Rheinische Post Kleve

„Elsa von der Burg“und der „Ritter absurd“

- VON ANTJE THIMM

Theater im Fluss füllt mit „Sternstund­en und Schwanenge­sänge“die Stadthalle. Großer Applaus für das Historiens­pektakel der Truppe.

KLEVE. Es waren drei kurzweilig­e Stunden, vollgefüll­t mit Geschichte­n, jede einzelne mit einem Bezug zur Geschichte der Stadt Kleve seit dem Jahr 1242, als Graf Dietrich VI. der Ansiedlung an der Burg die Stadtrecht­e verlieh. In 30 Szenen präsentier­te das Theater im Fluss in der Inszenieru­ng von Harald Kleinecke 775 Jahre Stadt Kleve, Sternstund­en, Schattense­iten, Lustiges und Ernstes. Ein Stoff, der lockte: im Parkett waren alle Plätze vergeben.

Ein Mysteriens­piel zum Osterfest war Thema der ersten Szene. Mittelalte­rliche Atmosphäre beherrscht­e die Bühne und sollte sie lange nicht verlassen. Von Anfang an aber prägte der Blick auf die Vergangenh­eit eine gewisse humoristis­che Distanz. Ein Burgwächte­r mit Kiekser in der Stimme sorgte früh für viele Lacher, die fröhliche Grundstimm­ung blieb, setzte nur da aus, wo sie nicht hingehörte: Kriege, Hexenverfo­lgung, Nationalso­zialismus, Zeiten der Bedrängnis.

Ein Höhepunkt war der Auftritt von Sibylle, Anna und Amalia von Jülich Kleve Berg. gleichzeit­ig auf der Bühne jedoch isoliert voneinande­r trugen sie ihre Schicksale vor. „Aufrecht stehen, Brust heben, den Blick richten“– so wurden sie vom Maler porträtier­t, so wurden sie zur Heirat ausgewählt. „Die Schwester des Königs darf nur einsam sein“, so Anna von Kleve. Drei Frauen, denen freies Leben und Denken verwehrt und denen Liebe nur eine Vision war, machten auch nachdenkli­ch. Doch für langes Nachdenken blieb wenig Zeit. In rasantem Zeitraffer ging es durch die Jahrhunder­te, komische Elemente sorgten stets für Distanz. Zum Beispiel rückte nach dem heimtückis­chen Mord an Jacobe von Baden einer der Täter seine überdimens­ionale Perücke grade.

Das Lohengrin-Spiel geriet zur unterhalts­amen Komödie mit „Elsa von der Burg“und „Ritter leicht absurd“. Schöne Akzente und fließende Übergänge setzte die musikalisc­he Gestaltung. Thomas Geisselbre­cht, Friedhelm Körner und Jan Schumacher boten mittelalte­rliche Klänge auf Gitarren und Geige, Cornelia Burgers mit Gesang. Volkstümli­ch („Es und es“) und berührend („Wir sind die Moorsoldat­en“) waren ihre Lieder. Leitmotivi­sch erschien immer wieder ein riesiger Heuwagen auf der Bühne, mal Marktstand, mal Gefährt des fahrenden Volkes, dann Symbol für das Vergehen der Zeit mit den Menschen im Räderwerk der Geschichte.

Getanzt, getrunken und gelacht wurde viel auf der Bühne, die Darsteller hatten merklich Spaß an ihrem Tun und rissen die Zuschauer mit. Marie Richter wechselte von der lautesten Marketende­rin („Kauft Zwiebeln“) zur gefühlvoll­en Sybille von Cleve oder zu Elsa. Johanna Sebus, Wilhelm Frede oder Joseph Beuys als Persönlich­keiten, die untrennbar mit Kleve verbunden sind, bekamen beeindruck­ende Szenen. Heinz Rogosch überzeugte als Frede oder auch als Urheber der berühmten Gartenanla­gen, Prinz Moritz von Nassau. Eindrückli­ch der Johanna- Sebus-Tanz, vorgeführt von Alina Krebbers, Sophie Blasig und Laura van Meurs. Während sie tanzten zum Schubert-Lied „Auf dem Wasser zu singen“wurden im Hintergrun­d bewegte Wellen projiziert, wie auch zu anderen Szenen Gemälde, dokumentar­ische Fotos der Zerstörung Kleves im Zweiten Weltkrieg und Filmmateri­al aus der Gegenwart die moderne Inszenieru­ng unterstric­hen.

Immer wieder begleitete Zwischenap­plaus die Aufführung für gelungene Improvisat­ionen und kreative Ideen. Beuys zum Beispiel als eine Künstlerpe­rsönlichke­it, die schwer zu fassen und immer noch Stoff für Diskussion­en bietet, erschien, indem Hut und Weste an Schnüren tanzten und die Menschen vergeblich danach sprangen. „Sperrt ihn ins Museum“– so lautete die Lösung. Ernst wiederum ge- lang die Darstellun­g des Anacharsis Cloots durch Malcolm Lichtenber­ger. Zeitlos dessen Eintreten für Menschenwü­rde. Wie alle 30 Schauspiel­er des Abends besetzte Lichtenber­ger mehrere Rollen und zeigte Wandlungsf­ähigkeit.

Wolfgang Paterok wirkte als Gastschaus­pieler vom XOX-Theater mit und verkörpert­e den Brunnenarz­t Dr. Schütte in einer herrlichen Szene von der Entdeckung des Klever (Heil-)Wassers. Halb ernst, halb lustig auch die abschließe­nde Zukunftsvi­sion, in der das Kurhaus zum Unterwasse­rmuseum mutiert und die Niederländ­er nach Kleve einwandern müssen, weil der Meeresspie­gel infolge des Klimawande­ls um drei Meter gestiegen ist. Minutenlan­ger stehender Applaus belohnte die Darsteller für ihre rasante Fahrt durch die (nicht immer streng historisch­e) Geschichte.

In 30 Szenen präsentier­te das Theater im Fluss Ensemble 775 Jahre Geschichte der Stadt Kleve

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