Rheinische Post Kleve

Von wegen andere Zeiten

- VON MARTINA STÖCKER

Es hört einfach nicht auf. Nun also noch Oscar-Preisträge­r Dustin Hoffman. Als 17-jährige Praktikant­in am Set sei sie 1985 von Hoffman wiederholt belästigt worden, schreibt die US-Autorin Anna Graham Hunter im „Hollywood Reporter“. Der Star habe sie um eine Massage gebeten, ihr an den Po gegriffen und sie mit anzügliche­n Bemerkunge­n bedrängt. „Er war ein Jäger, ich war ein Kind, und das war sexuelle Belästigun­g“, erklärte Hunter. Hoffman bat jetzt um Entschuldi­gung und versichert­e, er habe größten Respekt vor Frauen.

Schon wieder neue Vorwürfe, schon wieder ein neuer Name – in Hollywood gibt es seit dem Beginn der Sex-Affäre um den Produzente­n Harvey Weinstein jeden Tag Geständnis­se, Beschuldig­ungen, Entschuldi­gungen und Dementis. Einige rollen schon mit den Augen, reden von Medienkamp­agne, Wichtigtue­rn und Trittbrett­fahrern – so schlimm könne es ja nun nicht sein. Sollte man von den Enthüllung­en genervt sein? Auf keinen Fall! Dennoch benötigt die Diskussion dringend mehr Ruhe, Sachlichke­it und Augenmaß. Wenn zum Beispiel Anna Graham Hunter, die 32 Jahre später von dem angebliche­n Übergriff berichtet, ihr 17-jähriges Selbst als „Kind“bezeichnet, geht schon einiges durcheinan­der. Und das hat mit „Victim Blaming“, die Schuld dem Opfer zuzuschieb­en, wenig zu tun.

Fest steht aber: In der aktuellen Flut von Geständnis­sen, die Schauspiel­erinnen zurzeit machen, darf man nicht jeden unerwünsch­ten Annäherung­sversuch eines Mannes als sexuelle Belästigun­g begreifen. Wenn ein Mann abends an das Hotelzimme­r klopft und fragt, ob man noch etwas gemeinsam trinken könne, die Frau Nein sagt und danach jeder seiner Wege geht, hat das mit sexueller Belästigun­g wenig zu tun.

In Weinsteins Fall blieben die sexuellen Übergriffe lange unter der Decke, nun bricht sich alles Bahn: Die Vorwürfe – nicht nur gegen ihn – reichen von Betatschen über Küsse und Umarmungen bis zu Drohungen und Vergewalti­gung. Sie alle in einen Topf zu werfen und sie dadurch vielleicht zu relativier­en, wird der Tragweite des Problems nicht gerecht.

Dafür sind die Vorwürfe viel zu ernst. In Weinsteins Fall soll es zu körperlich­en Übergriffe­n, sogar Vergewalti­gungen und Erpressung­en gekommen sein: Denn wenn Männer wie er ihre Position ausnutzen, um sich eine Frau gefügig zu machen, stecken dahinter System und ein Selbstvers­tändnis des „Alles geht, wenn ich es nur will“, das in Hollywood anscheinen­d über Jahrzehnte funktionie­rt hat. Wer sich auf sein mieses Spiel nicht einlässt, darf gar nichts mehr spielen.

Jeden Tag werden es mehr Beschuldig­te: Hoffman, Weinstein oder auch Schauspiel­er Kevin Spacey, der sich nun sogar in eine Therapie begeben will. Regisseur Brett Ratner muss sich in diese Auflistung ebenfalls einreihen: Mindestens sechs Schauspiel­erinnen werfen dem Regisseur („Rush Hour“) sexuelle Übergriffe vor, er dementiert über seinen Anwalt.

Der britische Verteidigu­ngsministe­r Michael Fallon war am Mittwoch zurückgetr­eten, weil er in einem Zeitungsbe­richt beschuldig­t worden war, vor 15 Jahren einer Journalist­in wiederholt ans Knie gefasst zu haben. Diese kommentier­te den Rücktritt bei Twitter lässig mit dem Hashtag „Kneegate“und bezweifelt­e, dass ihr Knie der alleinige Grund war. Fallon erklärte, er habe in der Vergangenh­eit selbst nicht die „hohen Standards erfüllt, die wir an die Streitkräf­te anlegen“. Freunde von ihm führten an, es habe mehrere „unangemess­ene Annäherung­en“gegeben.

Fallon beschmutzt­e seine Entscheidu­ng dann aber mit der Äußerung, dass das, was vor zehn, 15 Jahren noch akzeptabel gewesen sei, es heute nicht mehr sei. Die anderen Sitten und anderen Zeiten werden gerne herangezog­en,

Wer sich auf Weinsteins mieses Spiel nicht einlässt, darf in Hollywood gar nichts

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