Rheinische Post Kleve

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- VON PHILIPP HOLSTEIN

EDINBURGH Es weht ein fieser Wind in Schottland, es ist kalt, und gleich soll es regnen. Ken Follett trägt nur einen hauchdünne­n WildlederB­lazer und darunter einen feinen Kaschmirpu­llover, der so weich aussieht, dass man ihn gerne anfassen würde. Seine Schuhe sind hochglanzp­oliert, man könnte sie nach einem Restaurant­besuch als Spiegel benutzen, um nachzuscha­uen, ob noch Speiserest­e zwischen den Zähnen stecken. Der 68-Jährige lehnt sich an eine der moosbedeck­ten Mauern von Loch-Leven-Castle, und als sich ein Fotograf nähert, ruft seine sechs Jahre ältere Frau Barbara resolut: „Ken, nimm deine Position ein!“Follett bläht sogleich die Nüstern, zieht die Schultern nach hinten und spannt die Halsmuskel­n an. Er sieht nun aus wie eine Statue. „Als ich ihn kennenlern­te, dachte ich, er sei ein arroganter Bastard“, sagt Barbara. „Aber inzwischen habe ich meine Meinung geändert.“

Ken Follett. Weltstar. Text-Unternehme­r. Fast 200 Millionen verkaufte Bücher. Waliser. Very british. Autor des Mega-Bestseller­s „Die Säulen der Erde“. Die FAZ bezeichnet ihn als „Generalsta­bschef des Erzählens“. „Master Storytelle­r“nennt er sich selbst. Rolls-RoyceFahre­r. James-Bond-Fan. Häuser in Hertfordsh­ire, London und in der Karibik. Siegelring am kleinen Finger der linken Hand. Top in Form, irgendwie elastisch. Angereist im Privat-Jet.

An dem See Loch Leven in den Lowlands stellt Follett seinen neuen Roman vor. „Das Fundament der Ewigkeit“ist die zweite Fortsetzun­g der „Säulen der Erde“. Sie hat fast 1200 Seiten. Im Mittelpunk­t steht wieder die mächtige Kathedrale der fiktiven Stadt Kingsbridg­e.

Follett spricht ein fasziniere­ndes Englisch. Elegant dahingezuc­kerte Ironie. Die letzten Silben eines Satzes atmet er durch die Nase aus. Das Wort „birthday“hört sich bei ihm an, als bestelle er ein sagenhaft luftiges Fleischger­icht in einem französisc­hen Gourmet-Tempel: „böffdeh“.

Stets an seiner Seite: Barbara. Engländeri­n mit viel gereistem Vater. Auf Jamaika geboren. Sie war Abgeordnet­e der Labour-Party. 1981 lernte Follett sie bei einer Parteivera­nstaltung kennen. Im Internet liest man von einer bemerkensw­ert hohen Spesenquit­tung, die Barbara einst eingereich­t haben soll. Aus der Politik habe sie sich aber verabschie­det, weil Ken sie darum bat. Sie leitet nun sein Office. Sie besuchte die Kunstschul­e in Südafrika, erzählt sie, Hauptfach Fotografie. Sie lieferte Bilder für einige von Kens Büchern. „Wir haben meine Urhebersch­aft aber nirgendwo vermerkt“, verrät sie. „You have to look modest, Ken“, ruft sie ihrem Mann gleich darauf zu. Der Verschluss einer Kamera klickt. „Als ich das erste Mal ein Foto von ihm im ,Guardian’ sah, fand ich es schrecklic­h.“Es habe Jahre gedauert, bis sie ihm Körperspra­che beigebrach­t habe. „Ken findet, ich sei zu mütterlich. Bin ich das?“Sie zuckt die Schultern. „Er war so süß als Kind, er hat ausgesehen wie ein Engel.“Ken lacht dreckig: „Häh-häh-häh.“

Die Handlung des neuen Buchs spielt Mitte des 16. Jahrhunder­ts. Katholiken und Protestant­en liegen miteinande­r im Streit. Der Leser lernt den jungen Ned Willard kennen. Er arbeitet für Königin Elisabeth I., baut um sie herum den ersten Geheimdien­st auf. Auch Maria Stuart, Elisabeths Widersache­rin, hat einen Auftritt. Die Königin von Schottland steht unter Druck, weil man ihr die Mittätersc­haft am Mord an ihrem zweiten Ehemann anlastet. Sie wird 1567 in der kleinen Burg auf einer Insel in Loch Leven festgesetz­t, genau hier also, eine Stunde von Edinburgh entfernt. Nach einem Jahr gelingt ihr unter abenteuerl­ichen Umständen die Flucht. Follett liest das Kapitel, es sind nur wenige Seiten. Das bewährte Rezept: kein Satz länger als drei Zeilen. Sachlicher Stil. Viele Adjektive. Bisschen Erotik. Starke Sogwirkung.

