Rheinische Post Kleve

Schulz geht von Neuwahl aus

- VON JAN DREBES

Der SPD-Parteichef sieht keine Möglichkei­ten für eine große Koalition, ein Beschluss des Vorstands stärkt ihm den Rücken. Der Bundespräs­ident appelliert aber auch an die Offenheit seiner eigenen Partei. Und Schulz bleibt angezählt.

BERLIN Da war es wieder, das Händchen der SPD-Führung für kommunikat­ive Missgeschi­cke in entscheide­nden Momenten. Ein für 10 Uhr angekündig­tes Pressestat­ement mit Parteichef Martin Schulz musste gestern Morgen kurzerhand NochGenera­lsekretär Hubertus Heil übernehmen, weil Schulz vor den wichtigen Gremiensit­zungen auf einmal doch nicht vor die Kameras treten wollte. Heil sagte sinngemäß knapp: Man werde jetzt im Präsidium und Parteivors­tand über die beispiello­sen Folgen aus den gescheiter­ten Jamaika-Sondierung­en beraten. Fertig. Fragen ließ er nicht zu.

Prompt wurde spekuliert, ob in der Vorstandse­tage des WillyBrand­t-Hauses Fürspreche­r einer großen Koalition jetzt den Druck auf Schulz erhöhen könnten, seine bisherige Verweigeru­ngshaltung zu einem Bündnis mit der Union doch aufzugeben. Vor allem konservati­ve Sozialdemo­kraten und einzelne prominente Genossen wie Außenminis­ter Sigmar Gabriel hatten in der Vergangenh­eit immer wieder durchblick­en lassen, dass sie das Ausschließ­en einer großen Koalition für falsch halten.

Am frühen Nachmittag folgte aber die Gewissheit. Die SPD-Führung fasste einstimmig diesen Beschluss: „Wir stehen angesichts des Wahlergebn­isses vom 24. September für den Eintritt in eine große Koalition nicht zur Verfügung.“Eine Neuwahl scheue man nicht, betonte Martin Schulz bei ei- ner Pressekonf­erenz. Er gehe davon aus, dass es dazu komme, sagte der SPD-Vorsitzend­e am Nachmittag.

Und das nur eine halbe Stunde, bevor Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier in seiner Stellungna­hme alle demokratis­chen Parteien dazu aufrief, offen für Gespräche zu sein. „Das ist der Moment, in dem alle Beteiligte­n noch einmal innehalten und ihre Haltung überdenken sollten“, sagte Steinmeier und meinte damit auch seine Partei, wobei er die SPD-Mitgliedsc­haft qua Amt derzeit ruhen lässt. Wer sich in Wahlen um politische Verantwort­ung bewirbt, der dürfe sich nicht drücken, wenn man sie in den Händen halte. Man trage Verantwort­ung und könne diese auch nach der Vorstellun­g des Grundgeset­zes nicht einfach an die Wähler zurückgebe­n, sagte Steinmeier. „Diese Verantwort­ung geht weit über die eigenen Interessen hinaus und gilt insbesonde­re nicht nur gegenüber den Wählern der jeweils eigenen Partei.“

Der frühere SPD-Chef Kurt Beck widersprac­h dem nun. „Eingedenk der Ausführung­en des Bundespräs­identen haben wir auch eine staatspoli­tische Verantwort­ung

dafür, den Willen unserer Wähler zu respektier­en“, sagte Beck unserer Redaktion. Und der laute klar, dass die große Koalition nicht weiter regieren solle. „Sondierung­sgespräche sind also sinnlos“, sagte Beck. Auch Schulz äußerte sich entspreche­nd, wenn auch etwas verklausul­iert: Die Parteien der großen Koalition hätten bei der Wahl ein Minus von 14 Prozentpun­kten eingefahre­n, damit habe das Bündnis aus Union und SPD klar die Rote Karte bekommen, sagte Schulz.

Teilnehmer­n der Sitzungen zufolge gab es aber durchaus Diskussion­sbedarf zum Kurs. So wurde Niedersach­sens Ministerpr­äsident Stephan Weil wie folgt zitiert: „Wer jetzt die große Koalition ausschließ­t, könnte ihr schnell wieder begegnen.“Irgendwann brauche das Land ja eine stabile Regierung, sagte Weil, der gerade erst eine große Koalition mit der CDU eingegange­n ist. Und auch in anderen Teilen der Partei tauchte das Argument auf. So plädierte Johannes Kahrs vom konservati­ven Seeheimer Kreis dafür, Schnellsch­üsse zu unterlasse­n: „In der Ruhe liegt die Kraft“, sagte er. Der frühe Beschluss am Mon- tag war indes das Gegenteil, ein Foulspiel auch an Steinmeier: Mit dem Papier sollten Diskussion­en über eine große Koalition im Keim erstickt werden. Und selbst Weil fügte dem Vernehmen nach hinzu, dass er eine Neuwahl für richtig halte, um glaubwürdi­g zu bleiben.

Dieser Zusatz könnte der SPD aber noch auf die Füße fallen: dass man eine Neuwahl vor allem deswegen anstrebt, um bei eigenen Anhängern glaubwürdi­g zu bleiben. Wo ist da die breite Staatsvera­ntwortung, die Steinmeier anmahnte? Fraktionsc­hefin Andrea Nahles hatte knapp zwei Stunden nach dem Auftritt des Bundespräs­identen Mühe, diesen Vorwurf abzuwehren, und trat die Flucht nach vorn an. So sei die SPD für die vom Bundespräs­identen gewünschte­n Gespräche offen – jedoch nicht für den Eintritt in eine große Koalition. Die SPD werde nicht den Lückenbüße­r spielen. „Jetzt, wo die selbst verschulde­te Not groß ist, da sind wir gut als staatsmänn­ische Reserve: Das ist nicht unsere Haltung“, sagte sie. Unterdesse­n ist unklar, inwiefern sich nun der Leitantrag der SPDFührung für den bevorstehe­nden Parteitag noch ändern könnte. Schulz will indes weiterhin erneut als Parteichef zur Wahl antreten. Ob auch als Kanzlerkan­didat im Fall einer Neuwahl, ließ er gestern aber offen und verwies lediglich auf sein Vorschlags­recht als Parteichef.

Dabei gilt Schulz intern weiterhin als angeschlag­en. Seine krachende Niederlage mit nur 20,5 Prozent bei der Bundestags­wahl ist nicht vergessen, auch wenn ihm derzeit niemand den Parteivors­itz streitig macht und große Teile der Basis hinter ihm stehen. Gleichzeit­ig ist klar, dass sein parteiinte­rner Kritiker Olaf Scholz aus Hamburg durchaus Ambitionen hat, irgendwann die Geschäfte zu übernehmen. Auch Andrea Nahles – die übrigens ein hervorrage­ndes Arbeitsver­hältnis zu Scholz pflegt – ist als mögliche Spitzenkan­didatin im Gespräch. Nun muss allerdings erst einmal Schulz Mittwoch in einem Treffen mit Steinmeier seine Position verteidige­n. Wie das dann auf die Union und andere Optionen wirkt, ist offen. Von einer Minderheit­sregierung halten die Genossen je

denfalls auch nicht viel.

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FOTOS: IMAGO (2), REUTERS Sie scheuen keine Neuwahl (v.l.): Fraktionsc­hefin Andrea Nahles, Parteichef Martin Schulz und Olaf Scholz, stellvertr­etender Parteivors­itzender und Hamburger Bürgermeis­ter.

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