Rheinische Post Kleve

Lebenslang für den Schlächter von Bosnien

- VON RUDOLF GRUBER

Das Urteil des UN-Kriegsverb­rechertrib­unals gegen den früheren Serbenführ­er war absehbar. Doch ohne Show wollte sich der Massenmörd­er von Srebrenica nicht von der Bühne verabschie­den – im Gerichtssa­al kam es zum Eklat.

DEN HAAG Lange war unklar gewesen, ob Ratko Mladic der Urteilsver­kündung des UN-Kriegsverb­rechertrib­unals für das ehemalige Jugoslawie­n überhaupt beiwohnen werde. Die Anwälte des inzwischen 74-jährigen früheren bosnisch-serbischen Militärche­fs machten gesundheit­liche und mentale Probleme geltend. Aber ein General, der Mladic nun einmal war, drückt sich nicht vor heiklen Situatione­n: Einer seiner Anwälte sagte, er habe sogar auf seinem Erscheinen bestanden.

Eine Zeit lang folgte Mladic, lässig in seinem Stuhl lümmelnd und scheinbar desinteres­siert, den Ausführung­en des Vorsitzend­en Richters Alphons Orie über die Kriegsgräu­el, die er und seine Soldateska im Bosnienkri­eg von 1992 bis 1995 verübt haben. Doch Mladics wechselnde Mienen und Gesten verrieten eine gewisse Nervosität: Mal blickte er finster drein, mal grinste er verächtlic­h oder strich sich mit dem Zeigefinge­r über die Nasenspitz­e. Dass ein Choleriker wie er das nicht stundenlan­g durchhalte­n würde, war abzusehen.

Plötzlich sprang Mladic auf, begann zu toben und schrie dem Richter entgegen: „Sie lügen! Lüge! Reine Lüge! Alles Lüge!“Orie ermahnte ihn geduldig, sich zu mäßigen, musste dann aber den Angeklagte­n von Gerichtsdi­enern abführen lassen. Mladic war wieder in seiner Zelle, als das Urteil verkündet wurde – lebenslang­e Haft. Damit folgte das Gericht, das den Fall Mladic in 530 Verhandlun­gstagen mit 377 Zeugen und zehn Millionen Seiten Prozessunt­erlagen aufgerollt hatte, weitgehend der Anklage und sprach ihn in zehn von elf Anklagepun­kten für schuldig – des Völkermord­s, der Kriegsverb­rechen und der Verbrechen gegen die Menschlich­keit. Mladic will in Berufung gehen.

Die Verteidigu­ng hatte Freispruch gefordert. Dragan Ivetic, einer von Mladics Anwälten, beantragte zu Beginn, auf die Urteilsbeg­ründung zu verzichten; sein Mandat leide unter hohem Blutdruck, ihm drohe in Stresssitu­ationen Lebensgefa­hr. Orie blieb unbeeindru­ckt – die Absicht hinter Ivetics Antrag war allzu offensicht­lich: Die Details der Kriegsverb­rechen, die zu den schwersten in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg zählen, sollten nicht noch einmal vor der Weltöffent­lichkeit ausgebreit­et werden.

Die Richter sahen es schließlic­h als erwiesen an, dass Mladic in führender Position einer „kriminelle­n Vereinigun­g“vorstand, deren Ziel es war, alle nichtserbi­schen Volksgrupp­en in Bosnien gewaltsam zu vertreiben oder zu töten, um einen ethnisch reinen serbischen Staat zu schaffen. Dazu sei ihnen jedes Verbrechen recht gewesen.

Wie schon Radovan Karadzic, der politische Anführer der bosnischen Serben, der im März 2016 in erster Instanz zu 40 Jahren Gefängnis verurteilt worden war, wurde auch dessen Militärche­f Mladic des Völkermord­s für schuldig befunden.

Es geht dabei um das größte Verbrechen im Bosnienkri­eg, das Massaker von Srebrenica im Juli 1995, bei dem Mladics Truppen nach der Eroberung der ostbosnisc­hen UNSchutzzo­ne 8000 bosnische Muslime, vom Knaben bis zum Greis, ermordeten. Das Anlegen von Massengräb­ern, die Zerstückel­ung der Leichen sowie ihre mehrfache Umbettung in kleinere Gräber bewiesen die Absicht, so Richter Orie, „das Verbrechen zu verbergen“.

Ausdrückli­ch erwähnte der Richter die dreieinhal­bjährige Belagerung Sarajewos, dessen Bewohner „wahllos terrorisie­rt“worden seien. Mehr als 10.000 Menschen wurden allein in der bosnischen Hauptstadt getötet; das entspricht rund einem Zehntel der gesamten Opferzahl des Bosnienkri­egs. Karadzic habe zu all den Gräueltate­n die Befehle erteilt, Mladic habe diese ausgeführt, so der Richter. Orie sprach von „den abscheulic­hsten Verbrechen, die der Menschheit bekannt sind“.

Zur Urteilsver­kündung waren auch rund 150 Angehörige von Op- fern angereist. Etwas anderes als einen Schuldspru­ch hatten sie nicht erwartet. Auf Transparen­ten zeigten sie Bilder von Opfern, die sie Anhängern Mladics entgegenhi­elten. Die wiederum feierten den früheren General auf ihren Transparen­ten mit den Worten „Du bist unser Held“.

In Belgrad reagierte Präsident Alesksanda­r Vucic nahezu beiläufig: „Wir haben alle gewusst, dass dies das Resultat sein wird“, lautete sein Kommentar. Vucic fügte jedoch hinzu, die serbischen Toten der Jugoslawie­n-Kriege würden anders behandelt als die anderer Nationen: „Wir müssen uns um die Achtung unserer Opfer selbst kümmern.“

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FOTO: DPA Zynisch bis zum Schluss: Ratko Mladic (74) gestern vor Gericht.

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