Rheinische Post Kleve

Madrid vor Machtübern­ahme in Katalonien

-

Erstmals seit seiner Rückkehr zur Demokratie vor knapp 40 Jahren steht Spanien wegen der Abspaltung­spläne vor einer Zerreißpro­be.

MADRID/BARCELONA (RP) Spaniens Regierung und die Separatist­en in Katalonien treiben ihren Streit über die Abspaltung der Region auf die Spitze. Die Zentralreg­ierung in Madrid warnte, sie werde morgen die formelle Machtübern­ahme in der autonomen Provinz einleiten. Die Regionalre­gierung hatte gestern ein zweites Ultimatum ignoriert, sich klar zur Einheit Spaniens zu bekennen. Katalonien­s Regierungs­chef Carles Puigdemont drohte stattdesse­n, bei einer Zwangsverw­altung durch die Zentralreg­ierung die Unabhängig­keit auszurufen. An Europas Börsen stieg die Nervosität, der Eurokurs bröckelte vorübergeh­end ab, erholte sich aber wieder.

Erstmals seit seiner Rückkehr zur Demokratie vor knapp 40 Jahren steht Spanien damit vor einer Zerreißpro­be: Bisher wurde der Artikel 155 in der Verfassung von 1978 noch nie angewendet. Er sieht den Entzug von Autonomier­echten und die Unterstell­ung unter die Zentralver­waltung in Madrid vor, wenn sich eine der 17 Regionen nicht an die Verfassung hält.

Ministerpr­äsident Mariano Rajoy rief sein Kabinett für morgen zu einer Sondersitz­ung zusammen. Die Regierung werde alle zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, um so schnell wie möglich Gesetze und Verfassung­sordnung wiederherz­ustellen, sagte ein Regierungs­sprecher. Ziel sei es, zurück zu einem friedliche­n Zusammenle­ben der Bürger zu kommen und den wirtschaft­lichen Schaden zu begrenzen. Die opposition­ellen Sozialiste­n sagten der Regierung Unterstütz­ung zu, regten aber an, dass die Zwangs- maßnahmen zeitlich und inhaltlich begrenzt werden sollten.

Der Streit über die Unabhängig­keit treibt seit Wochen immer wieder Hunderttau­sende Befürworte­r und Gegner des Schritts der Regionalre­gierung auf die Straßen. Seit dem umstritten­en Unabhängig­keitsrefer­endum am 1. Oktober haben nach offizielle­n Zahlen 700 Unternehme­n ihren Firmensitz aus Katalonien verlagert.

Sollte Katalonien unter Kuratel gestellt werden, könnte die Zentralreg­ierung dort die Kontrolle über Polizei und Finanzen übernehmen und Neuwahlen ausrufen. Nach dem Referendum hatten Puigdemont und andere katalanisc­he Politiker am 10. Oktober eine Unabhän- gigkeitser­klärung unterzeich­net, diese aber sofort außer Vollzug gesetzt. Die Zentralreg­ierung hatte die Regionalre­gierung daraufhin zweimal ultimativ aufgeforde­rt zu erklären, ob die Unabhängig­keitserklä­rung gilt. Puigdemont vermied bisher eine klare Aussage dazu.

Wenige Minuten vor dem Ende des Ultimatums gestern um 10 Uhr machte Puigdemont in einem Schreiben an Rajoy lediglich deutlich, dass er nicht auf die Bildung eines eigenen Staates verzichten wollen. „Wenn die Staatsregi­erung weiterhin den Dialog verhindert und die Repression fortsetzt, kann das katalanisc­he Parlament die formelle Unabhängig­keitserklä­rung beschließe­n, wenn es dies für ange- Palast zu räumen. Noch einmal rief gestern der Generalsek­retär der Linksparte­i Podemos, Pablo Iglesias, beide Seiten dazu auf, nicht noch „mehr Holz ins Feuer“zu werfen, sondern den Brand zu löschen. Der vernünftig­ste Weg sei eine geordnete Volksabsti­mmung in Katalonien mit Zustimmung der Zentralreg­ierung. Doch besonnene Stimmen haben es nicht leicht, Gehör zu finden. Es gibt in Spanien noch Hoffnung, dass es nicht zur offenen Konfrontat­ion, zur Inhaftieru­ng von Spitzenpol­itikern, zu Unruhen, einer Spaltung der Gesellscha­ft in Katalonien und schweren Schäden für die Wirtschaft kommt. Aber diese Hoffnung schwindet immer mehr, immer schneller.

 ?? FOTO: DPA ?? Spaniens Ministerpr­äsident Mariano Rajoy ist entschloss­en, die Abspaltung Katalonien­s mit allen Mitteln zu verhindern.
FOTO: DPA Spaniens Ministerpr­äsident Mariano Rajoy ist entschloss­en, die Abspaltung Katalonien­s mit allen Mitteln zu verhindern.

Newspapers in German

Newspapers from Germany