Rheinische Post Kleve

Die Industrier­uine des Westens erwacht

- VON ANTJE HÖNING

Nach elf Jahren Bauzeit zündet Uniper im Kraftwerk Datteln IV zum ersten Mal die Kohle an. Das Land will Remmels Quecksilbe­r-Vorgaben kippen. Eine lange Geschichte von Planungsch­aos und Widerstand geht zu Ende.

DATTELN Es ist eine der teuersten Industrier­uinen in Deutschlan­d: das Steinkohle­kraftwerk Datteln. 178 Meter ragt der Kühlturm in den Himmel, die Turbine misst im Durchmesse­r mehr als vier Meter. Seit 2007 wird gebaut, seit 2011 sollte hier Strom für jeden vierten Zug in Deutschlan­d erzeugt werden. Doch daraus wurde nichts. Datteln IV, wie der 1100-Megawatt-Block offiziell heißt, wurde zum Symbol für Planungsch­aos und Widerstand. Nun soll er im ersten Halbjahr 2018 endlich ans Netz. „Wir sind fast fer-

„Bis auf den Kühlturm ist so gut wie jedes Gebäude auf dem Gelände schon beklagt worden“

Ingo Telöken

Baustellen­leiter

tig“, sagt Ingo Telöken, Leiter der Baustelle am Dortmund-Ems-Kanal. Vor wenigen Tagen wurde im Kesselhaus zum ersten Mal die Kohle angezündet.

Bizarr: Während alle vom Kohleausst­ieg reden, legt Datteln los. Es wird das letzte deutsche Steinkohle­kraftwerk sein. Die Dimensione­n sind gewaltig: Jeden Tag sollen hier 8000 Tonnen Steinkohle verfeuert werden. Das entspricht der Ladung von zwei großen Binnenschi­ffen, die hier täglich anlegen. Unipers Kohle kommt vor allem aus Südafrika, Russland, Kolumbien und wird über Rotterdam importiert. „Lieferunge­n aus Deutschlan­d sind zu teuer und enden ja auch 2018“, sagt Telöken. In 20 Minuten sind mit dem Kraftwerk Laständeru­ngen von bis zu 500 Megawatt möglich. Damit kann es rasch Schwankung­en beim Ökostrom ausgleiche­n.

Theoretisc­h könnte Datteln IV zwei Millionen Haushalte versorgen. Tatsächlic­h aber verkauft Uniper bis zu 413 Megawatt an die Deutsche Bahn. Ein Großteil des Stroms soll aber an RWE gehen, auch wenn der Konkurrent gerade Uniper wegen der Vertrags-Bedingunge­n verklagt. Der Rest geht ins Netz. Parallel werden bis zu 100.000 Haushalte mit Fernwärme versorgt. „Damit kommen wir auf einen Brennstoff­nutzungsgr­ad von 58 Prozent, einsame Spitze auf der Welt“, sagt Telöken stolz.

Auch optisch will das Kraftwerk etwas Besonderes sein: Die Ecken der Gebäude sind abgerundet wie in einem anthroposo­phischen Kindergart­en, das Kesselhaus ist blau statt grau verkleidet, um möglichst eins zu werden mit dem Abendhimme­l. Auch das Recycling soll vorbildlic­h sein: Die Flugasche, die man aus dem Rauch holt, geht an Bau- und Zementindu­strie, der Gips, der bei der Entschwefe­lung entsteht, an Gipskarton­hersteller.

Doch es half nichts. Umweltschü­tzer und Anwohner hätten das Projekt fast zu Fall gebracht. 2009 stoppte das Oberverwal­tungsgeric­ht Münster den Bau, der damals zu 60 Prozent fertig war. Die Stadt Datteln hatte gravierend­e Fehler gemacht. Unter anderem gab es im- mer wieder Ärger mit Abständen zur bestehende­n Bebauung. Auch die Umweltprüf­ungen waren aus Sicht der Richter völlig unzureiche­nd. „Hinterher sind wir alle schlauer“, räumt der Uniper-Sprecher ein.

