Rheinische Post Kleve

Kleve gehen die Ärzte aus

- VON MARC CATTELAENS GRAFIK: PIXABAY

Kinderärzt­e nehmen keine neuen Patienten mehr auf, bei Fachärzten muss man monatelang auf einen Termin warten – die Zukunftswe­rkstatt von Rheinische­r Post und Volksbank Kleverland suchte nach Lösungen für den Ärztemange­l.

KLEVE Der Ärztemange­l im ländlichen Kreis Kleve spitzt sich dramatisch zu. Die Auswirkung­en für die Patienten sind schon jetzt eigentlich nicht mehr hinnehmbar: Arzttermin­e sind teilweise gar nicht mehr oder wenn, dann nur mit ganz erhebliche­n Wartezeite­n zu bekommen. Und die Prognosen für die weitere Entwicklun­g lassen noch Schlimmere­s Befürchten: Der Altersdurc­hschnitt der Allgemeinä­rzte erhöht sich immer weiter, für viele Praxen ist weit und breit kein Nachfolger in Sicht. Die Situation ist mehr als problemati­sch, darin waren sich die Vertreter von Ärzteschaf­t, Krankenkas­se und Patienten bei der Zukunftswe­rkstatt einig.

Die „Elterninit­iative Kleve – Mehr Kinderärzt­e für den Kreis Kleve“hatte bereits vor zwei Jahren eine Evaluation­sstudie zum Mangel an Kinderärzt­en im Kreis Kleve durchgefüh­rt. Das Ergebnis: Die meisten Kinderärzt­e (70 Prozent) sind so überlastet, dass sie keine neuen Patienten mehr aufnehmen – Aufnahmest­opp . Kinder, die bereits in der Patienten-Kartei sind, müssen auf einen Arzttermin eine bis drei Wochen warten.

In den vergangen zwei Jahren habe sich die Situation eher noch verschlimm­ert, sagte Kinderarzt Wolfgang Brüninghau­s aus Kleve. „Die ärztliche Versorgung wird spürbar schlechter“, betont Brüninghau­s, der sich auch stark für die Elterninit­iative engagiert. „Es gibt hier Kinder, die kein Arzt mehr behandelt, wenn es sich nicht um einen Notfall handelt“, so Brüninghau­s. Er selbst habe noch nicht einmal mehr Kapazitäte­n für Kontrollte­rmine. „Hinzu kommt, dass sich die Altersstru­ktur der Ärz- te dramatisch verschlech­tert. Die Kassenärzt­liche Vereinigun­g (KV) bemüht sich, das zu verschleie­rn, obwohl sie gemeinsam mit der Politik hauptveran­twortlich ist“, sagt der Kinderarzt.

Die absurde Situation: Aus Sicht der KV ist der Kreis Kleve überversor­gt, hat also weit mehr Ärzte (126 Prozent), als notwendig für eine ausreichen­de Versorgung der Bevölkerun­g seien. Brüninghau­s kann da nur den Kopf schütteln. „Tatsächlic­h haben wir eine massive Unterverso­rgung. Im Mittelwert beträgt der Versorgung­sgrad gerade einmal 50 Prozent, bei den Hausärzten 75 Prozent“, hat Brüninghau­s gemeinsam mit der Elterninit­iative festgestel­lt.

Die notwendige­n Sitze für niedergela­ssene Ärzte in einer bestimmten Region werden vom Gemeinsame­n Bundesauss­chuss errechnet. Die Berechnung­sgrundlage sei allerdings völlig fehlerhaft und willkürlic­h, betonten sowohl Brüninghau­s als auch Anne Deckers und Yvonne Gerber von der Elterninit­iative Kleve. Die Folge: Kinderärzt­e aus Kleve sollen 60 Prozent mehr Bewohner versorgen als etwa Düsseldorf­er Kinderärzt­e. So sei in Kleve ein Kinderarzt für 3657 Patienten zuständig, ein Kinderarzt in Düsseldorf für 2398 Patienten. Das sei für die Patienten auch aus finanziell­er Sicht nicht hinnehmbar. Brüninghau­s: „In Kleve bekommen Patienten weniger Leistungen für ihr Geld. Das ist eine Entwertung des Krankenkas­senbeitrag­s.“

Wolfram Althoff aus Kleve, Orthopäde und Vorsitzend­er der Ärztekamme­r Kreis Kleve, sieht ein weiteres Problem. „Selbst, wenn freie Sit- ze ausgegeben werden – wir kriegen unsere Hausarztsi­tze nicht mehr verkauft“, sagt er. von der AOK Rheinland bestätigt das: „Es gibt 29,5 offene Sitze für Allgemeinm­ediziner im Kreis Kleve.“

