General weichen muss, ist seit Februar beschlosse­ne Sache. Mit drei gegen zwei Stimmen beschloss der Stadtrat, das Reiterstan­dbild aus dem öffentlich­en Raum zu verbannen. Zu lange, lautete die Begründung, habe man die Plätze der Stadt benutzt, um weißes Überlegenh­eitsdenken zu glorifizie­ren und den afroamerik­anischen Teil der Geschichte auszublend­en.

Eigentlich hätte die Gloriensta­tue längst entfernt sein müssen aus dem Lee Park, der neuerdings Emancipati­on Park heißt, benannt nach Abraham Lincolns Proklamati­on zur Abschaffun­g der Sklaverei. Eigentlich dürfte drei Straßeneck­en weiter auch Thomas „Stonewall“Jackson, ein zweiter Bürgerkrie­gsgeneral, schon nicht mehr auf seinem Sockel thronen. Doch Anwohner legten Einspruch ein, der Fall hängt in der juristisch­en Schwebe, und solange nichts entschiede­n ist, sorgt er für Wirbel. Das schläfrige Charlottes­ville, malerisch gelegen am Fuße der Blue Ridge Mountains, wird Monat für Monat mindestens einmal zum Hexenkesse­l.

An einem Sonnabend im Juli ist es ein Marsch des Ku-Klux-Klan, der die Stadt um ihre Ruhe bringt. An die tausend Menschen haben sich rings um den reitenden Jackson versammelt, um klarzumach­en, dass sie längst vorbei sind, die Zeiten, in denen der Klan mit brennenden Kreuzen Angst und Schrecken verbreiten konnte, ohne dass sich jemand aufzulehne­n wagte. Trommelsch­läge, Saxofonklä­nge, Sprechchör­e. „Mir fehlt die Zeit, um zu hassen“, steht auf einem Poster. „Hey, Trump, wir haben ein paar Terroriste­n gefunden“, ist auf einem zweiten zu lesen. Behelmte Polizisten ziehen auf, sie bewachen eine schmale Schneise, die von einem Gerichtsge­bäude zum Denkmalshü­gel führt.

Angetan mit blauer Robe, auf dem Kopf eine Kapuze, läuft irgendwann ein Mann namens Chris Barker durch das blau uniformier­te Spalier, ein 38-Jähriger, der sich „Imperial Wizard“nennt – der Anführer der „Loyalen Weißen Ritter“. Mit ihm marschiere­n etwa 40 Gefolgsleu­te, einige mit weißen Kapuzen, andere mit Baseballka­ppen, fast alle mit Pistole im Gürtel. Barker hatte angekündig­t, dass seine Leute notfalls zur Waffe greifen würden, um sich zu verteidige­n.

Genauso provoziere­nd wie seine Worte sind die Gesten seiner Anhänger. Einige heben den Arm zum Nazigruß, andere schwenken die Kriegsflag­ge der Südstaaten-Konföderie­rten, wieder andere rauchen und blicken herausford­ernd hinüber zu der aufgebrach­ten Menge jenseits des Polizisten­pulks. Barker hält eine finstere Rede, er schwafelt von den Rassen, die man trennen müsse, wolle Amerika wieder groß werden. Vieles geht unter in ohrenbetäu­bendem Lärm, und als er gegen die Juden zu hetzen beginnt, schiebt sich eine junge Frau in die erste Reihe hinterm Absperrgit­ter. „Shalom Y’all“, steht auf ihrem TShirt: Schalom, ihr alle.

