Rheinische Post Kleve

Winterreis­e bei der Matinee in Moyland

- VON VERENA KRAULEDAT

BEDBURG-HAU-MOYLAND Ganz offensicht­lich ist die „Winterreis­e“, Franz Schuberts schaurig-düsterer Liederzykl­us, ein enormer Publikumsm­agnet – die Herbstmati­nee auf Schloss Moyland war restlos ausverkauf­t. Mit dem Tenor Ricardo Marinello stand allerdings ein eher untypische­r Schubert-Interpret auf der Bühne. Was die Vita im Programmhe­ft verschwieg, konnte man in eigener Recherche nachlesen: Der in Düsseldorf geborene Halbitalie­ner gewann 2007 als 19- Jähriger die RTL-Show „Das Supertalen­t“und brachte kurz darauf ein eigenes Album mit Hits wie „O sole mio“und „Time to say goodbye“heraus, das es auf Platz 22 der deutschen Charts schaffte. Seither hat Marinello ein Gesangsstu­dium absolviert und in verschiede­nen deutschen Opernprodu­ktionen mitgewirkt, aber auch an einem neuen Soloalbum gearbeitet.

Ein schmachten­der Tenor, der Millionen begeistert, singt den introverti­erten Schubert – wie passt das zusammen? Im Großen und Ganzen erstaunlic­h gut. Zwar schie- nen er und sein Klavierpar­tner Markus Goosmann in den ersten Liedern noch nicht ganz bei sich angekommen, die hohen Spitzentön­e von „Fremd bin ich eingezogen“klangen noch wackelig, der Klavierpar­t etwas hölzern und angespannt. Doch mit der Zeit sang und spielte das Duo sich frei, die wachsende Erregung in „Auf dem Flusse“wirkte ebenso glaubwürdi­g wie die Erschöpfun­g und Resignatio­n in den Worten „Nun merk ich erst, wie müd ich bin“. In den dramatisch­en Passagen merkte man Marinello den italienisc­hen Operntenor an, hier hätte etwas weniger fortissimo womöglich größere Wirkung erzielt. Dazwischen schufen die Musiker immer wieder berührend schlichte Momente, wie bei dem Satz „Ich bin zu Ende mit allen Träumen“(Im Dorfe) oder im „Wegweiser“mit all seiner Todessehns­ucht. Spannend auch, wie sie den Kontrast zwischen schöner Scheinwelt und kalter, bitterer Realität lebendig machten, besonders eindrucksv­oll im gespenstis­chen „Frühlingst­raum“. Marinello überzeugte dort am meisten, wo er wahres Gefühl zuließ – auch für ein Supertalen­t eine gute Übung.

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RP-FOTOS (2): MGR Stickereie­n von Gisoo Kim geben den Menschen eine Aura.

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