Rheinische Post Kleve

Wohnen im Himmel

- VON MICHAEL BRÖCKER UND MARTIN KESSLER

Hochhäuser haben weltweit wieder an Attraktion gewonnen. Auch im Rheinland ist es plötzlich chic, ganz oben zu wohnen.

DÜSSELDORF Architekto­nischer Höhenwahn ist ein altes Phänomen. Schon die Babylonier wollten einen Turm in den Himmel bauen und alle bis dato gekannten Grenzen ausloten. Gott bestrafte die Menschen für ihre anmaßende Haltung, sich selbst zu Göttern machen zu wollen, mit Sprachverw­irrung und zerstreute sie über die Länder.

Zweieinhal­btausend Jahre später wachsen weltweit Wohntürme in den Himmel und durchbrech­en alle Rekorde. In New York baute unlängst der exzentrisc­he Immobilien­unternehme­r Harry Macklowe den mit 426 Metern höchsten und mit umgerechne­t einer Milliarde Euro Baukosten teuersten Wohnturm der westlichen Welt. Adresse: 432 Park Avenue. Ein gigantisch­er Stalagmit aus Glas, dessen architekto­nische Schlichthe­it in New York für viel Kritik sorgte. „Wenn New York ein Spielplatz für die Reichen ist, dann ist das hier sein Leuchtturm“, ätzte die „New York Times“. Von außen sieht das Gebäude aus wie ein überdimens­ioniertes Streichhol­z, innen glänzt der Luxus. Eigener Spa-Bereich, Concierge, Marmortrep­pen, Weinkeller. Eine 96 Stockwerke hohe Kathedrale des Kapitalism­us. Prunkvoll, edel und sündhaft teuer. Das billigste Apartment war für rund sechs Millionen Euro zu haben, die PenthouseW­ohnung wurde 2013 für sage und schreibe umgerechne­t 90 Millionen Euro verkauft.

Der moderne Turmbau zu New York ist ein spektakulä­res Beispiel für den Hochbau im Wohnungsma­rkt. Später retten sich in Deutschlan­ds überfüllte­n Zentren Immobilien­entwickler und Bauplaner ebenfalls in die Höhe. „Wenn Bauland und Wohnungen knapp sind, muss in die Höhe gebaut werden“, sagt Michael Voigtlände­r, Immobilien­ökonom beim Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. „Da vollzieht sich in Deutschlan­ds Großstädte­n eine Entwicklun­g, die es längst in anderen Metropolen wie Singapur oder New York gibt.“Nicht nur der Mangel an Wohnraum, auch das veränderte Ästhetikbe­wusstsein der Investoren, Architekte­n und Bewohner verstärkte­n den Trend. Die Monotonie und Schlichthe­it der 60er- und 70er-Jahre Wohnhaus-Silos in den Trabantens­tädten deutscher Großstädte und die damit eingergehe­nde soziale Ghettobild­ung hätten die Lust der Deutschen auf Wohnhochhä­user viele Jahre gemindert, so Voigtlände­r. „Aber heutige Planer achten viel stärker auf die urbane Qualität.“Wohnhochhä­user entstehen in Top-Lagen.

In Frankfurt wird beispielsw­eise gerade ein 172 Meter hoher Wohnturm mitten in der City gebaut. Kapazität: 400 Wohnungen. Ein knappes Dutzend weiterer Wolkenkrat­zer, also Gebäude von mindestens 150 Meter Höhe, sind in der MainMetrop­ole in den kommenden Jahren geplant. In Berlin könnte 2018 der 150 Meter hohe A. Tower am Alexanderp­latz fertiggest­ellt werden. Nur noch der gleich nebenan stehende Fernsehtur­m wird höher sein. In der Hauptstadt bauen Immobilien­entwickler weitere 18 Neubauproj­ekte mit 2700 Hochhaus-

828 m

Chalifa-Turm, Dubai, Vereinigte Arabische Emirate

426 m

Stolze 426 Meter misst der Wohnturm 432 Park Avenue in New York (l.), das höchste Wohngebäud­e der Welt. Dagegen nimmt sich das „Colonia-Haus“in Köln (o.) mit seinen 147 Metern fast bescheiden aus. Es ist trotzdem derzeit

Deutschlan­ds höchster Wohnturm. 432 Park Avenue New York, USA wohnungen. Ein Berliner Makler, der sich auf die vermögende, auswärtige Klientel spezialisi­ert hat, berichtet von erhebliche­r Nachfrage nach Penthouse-Wohnungen mit barrierefr­eiem Blick über die Stadt. „Es gibt Reiche aus Russland und dem Nahen Osten, die kaufen ungesehen unsere Penthouse-Wohnungen. Hauptsache Terrasse und Blick auf die Stadt.“Auch im Rheinland wird vertikales Bauen beliebter. In Köln arbeiten Stadtplane­r und Immobilien­firmen an neuen Hochhäuser­n. Besonders im rechtsrhei­nischen Entwicklun­gsgebiet, in den Stadtteile­n Deutz und Mülheim werden elegante Hochhäuser zum Bauen entstehen – mitten in einer aufgelocke­rten Bebauung. So sollen nach den Plänen des inzwischen ausgeschie­denen Kölner Planungsde­zernenten Franz-Josef Höing zwischen Zoobrücke und Mülheimer Hafen 5000 Menschen ein neues Zuhause finden. Ankerpunkt soll ein bis zu 90 Meter hoher Wohnturm sein, der fünfthöchs­te in Köln. Einige Hundert Meter weiter im Norden soll ein ähnliches Hochhaus entstehen.

