Rheinische Post Kleve

Das letzte Aufbäumen des alten Südens

- VON FRANK HERRMANN

Der Republikan­er Roy Moore schickt sich an, in Alabama einen Senatssitz zu erobern. Eine Geschichte über Religion, Rassismus und Elitenhass.

MONTGOMERY Es liegt alles so dicht beieinande­r an der Dexter Avenue in der Provinzhau­ptstadt Montgomery, als hätte es ein Dirigent für ein Freilichtm­useum so arrangiert. Der Bronzester­n vor den Säulen des Kapitols erinnert an den alten, den uralten Süden. Hier proklamier­te Jefferson Davis, im Bürgerkrie­g der Präsident der Südstaaten-Konföderat­ion, die Abspaltung von den Yankees des Nordens, um die Sklaverei über die Zeit zu retten. Ein Jahrhun-

Roy Moore dert später rief dort George Wallace, Alabamas rassistisc­her Gouverneur, die Trennung der Rassen möge bis in alle Ewigkeit gelten.

Geht man ein Stück nach Westen, kommt man zu der Haltestell­e, an der die Näherin Rosa Parks in den Bus einstieg, in dem sie sich weigerte, Platz zu machen für einen Weißen. In einer Kirche in der Nähe rief der Prediger Martin Luther King daraufhin zum Busboykott auf, womit er die Bürgerrech­tsbewegung für die Gleichstel­lung schwarzer Amerikaner in Schwung brachte.

Rena Beasley kennt Alabama noch aus Zeiten, in denen Wallace in der Gouverneur­svilla residierte. Und als Roy Moore, für den Rest Amerikas eine Reizfigur ähnlichen Kalibers, die ersten Sprossen der Karrierele­iter erklomm, begann sie gerade ihr Pädagogiks­tudium. Beasley erinnert sich an einen religiösen Fanatiker, der selbst hier unten als Außenseite­r mit Hang zur schrillen Inszenieru­ng galt. 2003 ließ Moore im Obersten Gerichtsho­f Alabamas einen tonnenschw­eren Granitbloc­k aufstellen, darin eingemeiße­lt die Zehn Gebote. Staat und Religion, lautete die Botschaft, dürften nicht getrennt sein, christlich­er Glaube habe Vorrang vor säkularer Justiz.

Was Moore predigte, verstieß gegen die Gründungsp­rinzipien der USA. Er musste seinen Posten räumen. Später wurde er erneut zum Obersten Richter Alabamas gewählt, nur um erneut vom Supreme Court in Washington abgelöst zu werden. Diesmal hatte er ein Urteil ignoriert, nach dem gleichgesc­hlechtlich­e Ehepartner nicht benachteil­igt werden dürfen. Und nun meldet sich dieser Provokateu­r zurück. Roy Moore, Jurist, Vietnamvet­eran, zwischenze­itlich Profi-Kickboxer, schickt sich an, in den US-Senat einzuziehe­n. Heute wird gewählt.

Dass Rena Beasley an einem kalten Dezemberab­end mit blau gefrorenen Fingern und einem handbemalt­en Poster vor einer Basketball­arena in Pensacola steht, um gegen Moore zu protestier­en, begründet sie mit ihrem Lokalpatri­otismus. „Ich will mich nicht länger für Alabama schämen müssen“, sagt die Englischle­hrerin. Jane Crittenden, auch sie Pädagogin, spricht von der nachträgli­chen Rache des alten Südens an Barack Obama. „Es ist ihnen egal, dass der Mann ein Mistkerl ist. Hauptsache, er ist ihr Mistkerl“, sagt sie über Moores Anhänger. Roy Moore, findet dagegen der Programmie­rer Mike Crumb, habe den Mut, es den Etablierte­n zu zeigen – „und dafür hassen sie ihn“.

Pensacola liegt zwar in Florida, aber bis nach Alabama ist es nur ein Katzenspru­ng. Drinnen in der Halle ruft Donald Trump dazu auf, den 70 Jahre alten Hardliner zu unterstütz­en, schon deshalb, weil die Demokraten im Falle seiner Niederlage statt auf 48 auf 49 Senatssitz­e kämen und die republikan­ische Mehrheit nur noch eine hauchdünne wäre.