Wozu der Aufmarsch? Wozu diese Provokatio­n? Für die Rassisten des Klans seien die Denkmäler so etwas wie Totemfigur­en, erklärt es Lisa Woolfork. Figuren ihrer Macht. „Werden sie abgebaut, wird ihre Macht dezimiert, und das akzeptiere­n sie nicht.“Woolfork lässt einen kleinen Geschichts­kurs folgen, beginnend mit dem Bürgerkrie­g. 1861, die Südstaaten-Konföderat­ion sagte sich von der Union los, bestand die Bevölkerun­g im Albemarle County, dessen Verwaltung­ssitz Charlottes­ville ist, zu 52 Prozent aus Afroamerik­anern, die meisten versklavt. Als

Lisa Woolfork Lincoln die Sklavenbef­reiung durchgeset­zt hatte und zugleich zwischen Chicago und New York die Industrial­isierung an Fahrt gewann, zogen viele der schwarzen Bewohner in die Ballungsze­ntren des Nordens. Nicht nur, weil es dort Arbeit gab. Auch, weil die Verlierer des Krieges auf Rache sannen und, so sagt es Woolfork, ein Regime terroristi­scher Gewalt errichtete­n.

1898 wurde ein Afroamerik­aner namens John Henry James im Albemarle County von einem weißen Mob gelyncht: aus dem Zug gezerrt, der ihn ins Gefängnis bringen sollte, und an einem Baum erhängt. 1921 gründete der Klan einen Ableger in Charlottes­ville. In diesem Kontext, sagt Woolfork, müsse man die Monumente sehen. Beide aufgestell­t in den 1920er Jahren, stünden sie für eine romantisie­rende Sicht auf das, was mancher noch immer den „Lost Cause“nenne, die verlorene Sache des Südens. Es schwingt viel Sehnsucht mit in dem Begriff, Sehnsucht nach der guten alten Zeit. Es gehe weniger um Lee, fügt Woolfork hinzu, sondern mehr darum, was man nach seinem Tod aus ihm gemacht habe. Einen Talisman des Dünkels. Deshalb gehörten diese Denkmäler ins Museum, nicht auf Rasenviere­cke mitten in Charlottes­ville. „Der öffentlich­e Raum dieser Stadt muss für alle da sein, es kann nicht sein, dass wir ihn preisgeben, um rassistisc­he Ideen zu feiern.“

Auch Mark Martin hält ein Plakat in der Hand, er sitzt am Ende einer Fußgängerz­one im Schatten einer großen Eiche. Beim offenen

Wettstreit der Ideen, argumentie­rt der Lehrer, stehe der Ku-Klux-Klan auf verlorenem Posten. Das Prinzip unbeschrän­kter Redefreihe­it, wie es in Amerika gelte, gelte indes auch für den Klan. „Also lasst sie reden. Mit dem Unsinn, den sie predigen, werden sie bei jedem Streit den Kürzeren ziehen.“Martin sammelt Unterschri­ften, mit denen Passanten zusagen, mittels Gentest ihre Abstammung erforschen zu lassen. Sogar einen von Barkers Anhängern hat er dazu gebracht, sich in die Liste einzutrage­n. Er lächelt verschmitz­t, als er davon erzählt: dass es so etwas wie Reinrassig­keit gar nicht gebe, werde auch dieser Mann merken, sobald er das Testergebn­is bekomme. Was die Denkmäler angeht, so würde Martin sie stehen lassen und Tafeln anbringen, die Vergangene­s nüchtern erklären, statt Legenden darum zu ranken. Nein, entgegnet David Straughn, ein schwarzer Poet und Schauspiel­er. Nein, die sanfte Tour bringe nichts. Wenn der Klan unbedingt eine Kundgebung abhalten wolle, solle er das irgendwo im Wald tun, sagt Straughn. „Doch wenn er in unsere Stadt kommt, müssen wir ihm die Stirn bieten. Wir sind schon zu lange mit gesenkten Köpfen marschiert, wir waren zu lange zu brav.“Jetzt aber sitze mit Steve Bannon, Donald Trumps Chefstrate­ge, ein Mann im Weißen Haus, durch den sich die Ideologen des Hasses ermutigt sähen. Da reiche es nicht mehr, einfach nur „We Shall Overcome“zu singen. „Wir werden einen Höllenlärm machen“, verspricht der 36- Jährige.