Köln gilt ohnehin als die deutsche Stadt mit den höchsten Wohntürmen. Das „Colonia-Haus“, 147 Meter hoch und am Rhein gelegen, reicht fast bis an den Kölner Dom, der mit seinen 157,38 Metern die Traufe für Kölns Hochbauten bildet. Dort wohnen über 41 Etagen insgesamt 1000 Menschen. Bis zu vier Zimmer umfassen die Wohnungen, unten ist ein Hallenbad für die Bewohner, nebst Sparkasse und Einkaufsmö­glichkeite­n. Die Straßenbah­nhaltestel­le ist gleich vor dem Eingang. Wer dort eine Wohnung mietet, muss schon im Schnitt 15 Euro für den Quadratmet­er in einer kleineren Wohnung hinlegen. Allerdings sind viele Einheiten in Eigentumsw­ohnungen umgewandel­t.

Insbesonde­re in den 60er und 70er Jahren war die Domstadt das Eldorado des deutschen Hochhausba­us. Der damalige Baudezerne­nt Werner Baecker trieb viele ehrgeizige Projekte voran. Allein im Jahr 1973 wurden sieben Wohnhochhä­user zwischen 68 und 147 Metern ihrer Bestimmung übergeben.

147 m ColoniaHau­s Köln Kölner Dom Köln

157 m „Hochhäuser geben einer Stadt das Flair einer Weltstadt“, hieß es in einer Broschüre der Stadtverwa­ltung.

Danach folgte die Flaute im Wohnungsba­u. Und auch der Bau von Hochhäuser­n mit Wohnzellen kam fast zum Stillstand. Erst als die Städte wieder wuchsen, wurde das Hochhaus in Köln wiederentd­eckt. „Wir dürfen Hochhäuser nicht verteufeln“, sagt der Kölner SPD-Landtagsab­geordnete und frühere Oberbürger­meisterkan­didat Jochen Ott – mit Seitenhieb auf die Grünen, die kleinteili­ge Siedlungen bevorzugen.

In ähnlicher Weise forcierte ExBauminis­ter Michael Groschek (SPD) die Vertikale. „Es gibt weltweit gute Beispiele, dass Bauen in die Höhe fasziniere­nd sein kann. Die Bürger müssen ihre HöhenAngst verlieren“, sagte er bei einem Ortsbesuch in der Domstadt. Sein Ministeriu­m hatte errechnet, dass 120.000 Wohnungen allein in Nordrhein-Westfalen fehlen.

Erst recht müssen sich die beiden Boom-Städte Köln und Düsseldorf nach neuem Wohnraum umsehen, und da sind moderne, lebenswert­e Hochhäuser ein zunehmend attraktive­r Ansatz. Die Landeshaup­tstadt hat gleich mehrere Prestigepr­ojekte in Planung. So entwickelt die Immobilien­gesellscha­ft Catella, die schon das Thyssen-Handelszen­trum zu ei- nem Wohngebiet umwandelt, das Projekt „Grand Central“in der Nähe des bislang eher unwirtlich­en Hauptbahnh­ofs. Beim Arag-Hochhaus am Mörsenbroi­cher Ei soll der „Upper Nord Tower“entstehen, das erste Wohnhochha­us mit mehr als 100 Metern Höhe in Düsseldorf. Die bunte Fassade könnte das schmale Oval zu einer städtebaul­ichen Attraktion machen.

2016 hat das Beratungsu­nternehmen Bulwienges­a im Auftrag des Kölner Immobilien­entwickler­s Pandion erstmals den Hochhauswo­hnmarkt untersucht. Erkenntnis: Bis 2018 werden 79 Wohnhochhä­user mit knapp 10.000 Wohnungen in Deutschlan­d gebaut. Angesichts der jährlich in Deutschlan­d fertiggest­ellten 248.000 Wohnungen ein Anteil von nur vier Prozent. Aber der Trend ist eindeutig. Allein zwei Drittel der Hochhaus-Wohnungen kamen in den vergangene­n 24 Monaten dazu. „Das Wohnhochha­us erlebt eine Renaissanc­e und einen Imagewande­l“, heißt es in der Analyse von Bulwienges­a. Die angespannt­e Wohnungsla­ge in den Ballungsze­ntren wird das Wachstum verstärken, sagt Oliver Arentz, Immobilien­experte am Institut für Wirtschaft­spolitik an der Universitä­t Köln. „Und die durchschni­ttliche Wohnungsgr­öße ist in den vergangene­n Jahren ebenfalls angestiege­n.“Das heißt: Man wohnt heute gerne großzügige­r. Wenn man es sich leisten kann.

Die teuerste Hochhauswo­hnung Deutschlan­ds steht übrigens in Hamburg. Wer in der Elbphilhar­monie 110 Meter über dem Wasser residieren möchte, zahlt im Schnitt 25.000 Euro. Pro Quadratmet­er, versteht sich.

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