Schnell mal Europa retten
BRÜSSEL/PARIS Zum Herbstgipfel der EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel, der heute endet, ist ungewöhnlich viel Wind im europäischen Haus. Dahinter steckt vor allem der neue französische Präsident Emmanuel Macron, der in die Rolle des Antreibers geschlüpft ist. Ein Feuerwerk der Reformideen nach dem anderen brennt er über der Gemeinschaft ab. Wenn es nach Macron geht, müssen in Europa radikale Änderungen her. Er redet von einer „Neugründung“der EU. In Brüssel geht ihm alles zu langsam, die Union liefert ihm zu wenig. „Das Europa, das wir kennen, ist zu schwach, zu langsam, zu ineffizient“, kritisierte Macron zwei Tage nach der Bundestagswahl in seiner Europa-Rede an der Sorbonne.
Das Thema steht heute Morgen beim Frühstück auf dem Programm des EUGipfels. Bei Kaffee und Croissants sprechen die EU-Staats- und -Regierungschefs über Macrons Reformpläne. Viel kann der französische Präsident allerdings vom Brüsseler Gipfel nicht zu seiner Initiative erwarten, denn mit Deutschland und Österreich sitzen zwei Länder am Tisch, die nach Parlamentswahlen noch keine neue Regierung haben. FDP-Chef Christian Lindner warnte bereits vor Festlegungen in Brüssel. „Deutschland ist gegenwärtig nicht entscheidungsfähig“, mahnte er.
Im Klartext heißt das, dass die Vorschläge Macrons wohl erst einmal auf die lange Bank geschoben werden. Dabei hat sein Einsatz für eine Aufbruchsstimmung gesorgt, die dem Gemeinschaftsprojekt guttut. Macrons Impulse kommen auch zur richtigen Zeit: Angesichts der offensichtlich negativen Zukunftsaussichten für den EU-Aussteiger Großbritannien ist das Bewusstsein unter den verbleibenden Mitgliedern des Clubs gestiegen, dass die Herausforderungen der Globalisierung besser gemeinsam zu meistern sind.
Macrons Ehrgeiz ist aber auch gefährlich, denn er könnte zu einer Vertiefung der Spaltung Europas führen, die jetzt schon viele wichtige Entscheidungen blockiert. Mit seiner Vision für die Zukunft der EU eckt er vor allem in Osteuropa an. Und auch jene Länder, die nicht im Euro sind, befürchten, abgehängt zu werden, wenn seine Vorstellungen zu einer Vertiefung der Währungsunion umgesetzt würden. Zudem hat sich bei den Wahlen in Deutschland und Österreich gezeigt, dass der Rechtspopulismus keineswegs entzaubert ist. Das von Macron angeregte Verlagern zusätzlicher Kompetenzen aus den Nationalstaaten wird wohl nicht nur in Warschau und Budapest, sondern auch in Wien und anderswo auf erbitterten Widerstand stoßen.
Es ist darüber hinaus offensichtlich, dass der Reformeifer des jungen französischen Präsidenten nicht nur in Polen, Tschechien oder Ungarn als zu ungestüm und zu unkoordiniert begriffen wird. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel liegt ein pragmatischer, realpolitischer Ansatz näher. So gab sie dem Gastgeber des Brüsseler Gipfels, EURatspräsident Donald Tusk, den Auftrag, denkbare und machbare Reformschritte zu identifizieren und in einen Kalender einzutragen. Tusk, der in der EU-Familie die Rolle des Vermittlers hat, hatte sich vor dem Gipfel in den Hauptstädten umgehört. Er begreift es seither als seinen Auftrag, Macrons Sturm und Drang zu bremsen.
Dies ist etwa daran zu erkennen, dass Tusk die verbliebenen Mitglieder beschwört, sich darauf zu konzentrieren, „praktische Lösungen“zu finden für „echte Probleme“. Tusk hat ein gutes Händchen für die richtige Formulierung. So beschreibt er treffend die Herausforderung, vor der die Union gerade steht: Es gelte, den Gedanken der Einheit und des Zusammenhalts unter den Mitgliedstaaten der Union mit dem Wunsch nach einer neuen Dynamik zu versöhnen. Es ist das alte Dilemma ei-
„Es ist im tiefsten deutschen Interesse, dass Macron nicht scheitert“
Dominik Grillmayer
Deutsch-Französisches Institut
Ludwigsburg