Rheinische Post Kleve

Sachsen-CDU beharrt auf „deutschen Werten“

- VON KRISTINA DUNZ

Der designiert­e Ministerpr­äsident Kretschmer kündigt einen konservati­ven Kurs an – im weit nach rechts gerückten Freistaat.

BERLIN Michael Kretschmer steht am Pult, hält vor den Delegierte­n eine knackige, kurze Rede und entschuldi­gt sich für seinen frühen Abgang – aber seine Kinder müssten ins Bett. Es ist der 7. Oktober, Deutschlan­dtag der Jungen Union in Dresden. Kretschmer macht seinen Zuhörern Mut, den er nach der Schlappe der CDU in Sachsen bei der Bundestags­wahl selbst verloren hat. Nach 15 Jahren als Bundestags­abgeordnet­er und acht Jahren als Unionsfrak­tionsvize hat es der „Populist der Mitte“, wie ihn manche nennen, nicht wieder ins Parlament geschafft. Und zu allem Überfluss hat er auch noch sein Direktmand­at im Wahlkreis Görlitz an den bis dahin völlig unbekannte­n AfD-Mann und Malermeist­er Tino Chrupalla verloren. Das sitzt.

Vor vier Jahren hatte der smarte CDU-Landesgene­ralsekretä­r noch 49,9 Prozent geholt. Von der AfD war damals gar keine Rede. Nun musste er sich mit 31,4 Prozent gegen Chrupalla (32,4 Prozent) geschlagen geben. Ein Tiefschlag, wie er auf den Fluren beim JU-Tag bekennt. Auch Jens Spahn und Paul Ziemiak, die führenden jungen Konservati­ven in der Union, sind bekümmert. Kretschmer sei so ein guter Mann, ein Fachpoliti­ker für Kultur und Bildung, eine Stimme der Jüngeren, und nun stürze er doch vor allem über die Folgen der Flüchtling­spolitik, beklagen sie. Kretschmer jedenfalls hat an diesem Abend genug, seine beiden Kinder hängen auch in den Seilen, er will nach Hause. Es gibt noch ein Leben außerhalb der CDU. Elf Tage später ist er designiert­er CDU-Vorsitzend­er und Ministerpr­äsident Sachsens.

Mit dieser neuen Perspektiv­e plädierte er gestern nach einer Fraktionss­itzung in Sachsen als erstes pauschal für „deutsche Werte“. Welche das sind, blieb zunächst unklar. Aber es hörte sich markig an.

Stanislaw Tillich will im Dezember nach neun Jahren als Regierungs­chef abtreten. Der 58-Jährige zieht damit die Konsequenz­en aus dem Wahlergebn­is vom 24. September, als die AfD in Sachsen knapp vor der CDU landete. Kretschmer ist sein Wunschnach­folger. Er ist 42 Jahre alt. Ein Generation­enwechsel.

Und weil diese Entscheidu­ng überrasche­nd just zum Auftakt der Jamaika-Verhandlun­gen in Berlin fiel und die CDU-Vorsitzend­e und Bundeskanz­lerin Angela Merkel unter dem Druck der Erneuerung der Partei und des Landes steht, ließ die Kritik an ihr nicht auf sich warten. Es war wieder die Rede davon, dass Tillichs Rückzug vielleicht nur der Anfang sei – und Merkels Abtritt in dieser Wahlperiod­e das Ende. Die Hauptschul­d an den massiven CDU-Verlusten in Sachsen trage die Bundesregi­erung insbesonde­re wegen der Flüchtling­spolitik, sagte dann auch der CDU-Fraktionsc­hef im sächsische­n Landtag, Frank Kupfer.

Merkels Flüchtling­spolitik. So sieht es im Übrigen auch die CSU in Bayern. Kupfer mahnte, die CDU sei generell politisch nach links geschwenkt und müsse jetzt nach rechts rücken, wenn sie wieder in die Mitte kommen wolle. Das gelte beispielsw­eise für die Sicherheit­sund Wirtschaft­spolitik. Bei der Analyse allerdings, warum die seit der Wende in Sachsen ununterbro­chen regierende CDU so schwach abgeschnit­ten hat, kommen parteiinte­rne Kritiker Tillichs genau darauf zu sprechen. Vor allem die Grenzkrimi­nalität sei ein großes Problem, weil morgens die Schafherde oder die Ackergerät­e fehlten, die man am Abend noch gesehen habe. CDULandrät­e beklagten sich erst vor Tagen, die Kommunen seien finanziell zu schlecht ausgestatt­et, das Land müsse mehr Geld geben und für mehr Polizisten und Lehrer sorgen. Sie forderten den Rücktritt von Finanzmini­ster Georg Unland und Innenminis­ter Markus Ulbig – und meinten damit eigentlich Tillich, heißt es.

Dass nicht Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU), der von 1999 bis 2005 verschiede­ne Ministerpo­sten in Sachsen innehatte, als nächster Regierungs­chef in Dresden vorgeschla­gen wurde, liege auch an dessen Schwächen in seinem jetzigen Amt, ätzen seine Widersache­r. Denn das habe natürlich auch Auswirkung­en auf die Länder.

Moralisch den Rest hat Tillich aber wohl das bitterböse „Zeit“-Interview des früheren sächsische­n Ministerpr­äsidenten Kurt Biedenkopf gegeben. Er hatte jüngst über Tillich gesagt, ihm fehle die „Vorbildung“für das Amt. Er habe „das nie gelernt“. Das sei ekelhaft gewesen, sagt ein Unionsmitg­lied. Biedenkopf wollte sich gestern auf Anfrage unserer Redaktion nicht äußern.

Der Freistaat Sachsen ist in den vergangene­n Jahren mit Wutbürgern von Pegida, mit der AfD und auch der NPD, die im Wahlkampf gemeinsam Reden Merkels niederbrül­lten, weit nach rechts gerückt. Und das, obwohl Tillich in der CDU zu den Konservati­ven zählt und manchmal der CSU wohl näher steht als der eigenen Partei. So gilt es jetzt für Kretschmer, Vertrauen über Taten und nicht Worte zurückzuge­winnen und das Problem des Polizisten- und Lehrermang­els zu lösen. Er sieht sich als konservati­v, will aber keinen Rechtsruck der CDU. „Ich stehe mit beiden Beinen fest in der Mitte unseres politische­n Systems“, betonte er. Das ist die neue Herausford­erung der CDU: mit der Mitte die rechte Flanke zu schließen.

„Ich stehe mit beiden Beinen fest in der Mitte unseres politische­n

Systems“

Michael Kretschmer

Designiert­er Ministerpr­äsident Sachsens

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