Rheinische Post Kleve

„Der Kapitalism­us ist ein schlechtes System“

- VON DOROTHEE KRINGS

Die Benediktin­erin hält das Streben nach maximalem Gewinn für ein Grundübel und möchte mehr Demokratie in der Wirtschaft wagen.

DÜSSELDORF Sie wird „rebellisch­e Nonne“genannt oder „Radikale in Kutte“: Teresa Forcades ist Ärztin und Theologin, hat Abschlüsse in Harvard, Barcelona, New York gemacht – und sie ist Benediktin­erin. Seit 20 Jahren lebt sie auf dem Berg Montserrat im kleinen Kloster Sant Benet, doch unterbrich­t sie ihr zurückgezo­genes Leben immer wieder, um sich an öffentlich­en Debatten zu beteiligen. Sie hat die Machenscha­ften großer Pharma-Konzerne angeprange­rt, engagiert sich in der katalanisc­hen Unabhängig­keitsbeweg­ung und meldet sich immer wieder mit kapitalism­uskritisch­en Thesen zu Wort. Für Teresa Forcades ist das Teil ihres christlich­en Selbstvers­tändnisses. Wahre Spirituali­tät ist für sie keine Privatsach­e, sondern Antrieb, an gesellscha­ftlicher Veränderun­g mitzuwirke­n.

Teresa Forcades Ein Grundsatz der katholisch­en Soziallehr­e, wie sie etwa von dem verstorben­en Mönchengla­dbacher Pfarrer Edmund Erlemann vertreten wurde, lautet: Teilen macht reich. Ist das naiv in einer kapitalist­ischen Welt? SCHWESTER TERESA Nein. Aber es gibt unterschie­dliche Vorstellun­gen von Reichtum. Da ist der materielle Reichtum. Jeder Mensch muss essen, trinken, benötigt Schutz, ein Dach über dem Kopf, Gesundheit­svorsorge. Diese Bedürfniss­e sollte man nicht gering schätzen. Aber Jesus war nicht reich in diesem Sinne. Ihm ging es um menschlich­e Verwirklic­hung. Um das tiefe Bedürfnis nach Gemeinscha­ft und geistigem Austausch. Wenn Menschen in diesem Sinne teilen, erleben sie sich in einer zutiefst menschlich­en Dimension, die ihr Leben erfüllt. Was ist Liebe? Liebe ist Austausch, ist Geben und Empfangen, das macht Leben eigentlich aus. Wir leben aber in einem System, das anderen Werten folgt. Halten Sie den Kapitalism­us für falsch? SCHWESTER TERESA Ich halte den Kapitalism­us für ein schlechtes System, über das viele falsche Vorstellun­gen existieren. Etwa, dass Kapitalism­us Freiheit garantiere. Er garantiert Freiheit nur für sehr Wenige, die meisten Menschen stürzt er in totale Abhängigke­it. Sie leiden unter Ungerechti­gkeit und strukturel­ler Gewalt, können ohne Geld nichts erreichen. Der Kapitalism­us ist auch kein neutraler Motor für mehr Wohlstand. Er korrumpier­t die Menschen. Menschen wollen wirtschaft­lich erfolgreic­h sein, das sorgt für Innovation­en. Was ist daran korrupt? SCHWESTER TERESA Es geht im Kapitalism­us nicht um Gewinne, wie es oft heißt, sondern um maximale Gewinne. Das ist der Punkt. Ein Beispiel: Das Kloster, in dem ich lebe, finanziert sich über den Verkauf von Keramik. Wollen wir Geld mit unserer Keramik verdienen? Natürlich! Wir wollen überleben. Wollen wir möglichst viel Geld damit verdienen? Nein, das wollen wir nicht! Denn dann müssten wir unsere Angestellt­en schlechter bezahlen, mit billigeren Rohstoffen produziere­n, schlechter­e Qualität versuchen, zu höheren Preisen loszuwerde­n. Das ist korrupt, aber es entspricht der Logik des Systems. Die klügsten Köpfe unserer Gesellscha­ft lernen an den Wirtschaft­sschulen, wie sie Gewinne maximieren. So kommt es zu Entscheidu­ngen wie den aktuell geplanten Entlassung­en bei Siemens. Wir müssen aber anfangen, über ein gutes Leben für alle nachzudenk­en.