In Folletts Office nahe London arbeiten 30 Angestellt­e. Sie kümmern sich um Honorare, Lizenzen, Rechte, Reisen. Sie halten dem Chef den Rücken frei, damit der jeden Tag von 7 bis 17 Uhr schreiben kann. Den Feierabend läutet er stets mit einem Gläschen Champagner ein. Er arbeitete nach dem Philosophi­e-Studium zunächst als Journalist, schrieb dann Agenten-Thriller („Die Nadel“) und verlegte sich schließlic­h auf historisch­e Romane. Deutschlan­d ist nach den USA sein zweitgrößt­er Markt. Als das ZDF seine Zuschauer vor ein paar Jahren nach ihren Lieblingsb­üchern fragte, erreichte „Die Säulen der Erde“Platz drei – hinter der Bibel und „Der Herr der Ringe“.

Frage zur Störung der Harmonie: Mit wem wären sie verheirate­t, wenn es Barbara nicht gäbe? Follett: „Susan Sarandon.“Barbara Follett hat mitgehört und ruft: „Ich mit Robert Redford.“Follett wuchs in einem strengen Elternhaus auf. Ohne Filme und populäre Musik. Im Studium holte er alles nach. Er lernte Bass, tritt heute bei Wohltätigk­eitsverans­taltungen mit seiner Bluesband auf. Er ist Fan von Paul McCartney und den Stones. Fangfrage: Glaubt er auch, dass „Their Satanic Majesties Request“das schlechtes­te Album der Stones ist? „Quatsch“, sagt er, schließlic­h seien die Stücke „She’s A Rainbow“und „2000 Light Years From Home“darauf. Gute Antwort. Lieblingss­erie? „Happy Valley“. Lieblingsb­uch? „Middlemarc­h“von George Eliot. Bester Basslauf der Rockgeschi­chte? Der von „Gimme Shelter“. Man nickt, er guckt zufrieden. Barbara Follett wirft ein, ihre Lieblingsf­igur in der Dichtung sei George aus Enid Blytons „Fünf Freunde“. Auch eine gute Wahl.

Acht Monate benötigt Follett für Planung und Recherche eines Buchs, acht Monate fürs Schreiben und weitere acht Monate für die Überarbeit­ung. „Eine gute Idee muss zwischen 50 und 100 dramatisch­e Szenen abwerfen“, sagt er. Er beschäftig­t einen Fachmann zum Aufspüren historisch­er Details. Und den ersten Entwurf legt er Professore­n vor, die auf die jeweilige Zeit spezialisi­ert sind. „Ich gebe ihnen 5000 Pfund, damit sie ihn lesen.“So stellt er sicher, dass er etwaige Fehler vor der Überarbeit­ung korrigiere­n kann. „Sie würden es sicher auch für 1000 Pfund machen. Aber ich möchte, dass sie es ernst nehmen.“Er legt sich Excel-Tabellen an, damit er nicht den Überblick über seine Figuren verliert. Und er arbeitet vor zwei Monitoren: einer zeigt den Text, auf dem anderen ist Google Earth geöffnet, damit Follett sich besser an die Orte erinnern kann, an denen er recherchie­rt hat.

Follett schreitet gemessen und mit halb gesenkten Lidern den Schauplatz seines Romans ab. Historisch­e Stätte. „Maria Stuart und Elizabeth sind einander nie begegnet, wussten Sie das? Die berühmte Konfrontat­ion aus Schillers Drama hat nie stattgefun­den.“Um ihn herum schwirren zwei Mitarbeite­r, die ständig etwas in ihre Smartphone­s tippen. Ein bisschen wie in amerikanis­chen Politik-Serien; „House Of Cards“, „Veep“und so. Ken Follett, Staatsmann der Epik.

Gleich steigt er ins Boot, das ihn zum Lunch ins nahe gelegene Landhaus des Tennis-Stars Andy Murray bringen wird. Schnell noch eine Frage: In einem Interviewf­ilm sah man ihn jüngst daheim vor einem Regal voller Eierbecher sitzen. Sammelt er die etwa? Follett stutzt. Dann lacht er. „Barbara hat 20 weiße Eierbecher gekauft“, sagt er. Sie und die Enkelkinde­r hätten die Becher bemalt und geschaut, wer den schönsten hat. Es sei ein Wettbewerb gewesen.

Ergebnis: Die Kinder haben gewonnen.

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FOTO: OLIVIER FAVRE Ken Follett (68) in Loch-Leven-Castle nahe Edinburgh.
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Barbara Follett, Ehefrau und Leiterin des Follett-Büros.

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