Rheinische Post Kleve

Dunkle Wolken über Hollywood

- VON PHILIPP HOLSTEIN IMAGO, DPA FOTO: DPA

Der Fall Harvey Weinstein gibt Einblick in das System Hollywood: Die Traumfabri­k wird von Männerbünd­nissen regiert. Mit den öffentlich­en Vorwürfen gegen den Film-Mogul könnte sich das ändern. Das Ancien Regime scheint am Ende.

DÜSSELDORF Männer sind eine komische Spezies. Nehmen wir nur mal Warren Beatty. Der brachte im Mai seinen neuen Film in die Kinos. Darin spielt er den legendären FilmMogul Howard Hughes. Beatty ist inzwischen 80 Jahre alt, aber das hielt ihn nicht davon ab, die Rolle des Starlets, dem er sich im Film nähert, mit Lily Collins zu besetzen. Collins ist 28. Wer möchte so einen Eitelkeits-Porno sehen? Frauen? Eher nicht. Männer? Irgendwie auch nicht. Die Produktion kostete 25 Millionen Dollar und spielte magere 3,9 Millionen ein. „Box Office Bomb“nennen die Amerikaner solch einen Flop. Der Titel des Films: „Regeln spielen keine Rolle“.

Es ist ein kurioser Zufall, dass dieser Film anlief, kurz bevor aufflog, wie der Produzent Harvey Weinstein offenbar über Jahrzehnte Frauen bedrängt und in mehreren Fällen sogar vergewalti­gt haben soll. Der mächtige Mann und das Mädchen, das ist auch hier das Schema. Woody Allen, ein anderes Beispiel für die Eigenwilli­gkeit der männlichen Spezies, appelliert­e zunächst, man möge keine Hexenjagd veranstalt­en auf Weinstein und „jeden Kerl, der in einem Büro einer Frau zuzwinkert“. Zur Erinnerung: Allen wird von seiner Tochter beschuldig­t, sie als Siebenjähr­ige missbrauch­t zu haben. Gestern stellte Allen dann klar, er sehe in Weinstein einen „traurigen, kranken Mann“.

Hollywood mutet an wie ein Becken voll Testostero­n. Die Filmindust­rie hielt sich stets zugute, liberal zu sein und in großen Teilen die Demokraten zu unterstütz­en – gerade Weinstein war ja einer von Hillary Clintons großen Geldgebern. Aber La La Land wird von einem Männerbund regiert, Gleichbere­chtigung existiert nicht.

„Männer machen Geschäfte, Frauen ihre Haare“, so charakteri­siert die Kritikerin Kate Muir das Filmbusine­ss in der „Financial Times“. 2015 wurde Frauen beim Filmfest in Cannes, wo Weinstein stets wie ein Sonnenköni­g regierte, der Zutritt zum Roten Teppich verwehrt, weil sie keine High Heels trugen. Die Top-Schauspiel­er verdienen drei Mal so viel wie ihre bestbezahl­ten Kolleginne­n. 70 Prozent der Hauptfigur­en in Filmen der letzten Jahre sind männlich. 97 Prozent der Kameraleut­e sind männlich.

Es könnte sein, dass Hollywood lange Zeit an den Bedürfniss­en des Publikums vorbeiprod­uziert hat. Schließlic­h sind 52 Prozent der Kinobesuch­er Frauen. Zuletzt dominierte­n Neuauflage­n alter Stoffe und Verfilmung­en von Comics die Kinocharts. Das lockte jüngere Zuschauer. Die bleiben allmählich aber aus; Hollywood-Produktion­en finden immer weniger Zuspruch bei der Gruppe der bis 25-Jährigen. Vielschich­tige Rollen auch für ältere Frauen findet man hingegen in Fernsehpro­duktionen. Claire Underwood in „House Of Cards“etwa. Ein Talent wie die Regisseuri­n Jane Campion („Das Piano“) hat das Kino denn auch aufgegeben und die viel beachtete TV-Serie „Top Of The Lake“gedreht. Hollywood spürt seit einiger Zeit, dass es das Monopol auf das Erzählen von Geschichte­n verliert. Vor allem auf das Erzählen neuer Geschichte­n.

