Rheinische Post Kleve

INTERVIEW CLEMENS PROKOP „Der Sport hat eine Glaubwürdi­gkeitskris­e“

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Der Präsident des Deutschen Leichtathl­etik-Verbandes fordert ein Unterordne­n des IOC unter die Welt-Anti-Doping-Agentur, er will das Berliner Istaf-Meeting in einer neuen Diamond League sehen und um verlorenes Vertrauen in den Sport kämpfen.

DÜSSELDORF Von Wehmut will Clemens Prokop nichts wissen. Er werde der Leichtathl­etik ja weiterhin verbunden bleiben, gerade auch im Organisati­onskomitee der EM 2018 in Berlin. Präsident des Deutschen Leichtathl­etik-Verbandes ist der 60Jährige indes nur noch knapp einen Monat lang. Auf dem Verbandsta­g in Darmstadt wird er Mitte November nach fast 17 Jahren im Amt nicht mehr kandidiere­n. Eine Zäsur im deutschen Sport. Gehen wir mal davon aus, dass Ihr Nachfolger Ihnen in seiner Antrittsre­de warme Worte widmen wird. Welches Lob würde Ihnen mehr schmeichel­n – „integrer Verbandsch­ef“oder „anerkannte­r Anti-Doping-Fachmann“? PROKOP Am besten beides. Beides ist dieselbe Seite der Medaille. Wie steht es denn aus Ihrer Sicht generell um die Integrität bei Entscheidu­ngsträgern in unserer Gesellscha­ft? PROKOP Es ist schwer, sich zum Richter über andere aufzuschwi­ngen, aber wenn ich mir die Entscheidu­ngen mancher politische­n Organisati­onen ansehe, bedauere ich manchmal, dass nicht alle Entscheidu­ngen für mich erkennbar an Werten orientiert sind. Haben Sie mit dieser Antwort nicht auch den Grund für den großen Vertrauens­verlust der Menschen in die internatio­nalen Sportorgan­isationen beschriebe­n? PROKOP Ich denke, dass der internatio­nale Sport in der Tat mit einer Glaubwürdi­gkeitskris­e zu kämpfen hat. Und wenn der Kampf um die Glaubwürdi­gkeit verloren geht, ist auch der Kampf um die Werte des Sports sehr schwierig. Deshalb begrüße ich, dass der Leichtathl­etikWeltve­rband in Sachen Doping in Russland eine klare Kante gezeigt hat. Hier hat mit der IAAF ein Verband Glaubwürdi­gkeit zurückgewo­nnen, der ja in der Amtszeit des früheren Präsidente­n Lamine Diack beispiello­se Skandale zu verzeichne­n hatte. Nehmen die Menschen dem Sport ab, dass er alles in seiner Macht Stehende tut im Kampf gegen Doping? PROKOP Ich kann Ihnen natürlich kein repräsenta­tives Bild skizzieren, aber ich habe viele Begegnunge­n mit Menschen in den Vereinen. Und da herrscht schon oft das Bild von einem ethisch nicht unbedingt überzeugen­den und dopingvers­euchten internatio­nalen Sport vor. Hauptakteu­r im Kampf gegen Doping soll die Welt-Anti-Doping- Agentur Wada sein. Solange sie aber nicht unabhängig von Verbänden und Staaten agieren und sanktionie­ren kann, bleiben alle anderen Maßnahmen am Ende wirkungslo­s. PROKOP Das große Problem ist, dass wir auf internatio­naler Ebene unterschie­dliche Effizienzg­rade in der Dopingbekä­mpfung haben. Manchmal – wie in Russland – führen sportpolit­ische Einflüsse den Kampf sogar ad absurdum. Da brauchen wir dringend eine Vereinheit­lichung, und die kann nur über die Wada erfolgen. Dafür müsste man der Wada aber eine inhaltlich­e Unabhängig­keit verleihen, und das bedeutet wirtschaft­liche Unabhängig­keit. In der Konsequenz müsste die Wada auch über dem Internatio­nalen Olympische­n Komitee (IOC) stehen. PROKOP Genau. Denn solange es Ländern problemlos möglich ist, an Olympische­n Spielen teilzunehm­en, obwohl ihre Anti-Doping-Systeme nicht den internatio­nalen Standards entspreche­n, werden wir unfaire Wettkampfb­edingungen haben. Wo es kein adäquates Kontrollsy­stem gibt, kann man nicht, wie das IOC im Fall Russland, die Schuld bei einzelnen Athleten suchen. Die Wada müsste die Möglichkei­t haben, solchen Ländern die Teilnahme an Olympia zu verweigern. Man müsste die Qualifikat­ion für Olympische Spiele nicht nur über die sportliche Leistung regeln, sondern auch über das Vorhandens­ein eines funktionie­renden Anti-Doping-Sys- tems