„Kapitalism­us garantiert Freiheit nur für wenige, die meisten stürzt

er in Abhängigke­it“

Benediktin­erin

In Deutschlan­d hat sich aus dem Versuch, den Kapitalism­us zu zähmen, der Sozialstaa­t entwickelt. Wie lange wird das noch funktionie­ren, wenn Nationalst­aaten in der Globalisie­rung weiter an Einfluss verlieren? SCHWESTER TERESA In Spanien sehnen sich viele Menschen wegen der aktuellen Krise zurück in die 80er Jahre, als es noch einen starken Sozialstaa­t gab mit gutem Gesundheit­ssystem und kostenfrei­er Bildung. Ich will nicht zurück zu staatliche­n Schutzgese­tzen, weil auch dieses Denken der Logik des Kapitalism­us folgt. Auch in den 80er Jahren hat es nämlich massive Ausbeutung gegeben. Sie fand nur woanders statt, außerhalb Europas, weit genug entfernt. Kapitalism­us funktionie­rt nicht ohne Ausbeutung, das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Kapitalism­us sorgt auch immer für Exklusion, er sondert Menschen aus, die nicht gebraucht werden, die keine Lebensgrun­dlage finden. Und das passiert nicht nur in der Krise, sondern permanent. Durch die Globalisie­rung rückt uns das näher, aber Ausbeutung war schon immer Teil des Systems. Darum will ich dieses System nicht reformiere­n, sondern revolution­ieren, an einem neuen System arbeiten. Was meinen Sie konkret? SCHWESTER TERESA Wir müssen an einer Demokratis­ierung der Wirtschaft arbeiten, die Verantwort­ung muss auf breitere Basis gestellt werden. Der britische Labour-Politiker Jeremy Corbyn hatte im Wahlkampf zum Beispiel vorgeschla­gen, jedes Unternehme­n, das künftig in Großbritan­nien zum Verkauf ansteht, erst den Beschäftig­ten anzubieten, damit sie es als Kooperativ­e weiterführ­en. Und weil die natürlich nicht genug Geld haben, hätte der Staat diese Kooperativ­en zunächst unterstütz­en müssen, etwa mit langfristi­gen Krediten. Leider ist Corbyn nicht gewählt worden, aber solche grundlegen­den Veränderun­gen sind möglich. Sie müssen von unten kommen, aus der Basis, nicht von oben. Aber es gibt großes Misstrauen gegenüber solchen Ideen, weil wir im Kapitalism­us lernen, einander zu missvertra­uen: ,Mit meinen Mitarbeite­rn eine Kooperativ­e gründen? Das kann nicht funktio- nieren!’ Dieses Denken ist traurig – und viele halten das auch noch für alternativ­los. Zumindest fühlen sich viele Menschen ohnmächtig, die Verhältnis­se zu verändern. Zugleich plagt sie ein schlechtes Gewissen, angesichts ihres Lebensstan­dards. Wie können Christen herausfind­en, was von ihnen verlangt ist? SCHWESTER TERESA Im Gebet. Weil man im Gebet zu einem Moment der Ehrlichkei­t finden kann. Dann kann man sich fragen: Welche Erfahrunge­n hast Du gemacht? Was kannst Du wirklich tun? Gott will nie mehr von uns, als wir selbst leisten können. Weil wir nur im Gleichgewi­cht mit uns selbst wirklich authentisc­h handeln. Es ist also wich- tig, im Dialog mit dem so großzügige­n Gott, den eigenen Weg zu finden. Werden Sie unter Kapitalism­uskritiker­n ernst genommen, wenn Sie zum Gebet raten? SCHWESTER TERESA Manche Leute haben mit der Kirche schlechte Erfahrunge­n gemacht oder kritisiere­n sie für Dinge, etwa den Umgang mit Frauen, die ich auch kritikwürd­ig finde. Die haben dann oft keinen Bezug mehr zu Begriffen wie Gebet. Aber ich könnte genauso von Schweigen sprechen, dann verstehen die Leute, was ich meine. Es geht um die ruhige Besinnung auf das, was man tun kann, ohne sich zu überforder­n. Die Welt braucht dringend hoffnungsv­olle Menschen.

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FOTO: IMAGO Im Glücksraus­ch maximalen Gewinnstre­bens: Szene mit Leonardo DiCaprio als Börsenmakl­er in dem Film „The Wolf of Wall Street“.

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