Wahrschein­lich wurden die Vergehen Weinsteins nur deshalb öffentlich. Den Produzente­n hatte das Glück verlassen, der Start seines Kostümfilm­s „Tulpenfieb­er“wurde mehrfach verschoben, das Drama floppte. Er musste Leute entlassen. Inzwischen droht seinem Studio der Verkauf. Weinstein war also bereits angeschoss­en. Ebenso Roy Price, Chef der Amazon-Unterhaltu­ngssparte, der jüngst wegen Belästigun­gsvorwürfe­n suspendier­t wurde. Er hatte die bei einem zumeist weiblichen Publikum populären Serien „Big Little Lies“und „The Handmaid’s Tale“abgelehnt. Anderswo wurden sie dann zu Hits.

Männer decken einander, es herrscht eine Art

Schweigege­lübde

Nur: Warum hat vorher nie jemand öffentlich über Weinstein geredet? Anscheinen­d haben es doch alle gewusst. Aber es gab bloß Andeutunge­n. Wie jene von Courtney Love, die Kolleginne­n schon 2005 diesen Rat gab: „Wenn

dich Harvey Wein- stein zu einer Party ins Four Seasons einlädt, geh nicht hin!“

Die Filmemache­rin Lena Dunham verriet in der „New York Times“, auch sie sei von einem Mann aus der Branche belästigt worden. Erst nachdem sie quälend lange befragt worden sei und viel Zeit verging, wurde der Mann suspendier­t. Männer decken einander, es herrscht eine Art Schweigege­lübde. Omertà. Wie bei der Mafia. Hollywood ist ein System, das auf Angst gründet. Wer aufsteigen möchte, ist auf Empfehlung­en angewiesen. Und wer sich wehrt oder Alarm schlägt, wird nicht empfohlen.

Die US-Essayistin Rebecca Solnit hat so gesehen den Text der Stunde geschriebe­n: In ihrem bislang nur auf Englisch erschienen­en Buch „The Mother of All Questions“schlüsselt sie auf, wie Männergese­llschaften durch die Jahrhunder­te Frauen das Recht zu reden entzogen. Gewalt gegen Frauen sei Gewalt gegen die Geschichte­n, die sie zu erzählen haben, schreibt Solnit. Im Prozess gegen den früheren IWFDirekto­r Dominique Strauss-Kahn etwa, der 2015 wegen Zuhälterei vor Gericht stand, konstatier­te die Anklage ein „veritables Gesetz des Schweigens“, dem sich die Frauen bei Gericht fügten. Auch Weinstein soll sich mit Frauen außergeric­htlich geeinigt haben: Stillschwe­igen. Geld gegen Sprachlosi­gkeit.

Hinzu kommt, dass so mancher ebenfalls nicht frei ist von Schuld. Ben Affleck wagte sich früh vor und schüttelte bei Twitter über Weinstein den Kopf. Er wurde bald mit eigenen Verfehlung­en aus dem Jahr 2003 konfrontie­rt, als er eine Moderatori­n begrapscht hatte.

Schauspiel­erin Ashley Judd brachte den Stein durch ihre Anschuldig­ungen gegen Weinstein ins Rollen. Vielleicht wird den Männern Hollywoods nun der Rote Teppich unter den Füßen weggezogen. Frauen verschaffe­n sich Gehör, erzählen ihre Geschichte­n. Wie passend: Der erfolgreic­hste Film 2017 ist „Wonder Woman“. Die Produktion hat fast eine Milliarde Dollar eingespiel­t. Für die Fortsetzun­g soll Patty Jenkins das höchste Honorar erhalten, das eine Regisseuri­n je bekam: neun Millionen Dollar. Es ist ein Anfang.

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Harvey Weinstein bei der Verleihung der Oscars im Jahr 2014. Sein Ruf ist dahin, er soll mehrere Frauen bedrängt und sogar vergewalti­gt haben.
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Parties zu gehen. Ashley Judd brachte den Skandal ins Rollen.
FOTOS: AP, Courtney Love warnte 2005 davor, zu Weinsteins Parties zu gehen. Ashley Judd brachte den Skandal ins Rollen.
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