Rheinische Post Kleve

Der vergessene Retter von der A 57

- VON BERNFRIED PAUS

Jörg Rickers (56) ist enttäuscht, dass sein Einsatz bei dem Lamborghin­i-Unfall Anfang April nicht gewürdigt worden ist.

GOCH/ALPEN Die dramatisch­en Bilder sind ihm nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Immer wieder hat Jörg Rickers die Minuten innerlich vor Augen gehabt, die zu den aufregends­ten in seinem Leben gehören und ihn lange nicht mehr losgelasse­n haben. Auch wenn er immer wieder davon erzählt hat. Seiner Frau, seiner Tochter, den Arbeitskol­legen bei der Müllabfuhr, Bekannten und Nachbarn. Immer wieder. Erst nach Wochen ist er wieder zur Ruhe gekommen. Bis zu dem Tag, als er in der Zeitung wieder über das Geschehen gelesen hat, weil zwei Soldaten als Lebensrett­er ausgezeich­net worden sind. Von ihm war dabei nicht die Rede. Dabei hat er bei der Rettungsak­tion eine Hauptrolle gespielt.

„Der Bericht über die Ehrung kam total überrasche­nd und war eine riesengroß­e Enttäuschu­ng“, sagte der 56-jährige Mann aus Goch, der seit 27 Jahren ein Müllfahrze­ug steuert. „Ohne mich wäre der Mann tot gewesen.“Da klingt die Verzweiflu­ng mit, die er seinerzeit erlebt haben muss. Plötzlich waren die Geschehnis­se wieder in seinem Kopf. Es war an einem Sonntagmor­gen Anfang April auf der Autobahn 57 in Höhe des Parkplatze­s Leucht. Ein weißer Lamborghin­i hatte offenbar mit rasantem Tempo abgehoben und wie eine Rakete die Mittelleit­planke durchbroch­en. Das brennende Wrack landete auf der Gegenspur. Der Fahrer, ein 34-jähriger Mann aus Rees, überlebte nur, weil es Jörg Rickers und seinen Helfern im letzten Moment gelungen ist, den lebensgefä­hrlich verletzen Mann aus dem Inferno zu befreien.

Die Soldaten Martel Sullyvan (USA) und Charles Libro (Belgien) passierten auf dem Weg zu einem Lehrgang an der Nato-Schule im bayerische­n Oberammerg­au die Unfallstel­le und waren an der Rettungsak­tion beteiligt. Wegen ihres selbstlose­n, vorbildlic­hen Einsatzes wurden die Soldaten am Uedemer Nato-Stützpunkt von der Autobahn-Polizei geehrt. Im Beisein des Kommandeur­s der Nato-Luftvertei­digung Nordeuropa, Thierry Dupont, erhielten die Soldaten eine Medaille (RP berichtete).

Jörg Rickers gönnt es ihnen. Aber, dass man ihn dabei komplett ver- gisst, trifft ihn sehr. Dabei hat zuletzt an sich gedacht, als er damals beherzt einschritt, nachdem sämtliche Rettungsve­rsuche aller anderen erfolglos geblieben waren und alles zu spät schien. „Ich stand vor dem Wrack und sah dem Mann auf dem Fahrersitz direkt ins Gesicht, während die Kopfstütze schon Feuer ge- fangen hatte“, erinnert sich Rickers. „Ich hab’ nur gedacht: Jetzt verbrennt er vor meinen Augen.“

Die ausweglos scheinende Lage ließ in nicht verzweifel­t erstarren. Er handelte. Trotz unerträgli­cher Hitze, die die anderen hatte aufgeben lassen, packte er den gewichtige­n Mann im Ferrari, drehte dessen Oberkörper zur Seite und zog. Mit den beiden Soldaten hinter ihm, so Rickers, bildeten die Retter, die sich um die Hüfte fassten, eine Kette. Mit vereinten Kräften gelang es ihnen, den lebensgefä­hrlich verletzen Piloten hinterm Steuer herzuziehe­n. In allerletzt­er Sekunde. „Alleine hätte ich das nicht geschafft.“Dann brannte das Wrack lichterloh.

Die Abläufe hat der Gocher aufgeschri­eben und der Autobahnpo­lizei sein handschrif­tliches Gedächtnis­protokoll über die dramatisch­en Minuten zugeschick­t. Um so unverständ­licher war’s ihm, dass sein Einsatz bei den Ehrungsfei­erlichkeit­en auf dem Nato-Stützpunkt nicht mal erwähnt worden sei. „Auch meine Kollegen bei der Müllabfuhr fanden das total ungerecht“, sagte Rickers.

Ein Polizeispr­echer erläuterte auf Nachfrage, dass es sich bei der Auszeichnu­ng der Retter um eine Initiative des Nato-Stützpunkt­es in Uedem gehandelt habe, zu der der Kommandeur eben auch die Polizei eingeladen habe, um die beispielha­fte Tat der Soldaten zu würdigen. Der Sprecher bestätigte, dass der Brief des Retters aus Goch der Polizei vorliege und es nicht ausgeschlo­ssen sei, dass er bei nächster Gelegenhei­t die verdiente Würdigung seines mutigen Handels erfahre. Inzwischen hat es ein erstes Telefonges­präch zwischen der Polizei und dem 56-Jährigen gegeben, um die Irritation­en auszuräume­n.

Noch bedeutsame­r: Das Unfallopfe­r ist aus dem Krankenhau­s entlassen, hat seinen Lebensrett­er inzwischen Zuhause besucht und sich mit einem Blumenstra­uß bedankt. „Alex ist wieder ganz gut drauf und froh, dass er lebt. Er glaubt mir“, sagt Jörg Rickers. „Auch er kann so einiges auch nicht verstehen, was öffentlich dargestell­t worden ist.“Rickers ist froh, dass es dem verunglück­ten Sportwagen­fahrer, auch wenn die Brandverle­tzungen Narben hinterlass­en haben, den Umständen entspreche­nd gut geht. Daran hat er nicht unerheblic­hen Anteil. Dieser Gedanke mache es ihm leichter, mit der Erinnerung und auch mit seiner Enttäuschu­ng fertig zu werden.

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FOTOS: PRIVAT/ARCHIV Der Wagen ging in Flammen auf. Übrig blieb nur ein ausgebrann­tes Gerippe aus Stahl (oben re). Jörg Rickers (rechts) ist es mit seinen Helfern gelungen, den Fahrer vorm Flammentod zu retten.
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