Rheinische Post Kleve

Flexibilit­ät hat nicht nur Vorteile

- VON TOBIAS HANRATHS

Arbeitszei­ten könnten in Zukunft deutlich kürzer und flexibler ausfallen als heute. Viele Arbeitnehm­er genießen zwar schon jetzt solche Freiheiten. Doch das kann auch einige Probleme mit sich bringen.

Das Kind in Ruhe zur Kita bringen, abends noch etwas von zu Hause arbeiten und am Freitag lieber gar nicht: Flexible Arbeitszei­tmodelle sind gerade in aller Munde – und klingen aus Arbeitnehm­ersicht zunächst sehr attraktiv. Schließlic­h lässt sich Privates und Berufliche­s damit besser vereinbare­n, sagt Professori­n Jutta Rump, Direktorin des Instituts für Beschäftig­ung und Employabil­ity (IBE). „Es gibt gesellscha­ftlich inzwischen ein größeres Bedürfnis danach, dass sich das gut ausbalanci­eren lässt.“

Zugleich hat die Flexibilit­ät aber auch ihre Schattense­iten – vor allem dann, wenn sie mit einer generellen Reduzierun­g der Arbeitszei­t einhergeht. (bü) Konkurrent Arbeitnehm­er, die auch für einen Konkurrent­en ihres Arbeitgebe­rs tätig sind, können fristlos entlassen werden. Gleiches gilt, wenn ein Mitarbeite­r bei einem Mitbewerbe­r zwar nicht als Arbeitnehm­er, aber als Gesellscha­fter (hier mit 50 Prozent Geschäftsa­nteilen) auftritt. Das hat das Landesarbe­itsgericht Schleswig-Holstein entschiede­n. Der Arbeitnehm­er/Gesellscha­fter klagte gegen seine Entlassung, weil er trotz seiner „50 Prozent“keinen bestimmend­en Einfluss auf die Gesellscha­ft habe. Sein Arbeitgebe­r brauchte noch nicht einmal die relativ kurze Zeit bis zum normalen Ende des Arbeitsver­hältnisses abzuwarten, was auf einer Kündigung des Mitarbeite­rs beruhte. Das sei seinem Chef nicht zuzumuten. (LAG SchleswigH­olstein, 3 Sa 202/16) Überwachun­g Für die Einführung eines Outlook-Gruppenkal­enders ist die Zustimmung des Betriebsra­ts notwendig. Denn dieser Kalender ist eine technische Einrichtun­g, die es ermöglicht, die Beschäftig­ten „zu überwachen“. Weigert sich ein Mitarbeite­r, diesen Kalender zu nutzen, so muss die Abmahnung, die er deswegen kassiert, wieder aus der Personalak­te gestrichen werden, urteilte das Landesarbe­itsgericht Denn dies bedeutet zwar mehr Freizeit, aber vielleicht auch ein leeres Konto: „Wenn ich weniger arbeite, bekomme ich natürlich auch geringeren Nürnberg. Nach dem Gesetz hat der Betriebsra­t ein Mitbestimm­ungsrecht „bei der Einführung und Anwendung von technische­n Einrichtun­gen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehm­er zu überwachen“. Zur Überwachun­g bestimmt seien technische Einrichtun­gen dann, wenn sie objektiv geeignet sind, Verhaltens- oder Leistungsi­nformation­en der Arbeitnehm­er zu erheben und aufzuzeich­nen; auf die subjektive Überwachun­gsabsicht des Arbeitgebe­rs kommt es nicht an. Ein Outlook-Gruppenkal­ender stelle eine solche technische Einrichtun­g dar. (LAG Nürnberg, 7 Sa 441/16) Fußballguc­ken Schaut ein Mitarbeite­r eines Autoherste­llers „mindestens 30 Sekunden lang“auf einen Computerbi­ldschirm, auf dem ein Kollege einen Live-Stream eines Fußball-Europapoka­l-Spiels (allerdings, nachdem dieser sich ausgestemp­elt hatte) verfolgt, so kann er eine Abmahnung für das Fußballsch­auen während der Arbeit erhalten. Der Werksleite­r hatte die beiden „erwischt“. Das Arbeitsger­icht Köln hielt das Verhalten für abmahnungs­würdig und beließ die Rüge in der Personalak­te des Arbeitnehm­ers. (ArG Köln, 20 Ca 7940/16) Lohn.“Zum Problem wird das vor allem mit Blick auf die Rente, warnt Rump: „Da stellt sich schon die Frage, ob solche flexiblen Arbeitszei­tmodelle nicht nur etwas für Besserverd­ienende sind.“

Hinzu kommt die Angst vor einem Karrierekn­ick: Wer nicht ständig da ist, wird vielleicht auch bei Beförderun­gen nicht berücksich­tigt, ist die Befürchtun­g. Doch das müsse man differenzi­ert sehen, sagt Rump: „Wir wissen aus der Forschung, dass vor allem Teilzeitmo­delle bis etwa 70 Prozent und längere Auszeiten zu einem Karrierekn­ick führen.“Eine Reduktion auf 80 Prozent oder auf 28 Stunden hätte also eher keine Auswirkung­en. Offen sei aber noch, ob sich Führungspo­sitionen und Teilzeitbe­schäftigun­gen vereinbare­n lassen, sagt die Expertin.

Allerdings gibt es die Flexibilit­ät auch ohne Teilzeit – zum Beispiel mit Vertrauens­arbeitszei­ten oder der Möglich- keit, von zu Hause aus zu arbeiten. „Da habe ich schon mehr Souveränit­ät und Freiheiten, das ist klar“, sagt Rump, die auch Botschafte­rin der Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) ist. „Gleichzeit­ig funktionie­rt das aber nur mit viel Organisati­onskompete­nz und Disziplin.“

Anderenfal­ls droht die Ausbeutung – durch selbst gemachten Druck oder durch den Chef. Denn „flexibel“sollte möglichst nicht „grenzenlos“bedeuten. „Ich brauche Entscheidu­ngskompete­nz, bestimmte Aufgaben zu schieben oder wegzulasse­n – beziehungs­weise den Mut, meinem Chef zu sagen, wenn mein Zeitkonto für heute voll ist“, warnt Rump.

In den meisten Branchen sind solche Modelle noch eher die Ausnahme als die Regel. Arbeitnehm­er können die Flexibilit­ät aber durchaus einfordern, findet die Expertin: „Das Gespräch über Arbeitszei­tmodelle sollte Teil des Mitarbeite­rgesprächs sein.“Ist das nicht der Fall, könne man es von sich aus auf die Agenda setzen, alleine oder zusammen mit dem Betriebsra­t oder der Personalab­teilung.

Das wird nicht überall erfolgreic­h sein. Generell ist es nach Ansicht von Expertin Rump aber nur eine Frage der Zeit, bis sich flexible Arbeitszei­tmodelle weiträumig durchsetze­n: „Je mehr Branchen unter dem Fachkräfte­mangel leiden und je mehr Arbeitnehm­er das bei der Jobwahl für sich als Kriterium entdecken, desto weiter wird sich das verbreiten.“

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