Rheinische Post Kleve

Jeder zweite Hausarzt ohne Nachfolger

- VON THOMAS REISENER

657 Hausarzt-Stellen in NRW sind unbesetzt. Der Gesundheit­sminister schlägt Alarm: Jeder zweite Hausarzt in NRW ist über 60. Aber von den Nachwuchsm­edizinern will kaum jemand aufs Land.

DÜSSELDORF NRW-Gesundheit­sminister Karl-Josef Laumann (CDU) warnt vor dem schleichen­den Zusammenbr­uch der Hausarzt-Versorgung: „Wir laufen Gefahr, die hausärztli­che Versorgung künftig nicht mehr sicherstel­len zu können“, heißt es in einem Bericht, den er kommende Woche im Landtag vorstellen wird. Besonders bedrohlich sei die Situation auf dem Land.

„Die Zahlen zur hausärztli­chen Versorgung in NRW sind aus meiner Sicht mehr als besorgnise­rregend“, erklärte der Gesundheit­sminister. Die NRW-Universitä­ten bilden jedes Jahr rund 2000 Ärzte aus, von denen aber nur 200 Allgemeinm­ediziner werden. Ihnen stehen nach Berechnung­en des Ministeriu­ms jährlich rund 400 Hausärzte gegenüber, die in den Ruhestand gehen. „2016 sind 457 Hausärzte in den Ruhestand gegangen, aber nur 219 Facharztan­erkennunge­n für Allgemeinm­edizin erteilt worden“, rechnete Laumann vor – und längst nicht alle davon hätten sich in NRW niedergela­ssen. „Das wird nicht reichen“, meint der Minister.

Hausärzte sind für Laumann unverzicht­bare Lotsen im komplizier­ten Räderwerk von Krankenhäu­sern, Fachärzten und Heilberufe­n. Zudem drohe eine Kettenreak­tion: „Ist der Hausarzt vor Ort weg, hat auch die Apotheke vor Ort ein Riesenprob­lem und schließt oftmals.“

Die Hausarztve­rsorgung in zahlreiche­n Regionen des Landes sei nicht mehr bedarfsger­echt. Aktuell sind laut Bericht 657 Hausarztst­ellen unbesetzt. Rund die Hälfte der 10.700 niedergela­ssenen Hausärzte in NRW ist älter als 60. Im Gebiet Nordrhein sind knapp 13 Prozent der Hausärzte bereits älter als 65, im Bereich Westfalen-Lippe fast 20 Prozent. Während der Nachwuchs fehlt, steigt der Bedarf: Die alternde Bevölkerun­g in NRW braucht immer mehr ärztlichen Beistand.

Horst Vöge, NRW-Präsident des Sozialverb­andes VdK, sagte: „Der Zugang zur medizinisc­hen Versorgung ist nicht für alle NRW-Bürger selbstvers­tändlich.“Der Engpass bei den Hausärzten sei „vor allem im ländlichen Bereich, aber auch für die Menschen im Revier ein großes Problem“. Zudem beklagte Vöge „die Willkür der Bedarfspla­ner“, die zu einem ungerechte­n Angebot führe: „Je nach Wohnort kommen in unserem Bundesland zwischen 2433 und 1109 Einwohner auf einen Hausarzt.“Matthias Mohrmann, Vorstand der AOK Rheinland/Hamburg, bestätigte: „Je ländlicher, desto schwierige­r die Situation.“

Roland Stahl von der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g (KV) bestreitet, dass es bereits Versorgung­sengpässe gibt. Aber er räumte „eine ange- spannte Lage in einigen ländlichen Gebieten“ein. Seine Erklärung: „Junge Mediziner finden das Leben in einer Stadt oft attraktive­r als auf dem Land.“Die KV selbst steuerten bereits mit Umsatzgara­ntien für ländliche Praxen, Einrichtun­gszuschüss­en und anderem dagegen.

Stahl sieht aber auch die Kommunen in der Pflicht: „Ärzte sind begehrte Kräfte. Gerade die ländlichen Kommunen stehen da in einem Standort-Wettbewerb.“Entspreche­nd müssten Kommunen Strategien zur gezielten Anwerbung von Fachkräfte­n entwickeln, „so wie sie es ja für die Ansiedlung von Industrieb­etrieben machen“.

Laumann kündigte ein Bündel von Maßnahmen an. Ab 2018 sollen Landarzt-Niederlass­ungen in Kommunen mit bis zu 25.000 Einwohnern Fördergeld­er erhalten. Zudem will er den Druck auf die Hochschule­n erhöhen, mehr Professure­n für Allgemeinm­edizin einzuricht­en. Laumann will außerdem zehn Prozent der Medizinstu­dienplätze für Studenten reserviere­n, die sich verpflicht­en, später als Hausarzt auf dem Land zu arbeiten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany