Rheinische Post Kleve

Wenn das Rote Kreuz zum Ziel der Bomben wird

- VON JAN DIRK HERBERMANN

Angriffe auf Krankenhäu­ser und Ambulanzen gehören längst zur Kriegsstra­tegie. Ganz besonders schlimm treibt es das Assad-Regime.

GENF Der Tatort war eine Gesundheit­sstation in Gambo in der Zentralafr­ikanischen Republik. Am 3. August 2017 trafen sich Ärzte, Pfleger und Rotkreuz-Helfer zu einer Krisensitz­ung. Sie debattiert­en die hoffnungsl­ose Lage für Kranke und Verletzte im Südosten des Bürgerkrie­gslandes. Dann kam der Angriff. Mindestens sechs RotkreuzMi­tarbeiter wurden getötet, möglicherw­eise fielen auch Ärzte und Zivilisten der Attacke zum Opfer. Das Rote Kreuz muss die genauen Umstände der Bluttat noch klären. Die Mörder sind nicht identifizi­ert.

Was in Gambo passierte, gehört in vielen bewaffnete­n Konflikten zum Alltag: Regierungs­truppen, Rebellen, Milizen und Terrorband­en attackiere­n gezielt Krankenhäu­ser und Ambulanzfa­hrzeuge. Sie töten absichtlic­h Ärzte, Pfleger und Patienten. „Früher war das Rote Kreuz ein Schutzzeic­hen, heute ist es eher ein Ziel für Bombardier­ungen“, warnt Paul Spiegel, Professor am Johns Hopkins Center für humanitäre Gesundheit in den USA.

Allein in den ersten drei Monaten 2017 verzeichne­te die Weltgesund- heitsorgan­isation in verschiede­nen Kriegsländ­ern 88 Angriffe auf Hospitäler, Krankenwag­en und medizinisc­hes Personal, zwei Drittel davon in Syrien. Kliniken und MedizinKon­vois wurden geplündert, Mitarbeite­r verschlepp­t. Mehr als 160 Menschen wurden getötet und verletzt. Für das Jahr 2016 erfassten die Statistike­r 302 Angriffe mit knapp 1000 Toten und Verletzten. Für 2015 zählten sie 256 Attacken mit ebenfalls fast 1000 Opfern.

„Die Dunkelziff­er liegt weitaus höher“, erklärt Ali Naraghi vom Internatio­nalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK). Der Leiter des IKRKProgra­mms zum Schutz von Gesundheit­seinrichtu­ngen betont: „Jeder Angriff auf ein Hospital oder einen Arzt ist ein Kriegsverb­rechen und ein Angriff auf die Menschlich­keit.“Naraghi erlebte selbst, wie 2005 eine Gesundheit­sstation in Sudans Darfur-Region zerschosse­n wurde. Die Station lag auf der Frontlinie zwischen Rebellen und Regierungs­truppen.

Die Attacken haben verheerend­e Konsequenz­en. „Die gesamte medizinisc­he Versorgung der Menschen in Konfliktre­gionen steht auf dem Spiel“, erklärt Bruno Jochum, Gene- raldirekto­r von Ärzte ohne Grenzen (MSF), Schweiz. Das Beispiel Kundus im Norden Afghanista­ns zeigt wieso. Weit und breit bot lange Zeit nur die dortige MSF-Klinik chirurgisc­he Eingriffe aller Art an. Die Mediziner behandelte­n Kriegsverl­etzungen, aber auch Verletzung­en durch leichte und schwere Unfälle. „Wir hatten etwa 15.000 Operatione­n pro Jahr“, sagt Jochum.

Im Oktober 2015 attackiert­en unter immer noch nicht ganz geklärten Umständen US-Jets die Klinik. Die Einrichtun­g versank in Schutt und Asche, 42 Menschen starben. Mehr als eine Millionen Menschen haben seitdem keine ausreichen­de chirurgisc­he Versorgung mehr. Im Juli 2017 eröffnete MSF in Kundus eine kleine Klinik für leichte Verletzung­en. Wann die Organisati­on so vielen Menschen helfen kann wie vor der Tragödie im Oktober 2015, ist ungewiss.

MSF-Generaldir­ektor Jochum prangert den US-Angriff auf die Klinik in Kundus als „Kriegsverb­rechen“an. Die Amerikaner hätten absichtlic­h das Feuer eröffnet. Eine Anschuldig­ung, die das US-Verteidigu­ngsministe­rium abstreitet. Eine interne Untersuchu­ng der Amerikaner kam zu dem Schluss: Der Angriff sei auf menschlich­es Versagen und Materialfe­hler zurückzufü­hren.

In den meisten anderen Fällen weisen nationale Streitkräf­te jegliche Verantwort­ung für Angriffe auf Gesundheit­seinrichtu­ngen zurück. Untersuchu­ngen stehen überhaupt nicht zur Debatte. Die Attacken sind oft Teil einer Strategie zur Niederring­ung des Feindes. „Zumal die Regierunge­n, die einen Krieg gegen den Terrorismu­s führen oder das vorgeben, tendieren dazu, das humanitäre Völkerrech­t zu missachten“, erklärt MSF-Mann Jochum. „Der Feind wird als Terrorist gebrandmar­kt und kriminalis­iert. Er verliert jeden Schutz, jegliche medizinisc­he Hilfe wird ihm verwehrt.“

Nirgendwo wurde diese Strategie rücksichts­loser verfolgt als in Syrien durch das Regime von Machthaber Baschar al Assad. „Das Assad-Regime terrorisie­rt bewusst die Menschen in den Rebellenge­bieten“, erklärt Tobias Vestner, Völkerrech­tsexperte im Genfer Zentrum für Sicherheit­spolitik. Die Angriffe auf Krankenhäu­ser sollten der Bevölkerun­g in den Gebieten der Aufständis­chen klar machen: Es gibt keinen Schutz, kein Versteck, nicht einmal in medizinisc­hen Einrichtun­gen sind die Menschen sicher. „Assad ist ein zutiefst unmenschli­cher Machthaber, der sich keinen Deut um das Schicksal seines Volkes kümmert“, sagt Vestner. Das Unbegreifl­iche: Assad ist selbst ausgebilde­ter Mediziner, ein Augenarzt.

 ?? FOTO: AFP ??
FOTO: AFP

Newspapers in German

Newspapers from Germany