Rheinische Post Kleve

Der Klub der großen Torjäger

- VON ROBERT PETERS

Tottenham Hotspur tritt heute in der Champions League bei Borussia Dortmund an. Die Spurs setzen auf Torjäger Harry Kane. Er ist einer der Nachfolger von Gary Lineker und Jürgen Klinsmann.

LONDON Im Sommer 1994 knallten in der Geschäftss­telle von Tottenham Hotspur nicht gerade die Sektkorken. Die Manager hatten sich in der Vorsaison ein paar Trickserei­en erlaubt, und der englische Fußballver­band reagierte ziemlich streng. Er zog dem Londoner Klub vor dem Auftakt zur nächsten Meistersch­aftsserie nicht nur zwölf Punkte ab. Er belegte den Verein auch mit einer für damalige Verhältnis­se sehr ordentlich­en Geldstrafe von 600.000 Pfund und einem einjährige­n Ausschluss aus dem lukrativen FA-Pokal.

Harry Kane bekam von all dem nichts mit. Denn er war erst ein Jahr alt. Später hat er es sich erzählen lassen. Da war er längst ein wesentlich­er Spieler im Hotspur-Universum. Und es ist überhaupt kein Zufall, dass er als Mittelstür­mer und Torjäger zu einem Aushängesc­hild von Tottenham wurde.

Der Klub aus dem Norden der englischen Hauptstadt, heute Gast in der Champions League bei Borussia Dortmund (20.45 Uhr), ist nämlich berühmt für seine großen Torjäger. Zwei der allergrößt­en (vor Kane) waren Gary Lineker und Jürgen Klinsmann.

Lineker gilt nicht nur wegen seiner ausgeprägt­en Beweglichk­eit und seiner Schnelligk­eit im Strafraum als einer der besten Spieler des vergangene­n Jahrhunder­ts. Er bereichert­e den Fußball auch durch eine außerorden­tliche Fairness. In 540 Spielen als Profi hat er nicht einmal eine Gelbe Karte kassiert, einen Feldverwei­s schon gar nicht. Und in seiner zweiten Karriere als Fußball-Sachverstä­ndiger im Fernsehen hat er den britischen Humor auch in einem Sport Geltung verschafft, dem nicht unbedingt so viel Gespür für den Witz an sich nachgesagt wird.

Von Lineker stammt der zum Sprichwort aufgestieg­ene Satz: „Fußball ist ein einfaches Spiel: 22 Männer jagen 90 Minuten lang einem Ball nach, und am Ende gewinnen immer die Deutschen.“Er hat das mehrmals miterlebt. Am schmerzlic­hsten war wahrschein­lich die Niederlage im WM-Halbfinale 1990, als die Deutschen im Elfmetersc­hießen besser waren. Wieder mal. Da fiel ihm dieser Satz ein. Und der Humor hat ihn nicht verlassen. Inzwischen ist er so etwas wie der ungekrönte König der Twittersze­ne. Als die U21 im Sommer die EM gewann und eine BMannschaf­t den Confed Cup, da schrieb er über die Deutschen: „Es wird langsam langweilig.“Ein paar Minuten später: „Aber im Cricket sind sie ganz schlecht.“

Über Jürgen Klinsmanns CricketKün­ste ist nichts bekannt. Dafür wendete der deutsche Weltmeiste­r von 1990 das Blatt im anfangs so tristen Sommer 1994 für Tottenham. Er tat es mit Toren, noch mehr aber beeindruck­te der Wel- tenbummler durch seine Haltung. In England ging ihm seinerzeit der Ruf eines Freistoß-Schinders und Schwalbenk­önigs voraus. „Diver“(Taucher) nennen sie auf der Insel solche Athleten. Seinen ersten Treffer für den neuen Klub feierte der Mittelstür­mer mit einer bäuchlings ausgeführt­en Rutschpart­ie auf dem Rasen, einem klassische­n Taucher. Die Fans verstanden diese Anspielung. So viel Selbstiron­ie hatten sie dem Schwaben gar nicht zugetraut. Und als er trotz eines Brummschäd­els, der ihn in diesem Spiel gegen den FC Sheffield (4:3) zum Ausscheide­n zwang, in der nächsten Partie gegen Everton wieder auf dem Platz stand und zwei Tore erzielte, da hatten die Tottenham-Anhänger einen neuen Liebling. Neben Witz zählt auf der Insel natürlich Kampfgeist.

Die Geschichte­n über Klinsmann haben sich bis zu Harry Kane herumgespr­ochen. Als der auf den ersten Metern einer schon jetzt großen Karriere unterwegs war, zeigte ihm jemand ein Video mit Klinsmanns Toren und mit seinem Torjubel. Kane war und ist schwer beeindruck­t. Vor der Abreise nach Dortmund zum Champions-LeagueSpie­l verneigte er sich in der „Bild am Sonntag“vor einem seiner Vorgänger. „Klinsmann ist eine SpursLegen­de“, sagte Kane, „er war ein großartige­r Spieler, der aus allen Winkeln getroffen hat. Ich habe viel von ihm gelernt.“In Erinnerung an sein Vorbild feierte der englische Mittelstür­mer seinen ersten Premier-League-Treffer für die Spurs mit dem Taucher auf dem Rasen. Auch diese Anspielung haben die Spurs-Anhänger sehr gut verstanden.

Kane darf schon lange für sich in Anspruch nehmen, ein kompletter Torjäger zu sein, der sein Vorbild in Fragen der Ballbeherr­schung und der Eleganz inzwischen sicher übertroffe­n hat. Bei der Wahl des Vereins ist er im Vergleich zu Klinsmann eher langweilig. „Mein Ziel ist es, in meiner gesamten Karriere für Tottenham zu spielen“, erklärte er. Klinsmann spielte auf seiner langen Wanderscha­ft für elf verschiede­ne Klubs. 56 Meistersch­aftsspiele für Tottenham reichten ihm für den Legendenst­atus. Kane hat bereits mehr als doppelt so viele PremierLea­gue-Begegnunge­n für die Spurs auf dem Konto. Eine Legende ist er trotzdem (noch) nicht.

Aber das wird schon.

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FOTOS: IMAGO 1990: Gary Lineker (li.) 1994: Jürgen Klinsmann 2017: Harry Kane (re.)

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