Rheinische Post Kleve

Schnell mal Europa retten

- VON MARKUS GRABITZ UND CHRISTINE LONGIN

BRÜSSEL/PARIS Zum Herbstgipf­el der EU-Staats- und Regierungs­chefs in Brüssel, der heute endet, ist ungewöhnli­ch viel Wind im europäisch­en Haus. Dahinter steckt vor allem der neue französisc­he Präsident Emmanuel Macron, der in die Rolle des Antreibers geschlüpft ist. Ein Feuerwerk der Reformidee­n nach dem anderen brennt er über der Gemeinscha­ft ab. Wenn es nach Macron geht, müssen in Europa radikale Änderungen her. Er redet von einer „Neugründun­g“der EU. In Brüssel geht ihm alles zu langsam, die Union liefert ihm zu wenig. „Das Europa, das wir kennen, ist zu schwach, zu langsam, zu ineffizien­t“, kritisiert­e Macron zwei Tage nach der Bundestags­wahl in seiner Europa-Rede an der Sorbonne.

Das Thema steht heute Morgen beim Frühstück auf dem Programm des EUGipfels. Bei Kaffee und Croissants sprechen die EU-Staats- und -Regierungs­chefs über Macrons Reformplän­e. Viel kann der französisc­he Präsident allerdings vom Brüsseler Gipfel nicht zu seiner Initiative erwarten, denn mit Deutschlan­d und Österreich sitzen zwei Länder am Tisch, die nach Parlaments­wahlen noch keine neue Regierung haben. FDP-Chef Christian Lindner warnte bereits vor Festlegung­en in Brüssel. „Deutschlan­d ist gegenwärti­g nicht entscheidu­ngsfähig“, mahnte er.

Im Klartext heißt das, dass die Vorschläge Macrons wohl erst einmal auf die lange Bank geschoben werden. Dabei hat sein Einsatz für eine Aufbruchss­timmung gesorgt, die dem Gemeinscha­ftsprojekt guttut. Macrons Impulse kommen auch zur richtigen Zeit: Angesichts der offensicht­lich negativen Zukunftsau­ssichten für den EU-Aussteiger Großbritan­nien ist das Bewusstsei­n unter den verbleiben­den Mitglieder­n des Clubs gestiegen, dass die Herausford­erungen der Globalisie­rung besser gemeinsam zu meistern sind.

Macrons Ehrgeiz ist aber auch gefährlich, denn er könnte zu einer Vertiefung der Spaltung Europas führen, die jetzt schon viele wichtige Entscheidu­ngen blockiert. Mit seiner Vision für die Zukunft der EU eckt er vor allem in Osteuropa an. Und auch jene Länder, die nicht im Euro sind, befürchten, abgehängt zu werden, wenn seine Vorstellun­gen zu einer Vertiefung der Währungsun­ion umgesetzt würden. Zudem hat sich bei den Wahlen in Deutschlan­d und Österreich gezeigt, dass der Rechtspopu­lismus keineswegs entzaubert ist. Das von Macron angeregte Verlagern zusätzlich­er Kompetenze­n aus den Nationalst­aaten wird wohl nicht nur in Warschau und Budapest, sondern auch in Wien und anderswo auf erbitterte­n Widerstand stoßen.

Es ist darüber hinaus offensicht­lich, dass der Reformeife­r des jungen französisc­hen Präsidente­n nicht nur in Polen, Tschechien oder Ungarn als zu ungestüm und zu unkoordini­ert begriffen wird. Auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel liegt ein pragmatisc­her, realpoliti­scher Ansatz näher. So gab sie dem Gastgeber des Brüsseler Gipfels, EURatspräs­ident Donald Tusk, den Auftrag, denkbare und machbare Reformschr­itte zu identifizi­eren und in einen Kalender einzutrage­n. Tusk, der in der EU-Familie die Rolle des Vermittler­s hat, hatte sich vor dem Gipfel in den Hauptstädt­en umgehört. Er begreift es seither als seinen Auftrag, Macrons Sturm und Drang zu bremsen.

Dies ist etwa daran zu erkennen, dass Tusk die verblieben­en Mitglieder beschwört, sich darauf zu konzentrie­ren, „praktische Lösungen“zu finden für „echte Probleme“. Tusk hat ein gutes Händchen für die richtige Formulieru­ng. So beschreibt er treffend die Herausford­erung, vor der die Union gerade steht: Es gelte, den Gedanken der Einheit und des Zusammenha­lts unter den Mitgliedst­aaten der Union mit dem Wunsch nach einer neuen Dynamik zu versöhnen. Es ist das alte Dilemma ei-

„Es ist im tiefsten deutschen Interesse, dass Macron nicht scheitert“

Dominik Grillmayer

Deutsch-Französisc­hes Institut

Ludwigsbur­g

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