Filme gegen Fake News
Die Filmwoche in Duisburg (6. bis 11. Nov.) ist eins der wichtigsten Festivals für Dokumentarfilme. Aus 800 Produktionen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz werden 26 ausgewählt.
DUISBURG Ganz so alt wie die 1954 gegründeten Oberhausener Kurzfilmtage ist die Duisburger Filmwoche zwar nicht, doch immerhin startet sie jetzt zum 41. Mal. Sie ist eins der bedeutendsten Festivals für den anspruchsvollen Dokumentarfilm. Für Filmdozenten, Filmstudenten und Fernsehredakteure ist die Woche im November eine liebe Pflicht. In diesem Jahr werden sie wieder vom 6. bis 11. November im Filmforum am Dellplatz mit dem „normalen“Publikum zusammenkommen.
Seit einigen Jahren wird Jahr für Jahr ein besonderes Motto kreiert. Diesmal heißt es „Mittel der Wahl“. Dass dieses Motto mit einer Prise Humor gewürzt ist, beweist das Filmwochen-Plakat; es zeigt einen Medikamentenschieber mit vielen Fächern für bunte Pillen. Auf die Frage, ob Dokumentarfilme so etwas wie eine Heilwirkung oder Korrektivfunktion haben sollen, fragt Werner Ruzicka, Leiter der Duisburger Filmwoche, zurück: „Warum sollte man nicht den Dokumentarfilm als eine Art ’Gegengift’ angesichts von Fake News oder hemmungsloser und richtungsloser Talkshows verstehen?“
In Duisburg ist man froh darüber, dass die Kulturkanäle Arte und 3sat seit einigen Jahren ihre renommierten Dokumentarfilmpreise zum Ende des Festivals überreichen. Auch die Rheinische Post beteiligt sich an der Duisburger Filmwoche und lobt einen Publikumspreis aus.
Eine Kommission, die aus Filmemachern und Filmwissenschaftlern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz besteht, wählt aus rund 800 Produktionen 26 aus, die sie für besonders zeigenswert hält. Thematische Vorgaben gibt’s nicht. Verlangt wird nur, dass die Produktion eine Länge von mindestens einer halben Stunde hat und dass die Produktion deutsch, österreichisch oder schweizerisch beflaggt ist. Gerade diese thematische Offenheit macht die Filmwoche so interessant, da sie die „Bilder aus der Wirklichkeit“nicht in ein Raster zwängt.
Einzigartig ist die Duisburger Filmwoche, weil nirgendwo sonst dem Gespräch über die gezeigten Filme so viel Raum gegeben wird. Nach jeder Vorführung gibt es eine längere Diskussionspause, in der die Filmautoren unter der Moderation eines Mitglieds der Auswahlkommission mit dem Publikum sprechen. Jede Diskussion wird dabei protokolliert; und zwar auf eine Weise, die bisweilen zu neuen Diskussionen anregt. So manche Duisburger Filmdebatte wurde später in Filmhochschulen weitergeführt. So wurde beispielsweise einst in Duisburg heftig über die Frage gestritten, ob man im Dokumentarfilm auch „inszenieren“darf oder ob man dogmatisch zwischen Spielund Dokumentarfilm trennen müsse. Heute akzeptiert man fließende Grenzen, wobei sich Grenzgänger immer mal kritische Fragen nach der richtigen Form stellen müssen.
Obwohl sich die Filmwoche nicht als Premierenfestival versteht, sondern sich bemüht, die herausragenden dokumentarischen Arbeiten der vergangenen zwölf Monate zu zeigen, gibt es diesmal sieben Uraufführungen und sieben deutsche Erstaufführungen. Eröffnet wird die Filmwoche am Montag, 6. November, 20 Uhr, mit „Die anderen Plätze“von Marco Kugel und Simon Quack. Gedreht wurde der Film zum großen Teil in der Sportschule Duisburg-Wedau. Es geht um Fußballer, die ihren Sport als Beruf ausüben möchten, die aber in einem Karriereknick stecken. Vom 7. November bis einschließlich Samstag, 11. November, werden von morgens bis spätabends Filme im Filmforum präsentiert und anschließend in einem Nebenraum diskutiert. Es ist nicht möglich, die Vielfalt der Filmwoche auf einen Nenner zu bringen. Werner Ruzicka versucht es dennoch: „Wir sehen Gesellschaften in Bewegung und zugleich auf der Suche nach Beständigkeit. Das betrifft die Arbeit, die Familie, die Orte des Lebens.“
Immerhin wurden bei einem Pressetermin einige Beispiele vorgestellt: „Tiere und andere Menschen“heißt eine österreichische Produktion. Der Filmemacher Flavio Marchetti hat im Wiener Tierschutzhaus gedreht und dabei die Tiere ebenso beobachtet wie die Menschen, die diese pflegen oder abgeben. Der Blick mit der Kamera weckt Emotionen, bleibt aber nüchtern genug, um Diagnosen stellen zu können – über Mensch und Tier.
Wie fast bei jeder Filmwoche, so gibt es in diesem Jahr Beiträge, die sich mit der Berufswelt beschäftigen. Bei „3 Schichten Arbeit“von Christine Schäfer bekommen wir Einblicke in eine Porzellanfabrik. Die Herstellung einer Tasse ist eine zerbrechliche Angelegenheit: Das wird mit durchaus symbolischer Bedeutung klargemacht.
Der letzte Film aus dem Festivalprogramm – „What the Wind took away“– führt in ein südosttürkisches Camp. Wir lernen das Schicksal von Familien kennen, die vor dem IS flüchten konnten und die nun auf ein besseres Leben hoffen. Dieser Film von Helin und Martin Klingenböck wird als deutsche Erstaufführung gezeigt. Tief beeindruckend ist das Interview mit einer jungen Mutter, die gesteht, mit dem Gedanken gespielt zu haben, erst ihre Kinder und dann sich zu töten, um nicht in die Fänge des IS zu gelangen. Parallel zur Filmwoche läuft im kleinen Saal des Filmforums das „doxs!“-Festival, Dokumentarfilme für Kinder und Jugendliche.