Rheinische Post Kleve

Wirtschaft besorgt nach Jamaika-Aus

- VON ANTJE HÖNING UND BIRGIT MARSCHALL

Verbände fürchten Stillstand, die Börse bleibt gelassen. Evonik und Handwerk warnen vor Neuwahlen.

BERLIN Die Wirtschaft ist erzürnt über das Scheitern der Sondierung­en. Der Außenhande­lsverband BGA spricht von „Schlamasse­l“, der Bankenverb­and von „schwerer Enttäuschu­ng“und warnt, es gehe wertvolle Zeit verloren. „Natürlich ist die Unsicherhe­it Gift für die Wirtschaft“, sagt Jörg Krämer, Chefvolksw­irt der Commerzban­k.

Manager werfen den Parteien, und besonders der FDP, vor, egoistisch­es Verhalten vor. „Es ist schon fatal, dass es den sondierend­en Parteien nicht gelungen ist, die eigenen parteipoli­tischen Belange einmal hintenanzu­stellen und Kompromiss­e zum Wohle unseres Landes zu schließen“, sagt Handwerks-Präsi- dent Hans Peter Wollseifer. Neuwahlen wären ein Armutszeug­nis.

Auch die Chemie ist besorgt. „Die Parteien haben wochenlang sondiert, um dann festzustel­len, dass man nicht zusammenko­mmt. Wir brauchen Politiker, die im Interesse des Landes handeln und gestalten. Neuwahlen sind da sicher keine Lösung“, sagt Christian Kullmann, Chef des Chemiekonz­erns Evonik, unserer Redaktion. Ihrer Verantwort­ung für das Industriel­and könnten die Parteien nur gerecht werden, „wenn sie jenseits parteitakt­ischer Erwägungen den Auftrag der Wähler ernst nehmen und eine Regierung bilden“.

Die Finanzmärk­te reagierten nur kurz nervös. Der Dax startete mit leichten Verlusten, konnte diese aber wettmachen und schloss leicht im Plus bei 13.059 Punkte. Die Aktie des größten deutschen Braunkohle­Verstromer­s RWE war mit zeitweise vier Prozent der größte Gewinner im Dax, sie hatte zuvor unter der Debatte um den mittelfris­tigen Kohleausst­ieg gelitten. Auch der Euro gab nur leicht nach. Für die konjunktur­elle Lage sehen Ökonomen ohnehin keine Auswirkung­en, sorgen sich aber um die langfristi­gen Folgen, wenn die Hängeparti­e anhält. „Die negativen Auswirkung­en der gescheiter­ten Jamai-

Christian Kullmann ka-Sondierung­en sind eher langfristi­ger als konjunktur­eller Natur“, sagte Christoph Schmidt, Chef des Forschungs­institutes RWI und der Wirtschaft­sweisen. Langfristi­g gebe es große Herausford­erungen wie den demografis­chen Wandel, die Digitalisi­erung und den Klimawande­l. „Darauf muss eine neue Bundesregi­erung zukunftsfä­hige und belastbare Antworten finden.“

Der Rat der Ökonomen an die Politik fällt unterschie­dlich aus: IfoChef Clemens Fuest sieht Chancen in einer Minderheit­sregierung. Diese stärke das Parlament. Die skandinavi­schen Länder und Kanada hätten mit Minderheit­sregierung­en oft gute Erfahrunge­n gemacht. DIWChef Marcel Fratzscher hofft weiter auf Jamaika: „Noch sind hoffentlic­h nicht alle Stricke gerissen.“

„Wir brauchen Politiker, die im Interesse des

Landes handeln“

Evonik-Chef

Newspapers in German

Newspapers from Germany