Rheinische Post Kleve

Russische Soldaten in Griethause­n

- VON RÜDIGER GOLLNICK

Gedenken zum Volkstraue­rtag: Ein umzäuntes und bewachtes Gelände neben den Ölwerken Spyck wurde genutzt als Kriegsgefa­ngenenlage­r mit russischen Soldaten. Vermutlich 45 Kriegsgefa­ngene liegen auf dem Friedhof in Griethause­n.

KLEVE-GRIETHAUSE­N Der „alte Griethause­ner“, nur unter den Initialen J.V. bekannt, dokumentie­rt, erinnert sich: „Sehnsüchti­g blicke ich durch den Zaun zu dem Mann hin, der konzentrie­rt an einem Holzstück schnitzt und ab und zu aufschaut. Ich halte eine eingepackt­e Stulle hoch, bedeute ihm: Tausche Butterbrot gegen Schnitzwer­k. Doch der Mann schüttelt nur den Kopf, der Handel platzt, denn ich kann nicht mehr bieten. Und dabei hätte ich das Schnitzwer­k so gerne

„Wir denken an die Op

fer von Gewalt und Krieg, an Kinder, Frauen,

Männer aller Völker“

Joachim Gauck

Ex-Bundespräs­ident

gehabt. Es bestand aus einem durchlöche­rten Ring mit einem Vögelchen, das pickte. Enttäuscht muss ich schließlic­h abziehen.“

Und wo spielte sich der geplatzte Tauschhand­el ab? Das umzäunte und bewachte Gelände neben den Ölwerken Spyck war ein Kriegsgefa­ngenenlage­r für russischen Soldaten. Sie arbeiteten tagsüber in Klever Betrieben, in die sie mit dem Waggonzug, der zwischen Spyck und Kleve fuhr, gebracht wurden. Einwohner von Griethause­n warfen immer mal wieder „Fresspäckc­hen“über den Zaun, denn die Behandlung der russischen Kriegsgefa­ngenen durch die deutsche Wehrmacht war katastroph­al. Das schlägt sich nach dem Krieg auch in den Statistike­n nieder: Von den 5,3 bis 5,7 Millionen russischen Kriegsgefa­ngenen starben 3,3 Millionen in der Gefangensc­haft. Genauer: sowjetisch­e Kriegsgefa­ngene, denn es waren Soldaten aus den Sowjetrepu­bliken, die zu schwerer Arbeit im Bergbau, in der Hüttenindu­strie, bei der Trümmerbes­eitigung oder in den landwirtsc­haftlichen Betrieben herangezog­en wurden.

Neben den Ölwerken Spyck lag dieses so genannte Russenlage­r – heute nur noch eine eingezäunt­e, weitgehend freie, teils betonierte Fläche. Nach Unterlagen bestand es von Anfang 1943 bis Ende 1943. Etwa 100 Gefangene waren hier inhaftiert. Daneben existierte­n noch Kriegsgefa­ngenenlage­r in den Molkereien in Griethause­n und Warbeyen sowie bei Bauer Tünnissen in Huisberden mit etwa 20 bis 50 Gefangenen aus Polen und Frankreich, später auch aus Italien. Zudem gab es bei den Ölwerken Spyck noch ein Arbeitslag­er für Zivilarbei­ter, in dem vor allem Holländer in der Zeit von August 1943 bis Oktober 1944 lebten. Aufgrund der schlechten Ernährung und medizinisc­hen Betreuung starben immer wieder Kriegsgefa­ngene, die von ihren Kameraden auf einer abgedeckte­n Karre am Rande des Griethause­ner Friedhofes begraben wurden. Wenn der kleine Totengräbe­r-Trupp nach Spyck zurückkehr­te, warfen Griethause­ner Bürger ihnen Päckchen vom Tor in den Karren. Blitzschne­ll versuchten die Gefangenen diese aufzufange­n oder aufzuheben, wenn sie auf den Weg fielen. Das Begleitkom­mando versuchte das durch massive Schläge und Kolbenhieb­e zu unterbinde­n.

Die Toten wurden am Rande, eigentlich außerhalb des Friedhofes, in nicht „geweihter Erde“begraben. Das war ein Brauch, wie man auch mit Selbstmörd­ern umgegangen ist. Es war eine gesellscha­ftliche und nationale Diskrimini­erung der russischen Kriegsgefa­ngenen. Lange Zeit bestand diese Trennung. Erst mit der Erweiterun­g des Friedhofes, etwa um 1990, wurden die Gefangenen­gräber in den Gesamtfrie­dhof einbezogen. Zwei Gedenkstei­ne erinnern heute an die hier bestattete­n russischen Gefangenen.

Eine Beurkundun­g der Sterbefäll­e ist nicht vorhanden, das Friedhofsa­mt der Stadt Kleve besitzt keine Unterlagen. Es liegt nur eine Notiz vor, dass 45 russische Kriegsge- fangene hier bestattet liegen. Wenn in Deutschlan­d am „Volkstraue­rtag“der Kriegstote­n in den Städten und Dörfern gedacht wird, so gehört es auch zu einer Gedenk-Kultur, dass die toten russischen Kriegsgefa­ngenen, die in den deutschen Lagern krepiert sind, nicht völlig vergessen werden: Sie starben als Fremde in Feindeslan­d.

Es sei an die Worte des ehemaligen Bundespräs­identen Gauck erinnert: „Wir denken heute an die Opfer von Gewalt und Krieg, an Kinder, Frauen und Männer aller Völker. Wir gedenken der Soldaten, die in den Weltkriege­n starben, der Menschen, die durch Kriegshand­lungen oder in Gefangensc­haft, als Vertrieben­e und Flüchtling­e ihr Leben verloren.“

 ?? RP-FOTO: MARKUS VAN OFFERN ?? Der Gedenkstei­n für die verstorben­en russischen Soldarten auf dem Griethause­ner Friedhof.
RP-FOTO: MARKUS VAN OFFERN Der Gedenkstei­n für die verstorben­en russischen Soldarten auf dem Griethause­ner Friedhof.

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