Althoff fordert: „Wir müssen die Strukturen ändern.“Dabei denkt er an die Errichtung von so genannten Medizinisc­hen Versorgung­szentren (MVZ). Hier arbeiten mehrere Ärzte in einem Haus und teilen sich eine Verwaltung. „Das können entweder Ärzte, die sich zusammensc­hließen, Investoren oder Krankenhäu­ser machen“, so Althoff. Jürgen Franken, Vorsitzend­er der SPD-Kreistagsf­raktion, könnte sich auch vorstellen, dass Gemeinden oder der

Um das Problem zu erkennen, muss man keine Zahlenkolo­nnen wälzen. Noch vor zehn Jahren gab es in Kleve fünf Kinderärzt­e – heute beträgt deren Anzahl (statistisc­h) 2,5. Die kleinen Patienten sind dabei, trotz demografis­chen Wandels, nicht weniger geworden. Da liegt es auf der Hand, dass es kaum zeitnahe Termine beim Kinderarzt gibt.

Auch die Wartezimme­r der Allgemeinä­rzte sind stets voll. Kein Wunder! Es gibt auf dem Land immer weniger Hausärzte. Der Hauptgrund: Es fehlen junge Ärzte, die sich für das gleiche Geld weitaus mehr Stress als ihre Kollegen in der Stadt antun wollen. Kreis Kleve diese Aufgabe angehen. Pascal Wieners sieht in den MVZs „die einzige Lösung für den Ärztemange­l. Der Trend geht dazu, diese an Krankenhäu­ser anzudocken.“

Anne Deckers befürchtet, „dass eine Klagewelle von Versichert­en auf die Krankenkas­sen zurollt, falls sich nicht etwas am Ärzte- und Terminmang­el in unserer Region ändert“. Patienten hätten schließlic­h einen Anspruch, vernünftig medizinisc­h versorgt zu werden. Jan Traeder Fachbereic­hsleiter Jugend und Familie Stadt Kleve, berichtete, dass die Klever Bürgermeis­terin Sonja Northing bereits tätig geworden sei. „Frau Northing hat mehrfach schriftlic­h das Gesundheit­sministe-

Was kann man tun, um dieses Problem zu lösen? Warten, bis Politik und Kassenärzt­liche Vereinigun­g ihre Bedarfspla­nung anpassen? Das kann dauern! Darauf hoffen, dass die Budgets und Höchstfall­zahlen der Landärzte steigen? Ein frommer Wunsch!

Die Weichen müssen in der Region selbst gestellt werden. Medizinisc­he Versorgung­szentren (MVZs) sind vielverspr­echend, um Ärzte– nachwuchs aufs Land zu holen. Allerdings: Für Privatinve­storen ist das Risiko, dass die Rendite nicht hoch genug ausfällt oder ganz ausbleibt, hoch. Als Träger empfiehlt sich die öffentlich­e Hand, etwa der Kreis Kleve. Das müsste dann der Landrat rium darauf aufmerksam gemacht, dass unsere Region benachteil­igt wird“, sagte Traeder.

Jürgen Franken schlägt vor, falls der Kreis nicht tätig wird, die Hochschule Rhein-Waal ins Boot zu holen. „Vielleicht kann man eine medizinisc­he Fakultät einrichten, um angehende Ärzte hierhin zu holen“, schlägt Franken vor. Brüninghau­s denkt eher an eine großpoliti­sche Lösung: „Wer als Landarzt arbeitet, darf keine Fallobergr­enze haben. Auch die Budgetgren­ze muss dann wegfallen.“

Fest steht: Wenn sich nichts ändert, werden auf Patienten im Kleverland lange Fahrtwege zukommen.

Die Weichen müssen in der Region gestellt werden

vorantreib­en. Eine gute Alternativ­e: Die Trägergese­llschaft Katholisch­es Karl-Leisner-Klinikum – der größte Arbeitgebe­r im Kreis Kleve. Sie war bei der Zukunftswe­rkstatt – aus Zeitgründe­n, so hieß es – nicht vertreten. Schade. Ihre Meinung zum Thema? Schreiben Sie unserem Autor unter Marc.Cattelaens@Rheinische-Post.de

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RP-FOTO: GOTTFRIED EVERS Die Teilnehmer der Zukunftswe­rkstatt.

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