„Maß und Mitte“darf nicht Mittelmaß sein
Eine neue Vision für Nordrhein-Westfalen hatte Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) in seiner Regierungserklärung nicht anzubieten. Das wäre auch zu viel verlangt: Ein neuer Regierungschef kann das Land wenige Wochen nach Unterzeichnung des Koalitionsvertrags ja nicht mit einer völlig neuen Perspektive auf die Regierungsgeschäfte überrollen. Antrittserklärungen neuer Regierungen sind immer nur die Inszenierung eines Koalitionsvertrags mit anderen Mitteln.
Die Inszenierung als solche ist Laschet gelungen: Sein Vortrag längst bekannter Regierungsvorhaben war ansprechend, plausibel und auch schlagfertig, als er die Zwischenrufe der Opposition konterte. Der neue Ministerpräsident strahlte eine so routinierte Souveränität aus, als würde er das Land schon seit Jahren regieren. Ein wohltuender Kontrast zu den späten Auftritten seiner Amtsvorgängerin Hannelore Kraft (SPD), die – obwohl ebenfalls stark gestartet – in den letzten Monaten ihrer Amtszeit zunehmend gereizt wirkte.
Überraschend war die Vehemenz, mit der Laschet eine Politik von „Maß und Mitte“ankündigte. Dieser defensive Tenor ist neu. Und ein ganz anderer als der, den Laschet noch im Wahlkampf angestimmt hatte. Bis vor wenigen Monaten war beständig davon die Rede, dass NRW wieder Nummer eins werden müsse: zurück auf die Spitzenplätze beim Wachstum, bei der Bildung und bei der inneren Sicherheit. Als neue Regierungsmaxime rief Laschet gestern aber lediglich aus: „Wir wollen unser Land wieder nach vorne bringen.“Ein wichtiger Unterschied: Das Erreichen von Spitzenplätzen ist messbar. Ob das Land „wieder vorne ist“oder nicht, lässt Raum für Interpretation.
Auch an anderer Stelle blitzte Laschets gebremster Ehrgeiz auf: „Wenn wir im Jahr 2030 zurückschauen, dann hoffe ich, wir können sagen: wir haben (...) die richtigen Entscheidungen getroffen“, begann sein Schlusswort. Die nächste Landtagswahl ist aber 2022. Dann und nicht acht Jahre später muss Laschet sich der Überprüfung seiner Spitzenplatz-Wahlversprechen stellen.
Verdächtig knapp fielen seine Ausführungen zum Haushalt aus. Bis ins Wahlprogramm hinein war die Position des früheren Oppositionsführers stets, dass Steuermehreinnahmen in die Tilgung von Schulden fließen sollten. Als Regierungschef kann er sich jetzt sogar über Rekord-Steuereinnahmen freuen, allen Prognosen zufolge auch in den kommenden Jahren. Statt der Tilgung von Altschulden verspricht Laschet in seiner Regierungserklärung aber nur allgemein den Abbau der Neuverschuldung. Auch hier bleibt er hinter seinen früheren Ambitionen zurück. BERICHT LASCHET WILL NRW UMBAUEN, TITELSEITE
ESkandal wird Aufgabe
s sagt sich leicht, dass das Leiden der Opfer von sexuellem Missbrauch unbegreiflich ist. Eine Formulierung, die die Not der Menschen zwar anerkennt, die aber das Problem ins Reich des schlichtweg Unerklärlichen verbannt. Dabei ist auch der Missbrauch von damals noch immer ein Missbrauch von heute, weil er in den Köpfen der Opfer weiter fortwirkt, weiter wütet. Eine erste Hilfe ist darum die vorbehaltlose Anerkennung ihrer Not. Mit ihr wird ihnen ein Teil jener Würde zurückgegeben, die ihnen die Täter raubten. Die neue Studie des Kölner Erzbistums über den jahrelangen Missbrauch im Internat zu Bad Münstereifel geht genau diesen Weg: Die Opfer haben sie initiiert, die Opfer haben sie begleitet, die Opfer entscheiden, wie es weitergeht. Und die Opfer müssen es sein, die jene Institutionen befragen, in denen Missbrauch möglich wurde. Es geht um das Lebensumfeld der Priester und ihre Ausbildung, es geht um Mündigkeit und Angstfreiheit, es geht um Respekt unter Menschen, der nie der Hierarchie, sondern dem Menschen selbst geschuldet ist. Erst das macht aus dem Skandal eine Aufgabe. BERICHT