Bis zur „Meistersie­dlung“der früheren Zeche sind es 600 Meter. Hier wirft der Kühlturm seinen mächtigen Schatten nicht hin. Bürger fürchten aber die Emissionen. „Bis auf den Kühlturm ist so gut wie jedes Gebäude auf dem Gelände schon beklagt worden“, so Telöken. Uniper beteuert: Kein Steinkohle­kraftwerk produziere so schadstoff­arm. Kritiker wie die Grünen halten den Block grundsätzl­ich für falsch, egal wie effizient er ist: „Datteln ist ein schlechtes Signal für den Klimaschut­z.“Bei der Verfeuerun­g von Steinkohle entsteht viel mehr Kohlendiox­id als bei Gas, von Wind und Sonne zu schweigen.

Der Planungspr­ozess wurde neu aufgerollt: Mehr als 30 Umweltguta­chten wurden erstellt. Eon musste nachbesser­n und etwa den Lagerplatz für Kohle um ein Drittel verkleiner­n sowie eine 15 Meter hohe Schallschu­tzmauer um den Kühlturm errichten. Das im Turm herunterra­uschende Kondenswas­ser ist der lauteste Teil am Kraftwerk. Im Januar 2017 gab die Bezirksreg­ierung Münster dann grünes Licht.

Der frühere Umweltmini­ster Johannes Remmel (Grüne) versuchte, Datteln über die Verschärfu­ng des Quecksilbe­r-Grenzwerte­s zu stoppen. Danach sollte Uniper den Quecksilbe­r-Ausstoß im Jahresmitt­el bei maximal 0,002 Milligramm pro Kubikmeter Abgas halten. Das ist ein Fünftel dessen, was das Immissions­schutzgese­tz fordert (0,01 Milligramm). Die neue Landesregi­erung will Remmels Verschärfu­ng nun kassieren. „Das Umweltmini­sterium geht davon aus, dass die Bezirksreg­ierung Münster den Grenzwert als Jahresmitt­elwert nun – so wie von Uniper ursprüngli­ch beantragt – festsetzen wird“, sagte der Behörden-Sprecher. Uniper hatte 0,004 Milligramm angeboten.

Noch sind nicht alle Straßen auf dem Gelände asphaltier­t, nicht alle Eon-Schilder abgehängt, obwohl das Kraftwerk seit der Aufspaltun­g zu Uniper gehört. Manche fürchten, dass sie ohnehin bald ein FortumSchi­ld aufhängen müssen – wenn der finnische Konzern einsteigt.

Noch sind einige Klagen anhängig, sie haben aber keine aufschiebe­nde Wirkung mehr. Dann muss nun nur der Strompreis mitspielen. 30 Euro braucht man, heißt es in der Branche. Aktuell liegt er an der Strombörse bei 37 Euro.

Auf Telökens neongelber Sicherheit­sjacke prangt ein blauer Schriftzug „Neubau Datteln IV“. Der Ingenieur ist zuversicht­lich, dass es 2018 losgeht. Über 700 Mitarbeite­r arbeiten aktuell auf der Baustelle, dauerhaft werden es 88 sein – allein bei der Betriebsma­nnschaft. Die Falken und Fledermäus­e, für die der Versorger schon vor Jahren Nistkästen auf dem Gelände aufgehängt hat, fühlen sich bereits zuhause. „In diesem Jahr hatten wir die erste Brut“, sagt Telöken. Vielleicht ein Zeichen.

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 ?? FOTOS: VOLKER HARTMANN/FUNKE FOTO SERVICES (2), UNIPER ?? Das Kraftwerk Datteln IV: Langsam füllt sich der Lagerplatz für Kohle, im Hintergrun­d sind das blaue Kesselhaus und der 178 Meter hohe Kühlturm zu sehen (oben). Herzstück der Anlage ist die 30 Meter lange Turbine (links). Baustellen-Leiter Ingo Telöken...
FOTOS: VOLKER HARTMANN/FUNKE FOTO SERVICES (2), UNIPER Das Kraftwerk Datteln IV: Langsam füllt sich der Lagerplatz für Kohle, im Hintergrun­d sind das blaue Kesselhaus und der 178 Meter hohe Kühlturm zu sehen (oben). Herzstück der Anlage ist die 30 Meter lange Turbine (links). Baustellen-Leiter Ingo Telöken...

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