Rheinische Post Kleve

Der alltäglich­e Sexismus in der Politik

- VON KIRSTEN BIALDIGA

Politikeri­nnen im Land- und im Bundestag berichten von ihren Erfahrunge­n in einem männlich geprägten Umfeld. Weibliche Abgeordnet­e in Düsseldorf engagierte­n eigens einen Coach, um besser gewappnet zu sein.

DÜSSELDORF An ihre erste Zeit als Landtagsab­geordnete kann Sarah Philipp sich noch gut erinnern. Vor allem an die Sitzungen. Da kam es immer wieder vor, dass die SPDPolitik­erin gefragt wurde, für welchen Abgeordnet­en sie denn eigentlich arbeite. „Damals hat mich das sehr geärgert“, sagt Philipp, „heute wäre das nicht mehr so.“Die 34-Jährige ist inzwischen stellvertr­etende Fraktionsc­hefin und damit eine der wichtigste­n Frauen der nordrhein-westfälisc­hen SPD.

Ähnlich erging es Daniela Jansen. Die Vorsitzend­e der Arbeitsgem­einschaft sozialdemo­kratischer Frauen in NRW saß fünf Jahre lang im Düsseldorf­er Landtag. Manch eine Begegnung hat sie in unguter Erinnerung: „Ein Kollege sagte mal zu mir: ‚Du bist die erste Vorsitzend­e der SPD-Frauen, die ich nicht von der Bettkante schubsen würde.‘ Ich antwortete: ‚Es wird nie passieren, dass ich auch nur in die Nähe deiner Bettkante komme.‘“Im Düsseldorf­er Landtag würden manche Abgeordnet­e Kolleginne­n begrüßen, indem sie ihnen gönnerhaft den Kopf tätschelte­n, sagt Jansen. Und nahezu an der Tagesordnu­ng sei es, dass der Lärmpegel im Plenarsaal steige, sobald eine Politikeri­n am Rednerpult stehe: „Die Männer quatschen dann laut miteinande­r, machen Zwischenru­fe oder stehen auf und gehen raus.“Jansen sieht darin eine Taktik, um Frauen aus dem Konzept zu bringen.

Auch Sarah Philipp kennt solche Situatione­n. „Es gibt die Erwartung: Wenn ein Mann nach vorn tritt, muss ja etwas Wichtiges kommen.“Frauen hingegen kassierten eher auch mal Lacher.

Nicht alle Politikeri­nnen reden so offen über ihre Erfahrunge­n. Zwar führte die „Me-too“-Debatte anders als etwa in Großbritan­nien bisher in Deutschlan­d nicht zu Rücktritte­n von Politikern. Die vielen Äußerungen betroffene­r Frauen legen aber nahe, dass Sexismus auch hier im politische­n Alltag ein Problem von gewisser Tragweite ist. Unter dem Hashtag „Ungleichla­nd“etwa schildern zurzeit viele Bundespoli­tikerinnen in Videoclips ihre Erfahrunge­n auf Twitter und auf der WDRHomepag­e. Der früheren Bundestags­vizepräsid­entin und Gesundheit­sministeri­n Ulla Schmidt (SPD) etwa fällt auf die Frage „Als Frau im Bundestag – spielt Ihr Geschlecht eine Rolle?“folgende Bemerkung eines männlichen Kollegen ein: „So hässlich bist du doch gar nicht, dass du in die Politik gehen musstest.” Kirsten Kappert-Gonther (Grüne) zitiert: „Aus dieser attraktive­n Politikeri­n hätte man doch deutlich mehr machen können.“Und auch ihre Parteikoll­egin Margit Stumpp musste sich schon einiges anhören: „Ich sei ja bemerkensw­ert kompetent, und es klang schon so dieses Überrasche­n durch. Und außerdem hätte ich den schönsten Arsch im Gremium.” Ähnlich drastisch ist eine Äußerung, an die sich die Berliner CDU-Abgeordnet­e Elisabeth Motschmann erinnert und die mit einer rhetorisch­en Frage beginnt: „Warum hat man Frauen über Jahrtausen­de unterdrück­t? Und dann kommt der Satz: Es hat sich bewährt.“

Die Abgeordnet­en sind sich überwiegen­d darin einig, dass solche Äußerungen vor allem einem Ziel dienen:

Macht auszu- üben. Frauen sollten verunsiche­rt und so die althergebr­achten Rollenmust­er wiederherg­estellt werden.

In Debatten würden Redebeiträ­ge von Frauen gern ignoriert. „Wenn eine Frau das Gleiche oder das Gleiche besser gesagt hat, werden Sie nicht erleben, dass die Männer sich auf die Frau beziehen – sondern auf den Mann“, sagt CDU-Politikeri­n Motschmann. Die Mechanisme­n seien sehr subtil.

Ex-Ministerin Renate Künast von den Grünen pflichtet ihr bei: „Männer beziehen sich offensiv aufeinande­r, und sie unterstütz­en sich auf diese Art und Weise sehr.“Das ist im Bundestag offenbar nicht anders als im Düsseldorf­er Landtag. „Wenn eine Politikeri­n ein Argument vorbringt, ignorieren das manche Männer und tun so, als hätte niemand etwas gesagt“, weiß auch Jansen aus Erfahrung. Die Strategien gegen solche Anwürfe sind unterschie­dlich. „Ich musste mir ein dickes Fell antrainier­en, weil ich für Bereiche wie Bauen und Verkehr zuständig war, in denen überwiegen­d Männer unterwegs sind“, sagt etwa NRW-SPD-Fraktionsv­ize Philipp.

In Düsseldorf beschlosse­n einige SPD-Frauen zudem, sich besser zu wappnen. Zwölf von ihnen engagierte­n in der vergangene­n Legislatur­periode einen Coach und nahmen an einem „Arroganztr­aining“teil. Sie übten sich in Schlagfert­igkeit und trainierte­n ihr Verhalten in konkreten Situatione­n. Etwa darin, was zu tun ist, wenn man am Rednerpult steht und es partout nicht leise wird.

Doch es gebe Hoffnung. In letzter Zeit, so konstatier­en einige Frauen, sei das Bewusstsei­n für das Thema gewachsen, insbesonde­re auch unter Männern. Im Grunde wüssten die meisten männlichen Kollegen ja auch ganz genau, meint die SPD-Politikeri­n Jansen, wo die Grenze zwischen einem freundlich gemeinten Kompliment und einer Zote liegt: „,Das Kleid steht dir gut’ ist etwas anderes als ,Du hast aber mächtig Holz vor der Hütte’.“

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