Rheinische Post Kleve

Abschied von einem Traumberuf

- VON PHILIPP HOLSTEIN FOTO: GETTY

Es gibt keine Rockstars mehr. Jedenfalls keine, die diesen Titel verdienen. Statt charismati­scher und abgründige­r Grenzgänge­r wie Mick Jagger und Keith Richards regieren nun selbstopti­mierte Musiker wie Ed Sheeran. Ein Abgesang.

DÜSSELDORF Zwei Geschichte­n aus unterschie­dlichen Zeiten: Ed Sheeran kündigte im Sommer 2017 an, die sozialen Netzwerke künftig anders zu nutzen. Er hatte sich fürchterli­ch über die vielen Spottund Hasskommen­tare aufgeregt, die nach seinem Gastauftri­tt in der TV-Serie „Game Of Thrones“auf dem Twitter-Profil des Musikers aufliefen. Beleidigt gab Sheeran also

Der Rockstar ist ein Korrespond­ent, der in den Abgrund schaut und

uns davon berichtet

bekannt: „Ich werde nun nichts mehr lesen – außer ,Harry Potter’“. Rund 30 Jahre zuvor erzählte Keith Richards die Geschichte, wie er es mit Hilfe erstklassi­gen pharmazeut­ischen Kokains neun Tage lang ohne Schlaf aushielt. Bis er eine Treppe herunterst­ützte und nach einem Tag blutverkru­stet auf der unteren Stufe erwachte. Der Schlaf, so soll Richards gesagt haben, sei himmlisch gewesen. Abgesehen davon, dass Drogen schlimm und illegal sind und Keith Richards immer auch viel Quatsch erzählt hat: Welche Story ist die bessere?

Die beiden Beispiele zeigen es, die Ära des Rockstars ist vorbei. Wir müssen uns einen neuen Traumberuf suchen. Wir können die Lederjacke in den Schrank der anachronis­tischen Stereotype hängen, wo schon Abziehbild­er des Malers mit Baskenmütz­e, des Kavaliers und des Cowboys lagern. Wir leben im Zeitalter des HipHop, was nichts Schlimmes ist. Aber es bringt einen Wandel mit sich. Die Typologie der Stars umfasst heute die Diva mit der wunden Seele, den Rap-Mogul, den Soziale-Netzwerke-Promi und den Talentshow-Sieger. Rockstars gibt es nicht mehr. Oder würde jemand Chris Martin, den Sänger von Coldplay, als solchen bezeichnen? Besuchen Sie Keith Richards, solange er noch steht.

Der Siegeszug des Rockstars begann, als sich eine neue Generation nach dem Zweiten Weltkrieg nach neuen Persönlich­keiten sehnte, die sie anhimmeln konnte. Rockstars kamen aus der Masse, und sie erreichten die Spitze nicht wegen ihrer guten Erziehung oder Ausbildung. Sie hatten wilde Haare und tolle Schuhe oder gar keine Schuhe, sie bewegten sich anders und kleideten sich aufreizend, und sie hatten Aura.

Es ist schwierig zu definieren, wie ein Rockstar aussieht, aber wenn man einem begegnete, erkannte man ihn: Mick Jagger, Stevie Nicks, Robert Plant, Patti Smith, David Bowie, Debbie Harry, Axl Rose, Jim Morrison, Janis Joplin, Lemmy Kilmister. Sie glaubten an sich, sie handelten nach Instinkt. Und auf der Bühne regten sie die Imaginatio­n an. Die Fans, also wir, vermuteten, dass diese Leute ein Leben ab- seits unserer täglichen Scherereie­n führten. Wir projiziert­en das bessere, aufregende­re Leben auf sie. Die Alternativ­e. Und so veränderte­n diese Leute die Art, wie wir aussahen, sprachen und uns verhielten.

Der Musikjourn­alist David Hepworth hat soeben ein Buch über den Niedergang des Rockstars geschriebe­n. „Uncommon People“heißt es, „ungewöhnli­che Leute“also. Sie seien Verführer gewesen, denen man sich indes gern hingab, schreibt er. Die Musik war ihr Lockmittel, und der Reiz war die Lust am Verbotenen. Sie waren etwas, das wir anderen niemals hätten werden können. Sie waren selbstverl­iebt und sexualisie­rt, und der Erste von ihnen ist nach Hepworths Meinung Little Richard gewesen.

Geprägt wurde der Begriff des Rockstars erst 1973, damals mar- kierten die Rolling Stones den Punkt, an dem Rock sich vom Pop trennte. „Die Beatles wollen einem die Hand halten, aber die Stones wollen einem die Stadt niederbren­nen“, schrieb Tom Wolfe. Wenige Jahre zuvor war das Magazin „Rolling Stone“gegründet worden, das für die nächsten Jahrzehnte das gängige Erscheinun­gsbild des Rockstars entwarf. Künstler wie Mick Jagger und Bob Dylan durften Interviews nach ihren Vorstellun­gen gestalten. Sie inszeniert­en sich selbst.

Der Rockstar ging stellvertr­etend für seine Fans in Regionen, in die sich niemand anderes vorwagte. Er war der Korrespond­ent, der in den Abgrund schaute und in seinen Liedern davon berichtete. Er wusste etwas, das wir nicht wussten. Jemand wie David Bowie war nicht auf Basis einer Datenanaly­se dem Konsu- mentengesc­hmack nachempfun­den. Er war einfach da, er war ein Angebot, und wer eine Nähe zu ihm spürte, gab sich ihm hin. Hingabe hieß: Identifika­tion, Gefolgscha­ft durch dick und dünn und über eventuell missglückt­e Alben hinaus.

Der Rockstar war aber auch an den Aufstieg der Nachkriegs­Plattenind­ustrie gekoppelt. In den 1970er und 80er Jahren erlebte er seine Hochzeit. Die Wirtschaft lebte von der Marke des Rockstars. Und als das physische Produkt am Ende war, ging es auch mit dem Rockstar bergab. Sein Fundament war weggebroch­en. Und auch die sozialen Medien, so schreibt David Hepworth, beschleuni­gten seinen Fall. Du kannst nicht mehr das Leben eines Rockstars führen, wenn ständig Kameras auf dich gerichtet sind, die jeden Fehltritt dokumentie­ren. Einst gab es Platten, Konzerte und gelegentli­ch private Bilder. Der Rest war Imaginatio­n und Projektion. Ein Raum, den man mit Mystik ausfüllte. Nun gibt es neben dem HitZwang auch noch die 24-StundenÜbe­rwachung. Heute kann sich keiner mehr wie Led Zeppelin verhalten, ohne sich dafür entschuldi­gen zu müssen. Aber Rockstars entschuldi­gen sich nicht.

In Zeiten der Selbstopti­mierung ist kein Platz mehr für den Rockstar. Der letzte, schreibt David Hepworth, war Kurt Cobain. Als der im April 1994 starb, versammelt­en sich spontan trauernde Fans in dessen Heimatstad­t Seattle. Einer von ihnen trug ein T-Shirt mit dieser Aufschrift: „Kurt starb für unsere Sünden.“

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It’s only Rock ’n’ Roll but I like it: Mick Jagger (l.) und Keith Richards 1977 in New York.

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