und eine Mindestanz­ahl von Kontrollen. Dann würde sich schnell vieles verändern, da bin ich sicher. Könnte der deutsche Sport, der ja im Anti-Doping-Kampf als Vorreiter in der Welt gilt, nicht noch viel mehr Kapital aus diesem Image schlagen? PROKOP Der deutsche Sport macht schon viel. Unser Dopingkont­rollsystem ist gemeinsam mit der Nada vorbildlic­h organisier­t. Und auch das Anti-Doping-Gesetz besitzt Vorbild-Charakter. Das wird internatio­nal auch so wahrgenomm­en. Aber . . . PROKOP Na ja, ich sehe eben auch, dass Bundesinne­nminister Thomas de Maizière mal etwas unüberlegt in einem Interview, ich glaube, 30 Prozent mehr Medaillen bei im Kern gleicher Förderung gefordert hat. Ich finde, wir sollten den Wert sportliche­r Leistungen nicht auf Medaillen reduzieren. Nehmen Sie Gesa Felicitas Krause und ihren Lauf bei der Leichtathl­etik-WM in London. Sie hat keine Medaille gewonnen, aber gezeigt, dass man auch weiterkämp­ft, wenn man am Boden liegt. Da braucht es ein Umdenken in Deutschlan­d – auch in den Medien. Denn der Sport ist mehr als eine statistisc­he Größe, und Sportler sind ein Gesamtkuns­twerk. Ein Umdenken vollziehen gerade auch die deutschen Spitzenspo­rtler. Sie haben am Wochenende eine vom DOSB unabhängig­e Interessen­vertretung gegründet. Wurde bisher zu viel über die und zu wenig mit den Athleten gesprochen? PROKOP Die Athleten haben in den Verbänden durchaus große Einflussmö­glichkeite­n. Bei uns im DLV ist zum Beispiel ein Athletenve­rtreter fix im Präsidium vorgesehen. Was ich aber auch wahrnehme, ist, dass das Interesse von Athleten, sich in die aktive Sportpolit­ik einzubring­en, eher gering ist. In der Regel sind die Athleten am sportliche­n Erfolg interessie­rt und an dessen Vorbereitu­ng. Die Dinge rechts und links des Weges lassen sie eher unbeachtet. Was die Athleten sehr wohl bewegt, ist die laufende Leistungss­portreform. Um die ist es zuletzt ruhig geworden. Ist das ein gutes Zeichen? PROKOP Zumindest sind jetzt die ersten Emotionen weg, die die Reform mit sich gebracht hat. Es ist aber nach wie vor einiges an Unklarheit­en gegeben. Ich glaube, die Ruhe resultiert daraus, dass momentan keine Konsequenz­en der Reform spürbar sind. Die sind ja weit nach hinten verlegt worden. Die Leistungss­portreform ist das eine, die andere Reform betrifft aus Sicht der Leichtathl­etik die Diamond League. PROKOP Wir haben als Leichtathl­etik mit EM, WM oder Olympische­n Spielen als jeweils nur einem Jahreshöhe­punkt strukturel­le Nachteile gegenüber den Mannschaft­ssportarte­n, die jedes Wochenende an den Start gehen und so ständig in der öffentlich­en Wahrnehmun­g stehen. Die Leichtathl­etik würde deswegen gut daran tun, wenn sie über eine funktionie­rende Meeting-Serie mehr Wahrnehmun­g erfährt. Das hat die Diamond League aber nicht geschafft, weil das Reglement für die Zuschauer nicht nachvollzi­ehbar war. Was muss in der neuen Serie besser werden? PROKOP Es braucht eine kleinere Serie. 14 Meetings sind zu viel. Und die müssten zwingend vor dem internatio­nalen Saisonhöhe­punkt stattfinde­n, müssten auf ihn hinführen. So ließe sich auch ein Spannungsb­ogen aufbauen. Würden Sie sich in einer reformiert­en Diamond League auch das Berliner Istaf wünschen? PROKOP Das würde ich mir nicht nur wünschen, da wollen wir ganz gezielt drauf hinarbeite­n. Es ist aus der Tradition des Istaf heraus und für den Leichtathl­etik-Standort Deutschlan­d fast schon eine Pflichtauf­gabe. STEFAN KLÜTTERMAN­N FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

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FOTO: IMAGO Die russische Mannschaft bei der Eröffnungs­feier der Olympische­n Spiele von Rio. Das Internatio­nale Olympische Komitee (IOC) hatte trotz erdrückend­er Hinweise auf staatlich organisier­tes Doping in Russland auf einen Ausschluss des Landes von den...
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