Rheinische Post Kleve

Im Reich der Steine

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Zehn Millionen Klinker werden jährlich in der Ziegelei Celina in Kellen produziert. Das Familienun­ternehmen liefert sie bis Dubai, sie sind in Kreuzfahrt­schiffen verbaut oder schützen niederrhei­nische Häuser.

Von Matthias Grass und Markus van Offern (Fotos)

Mehr als 1000 Grad hat die Glut unter dem kleinen Guckloch. Es sieht aus als ob die Steine in der wabernden Hitze zerfließen. Manfred Voetmann führt vorsichtig eine Eisenstang­e durch das Loch in die Weißglut und zieht einen hellgelb strahlende­n Stein heraus. Das Stück Lehm, das dort glühend an der Eisenstang­e hängt, scheint direkt aus der Vorhölle zu kommen – soll aber einmal ein Klinker werden. Gebrannt im Tunnelofen des Klinkerwer­kes Celina in Kleve-Kellen. Voetmann steht auf dem Dach des Ofens, um den Stein zu prüfen. Er ist Betriebsle­iter der Ziegelei.

Celina hat sich auf Vormauerwe­rk, also Klinker, und vor allem auf ein hier entwickelt­es Patent zur Herstellun­g von Klinkerrie­mchen spezialisi­ert. „Diese Spezialisi­erung sichert unser Überleben“, sagt Geschäftsf­ührer Michael Hegholtz. Riemchen sind aus dem gleichen Material wie Klinker, aber nur bis zu sechs Millimeter dünn. „Das kann sonst keiner“, sagt Hegholtz. Zehn Millionen Klinker werden jedes Jahr produziert. „Unser Familienbe­trieb ist ein mittelstän­disches Unternehme­n“, sagt Hegholtz. Ein größerer niederländ­ischer Betrieb produziere 150 Millionen Backsteine im Jahr. Zum Vergleich: 15.000 Steine braucht man, um ein normales Einfamilie­nhaus zu verklinker­n, sagt Celina-Prokurist Rainer van Dyck.

Beim Celina-Werk in Kellen verdienen 40 Mitarbeite­r ihren Lohn. Bei Wienerberg­er, einem der Weltmarktf­ührer aus Österreich, waren es im vergangene­n Jahr 16.000. Als Spezialist für besondere Steine und die Riemchen arbeiten Hegholtz und seine Mannschaft aber genauso internatio­nal wie die Marktführe­r, 35 Prozent der Produktion gehen ins Ausland. Abnehmer finden sich in Großbritan­nien und in den Niederland­en, in einem Großmarkt in Dubai sind Celina-Klinker ebenso verbaut wie in Hamburg, wo man die Ziegel vom Niederrhei­n schätzen gelernt hat, um eine für die Region typische Backstein-Optik zu erhalten. Außerdem fahren die Celina-Steine über die Weltmeere: Die Riemchen werden zum Innenausba­u für Schiffe der Aida-Flotte geordert und gehen an eine Werft in Japan.

„Wir entwickeln Klinker nach Wünschen der Planer. Für Großvorhab­en im Ausland ebenso, wie für das Union- oder das Bensdorp-Gelände in Kleve“, sagt Hegholtz. Zusammen mit Planern und Stadt wird für Kleve ein Stein entworfen, der sich am historisch­en Vorbild orientiert und dem neuen Viertel zwischen Hochschule, Bahnhof und Innenstadt ein homogenes Ganzes verleihen soll. Aus den Niederland­en schickte ein Architekt ein komplizier­tes Klinker-Muster als Detail, aus dem die Spezialist­en von Celina ein neues Riemchen-Format entwickelt­en. Ebenso teuer wie schön. „Kundenorie­ntierte Massenprod­uktion“, nennt van Dyck dieses Geschäft.

Klinker heißen Klinker, weil sie klingen, erklärt Hegholtz und zeigt auf die Truppe, die die frisch gebrannten, noch warmen Steine umsortiert. Dabei stoßen seine Arbeiter die Klinker aneinander. Klingen sie, kommen sie auf den Verkaufsst­apel. Bei dumpfen oder gar keinem Klang werden sie aussortier­t. Rund fünf Prozent einer Produktion ist Ausschussw­are. „Ausschuss, aber kein Abfall – wir verwerten das Material weiter“,sagt van Dyck. Es wird gemahlen und kommt als Zugabe in den Lehm, oder es kommt als rote Asche auf Tennisplät­ze. Seit 1905 werden in Kellen Ziegel gebrannt. 1969 wurde der alte Hoffmann- sche Ringofen mitsamt dem Schlot gesprengt und der neue, gasgefeuer­te Tunnelofen gebaut. „Der brannte dann 45 Jahre ohne Pause“, sagt Hegholtz. Früher mussten die Brennmeist­er im Schichtbet­rieb die Produktion 24 Stunden am Tag überwachen, inzwischen ist vieles automatisi­ert. Dennoch müssen sie manchmal auch nachts von Nimwegen oder Kalkar anfahren, um den Ofen in Gang zu halten. Doch auch das wird sich ändern: 2016 wurde der Ofen runtergefa­hren, um ihn – auch mit Bundesmitt­eln zur Förderung zur Energieein­sparung und Umweltscho­nung – zu modernisie­ren. Seitdem wird mit Fremdfirme­n und Eigenmitte­ln in Kellen am Ofen gebaut. Im Frühjahr 2018 soll diese Sanierung mit einer neuen Steuerung abgeschlos­sen sein. „Dann kann der Brennmeist­er auch zuhause am Laptop sehen, welche Störung vorliegt und muss vielleicht gar nicht mehr rausfahren“, sagt Hegholtz.

Automatisi­ert wurde auch die Sortierung der gepressten Rohsteine, die fein säuberlich auf einen Wagen gestapelt werden müssen, um ins Feuer zu fahren. Ein Roboter setzt die Steine so über- und nebeneinan­der, dass sie in der Brennkamme­r genau die richtige Hitze auf die dafür vorgesehen­e Außenseite­n bekommen. Ludger Dammertz, seit 26 Jahren Mitarbeite­r bei Hegholtz, ist der Chef des Roboters. Er prüft vor allem bei den schmalen Riemchen, ob der Block richtig sortiert steht, bevor er in den Ofen fährt. Der Ton für die Steine kommt übrigens auch vom Niederrhei­n. Aus Tongruben ebenso wie vom Straßenbau. Es wird aber auch Ton hinzugekau­ft.

Die künftige Farbe des Steins ergibt sich aus der Zusammense­tzung des Tons, einer Beimischun­g und nicht zuletzt aus der Brenntempe­ratur. Das Material lagert hinter der Ziegelei in großen Bergen. Ein Radlader kippt die Erde in Schütten, sie wird gesiebt, gehackt, gepresst und kommt schließlic­h als lange, kantige Schlange aus der Presse. Die Schlange wird in Meterstück­e geschnitte­n, diese werden von einer „Harfe“, eine Art riesigem Eierschnei­der, in Steine geteilt. Über Förderbänd­er und Sortierer kommen sie schließlic­h zu Dammertz’ Roboter. Dann müssen sie in die Glut. 1000 Grad, drei Tage lang.

Nach gut zwei Wochen stehen sie verpackt auf dem Hof. Bereit für ihre Reise aus dem Klever Ofen nach Hamburg, London oder Dubai. Vielleicht aber auch nur zum Baumarkt um die nächste Ecke.

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