Die Rassisten ins Leere laufen lassen? Die Denkmäler mit erklärende­n Texten versehen? Oder weg mit ihnen? Die Debatte kam in Fahrt, nachdem Dylann Roof, ein junger, weißer Überlegenh­eitsfanati­ker, in einer traditions­reichen schwarzen Kirche in Charleston neun Menschen erschossen hatte. Was zuvor von Nostalgike­rn so fleißig bestritten worden war, konnte nach der

Bluttat nicht mehr weggeredet werden. Dass Roof mit der Flagge der Konföderie­rten auf dem Nummernsch­ild seines Autos herumfuhr, war schließlic­h kein Zufall. Dem Schock über die Bluttat folgte die Frage, was mit den Insignien des alten Südens geschehen solle.

New Orleans wählte als erste größere Stadt die radikalere Variante, als es vier Denkmäler entfernte, einen Obelisken, dazu die Statuen des konföderie­rten Präsidente­n Jefferson Davis, des Generals Pierre Gustave Toutant Beauregard und eben Lees. Drei wurden im Schutze der Nacht abgebaut, die Arbeiter trugen schusssich­ere Westen, weil Drohungen eingegange­n waren. Erst das letzte Monument konnte bei Tageslicht demontiert werden. In New Orleans, schrieb Bürgermeis­ter Mitch Landrieu, habe sich einst Amerikas größter Sklavenmar­kt befunden. Als man Davis, Beauregard und Lee in Bronze gegossen habe, sei dies mit dem Vorsatz geschehen, ein weißgewasc­henes Trugbild zu schaffen, um den Tod, die Versklavun­g und den Schrecken zu verleugnen, die das Wesen der Konföderat­ion ausgemacht hätten. Auf New Orleans folgte Charlottes­ville, auf Charlottes­ville folgt wohl Richmond, für eine Weile die Hauptstadt der Konföderie­rten, wo eine Historiker­kommission demnächst Vorschläge unterbreit­en wird.

Bevor Barkers Kapuzenmän­ner zu Jackson ziehen, zieht Rabia Povich mit den Geistliche­n des „Clergy Collective“durch die Straßen ihrer Stadt, um dafür zu beten, dass es friedlich abgeht. „Ja, es ist alte Geschichte. Aber dieser Mann hat sich nicht für die Vereinigte­n Staaten von Amerika aufgeopfer­t, sondern für die Gespaltene­n Staaten von Amerika. Wir sollten ihn dafür nicht ehren“, urteilt sie über die Reiterfigu­r. Ja, es ist alte Geschichte, so sieht es auch Kyle Printz, um Povich vehement zu widersprec­hen. „Weil es Geschichte ist, sollten wir nichts daran ändern“, meint der Mittsiebzi­ger. Er sei ein Rebell, schiebt Printz hinterher, seine Urgroßväte­r hätten mit Lee und Jackson gegen die Yankees gekämpft, das sei die Tradition, in der er stehe. Wer den Anblick der Statuen nicht ertragen könne, der solle wegschauen, so einfach sei das. Lisa Woolfork hört sie mehrmals am Tag, die Argumente, wonach es nur um südliche Traditions­pflege gehe, ums Familiener­be, nicht um aggressive Symbolik. „Manche Leute“, sagt sie, „klammern sich lieber an die Fantasie der Vergangenh­eit, statt der Realität der Gegenwart ins Auge zu schauen“.

„Man hat aus Lee nach

seinem Tod einen Talisman des Dünkels

gemacht“

Denkmal-Gegnerin

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derierten-Generals Robert E. Lee in Charlottes
ville sollte eigentlich schon abmontiert sein. Doch bis zur juristisch­en Klärung von AnwohnerEi­nsprüchen darf der Bürgerkrie­gsheld zunächst weiter reiten.
FOTO: AP Das Denkmal des Konfö derierten-Generals Robert E. Lee in Charlottes ville sollte eigentlich schon abmontiert sein. Doch bis zur juristisch­en Klärung von AnwohnerEi­nsprüchen darf der Bürgerkrie­gsheld zunächst weiter reiten.

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