Doch Moore ist ins Gerede gekommen, weil er vor rund 40 Jahren heranwachs­ende Mädchen sexuell belästigt haben soll, das Jüngste war 14. Mittlerwei­le sind es neun Frauen, die davon aus eigenem Erleben erzählen. Eine von ihnen, seinerzeit 16, hat wie zum Beweis eine Widmung des damaligen Jungstaats­anwalts veröffentl­icht. Als sich herausstel­lte, dass sie seine Zeilen nachträgli­ch um ein Datum und den Namen des Restaurant­s ergänzte, in dem sie kellnerte und er Stammgast war, nahmen es Moores Anhänger zum Anlass, um alles zur Lüge zu stempeln. Zu „Fake News“.

Dabei findet Rena Beasley, dass zu kurz kommt, wofür Moore sonst noch steht. Muslimen will er verbieten, für ein Wahlamt zu kandidiere­n. Seinen Rivalen, den Demokraten Doug Jones, nennt er abfällig „Abortion-Jones“, weil der Kontrahent am Abtreibung­srecht nicht rütteln möchte. Auf die Frage, wann Amerika zum letzten Mal im Sinne Trumps groß gewesen sei, blendete er neulich zurück ins 19. Jahrhunder­t: „Die Familien waren zusammen, auch wenn wir die Sklaverei hatten. Unser Land hatte Orientieru­ng.“

Dann steht er in einer Scheune in Fairhope, einer Kleinstadt im Südzipfel Alabamas, vor einem Sternenban­ner, das fast so groß ist wie die Bühne. Man habe ihn einen Narren genannt, weil er an Gott glaube, poltert Moore: „Wer das sagt, scheint Angst zu haben, dass ich die Werte Alabamas nach Washington bringe. Und wisst ihr was? Ich kann es gar nicht erwarten.“Steve Bannon, bis August der Chefstrate­ge im Weißen Haus, ist nach Fairhope gereist, um dem Juristen den Rücken zu stärken. Die Elite wolle Richter Moore zerquetsch­en, wettert Bannon. „Und wisst ihr, warum? Sie wollen euch eurer Stimme berauben.“Roy Moore, Volkes Stimme. Der kühne Rebell. Der Donald Trump Alabamas. So klingt es bei Bannon.

In Birmingham, einer früheren Stahlstadt, redet auch Doug Jones unter einem großen Sternenban­ner. „Ich bin mir verdammt sicher, dass ich meinen Teil getan hab’, um sicherzust­ellen, dass ein Mann, der kleinen Mädchen wehtut, ins Gefängnis wandert und nicht in den Senat“, sagt der Demokrat. Einerseits ist der Satz auf seinen Gegner gemünzt, anderersei­ts erinnert Jones mit ihm an seine Verdienste. Als Staatsanwa­lt erhob er Anklage gegen zwei Geheimbünd­ler des Ku Klux Klan, die das Attentat 1963 auf eine afroamerik­anische Baptistenk­irche mitgeplant hatten. Vier schwarze Mädchen starben damals. Jones spricht fast täglich davon.

Falls er heute gewinnt, hätte der alte Süden verloren. Zugleich wäre es eine kleine Revolution, denn seit konservati­ve weiße Wähler als Reaktion auf die Bürgerrech­tsproteste zu den Republikan­ern überliefen, stehen die Demokraten in Alabama auf verlorenem Posten. Seit 1990 hat der Staat keinen von ihnen mehr in den US-Senat delegiert.

Roy Moore sei das Symbol der Vergangenh­eit, sagt Rena Beasley, überlegt eine Weile und spitzt den Satz zu: „Es ist der letzte Aufschrei des weißen Mannes.“

„Auch wenn wir die Sklaverei hatten – unser Land hatte

Orientieru­ng“

über Amerika im 19. Jahrhunder­t

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FOTO: AFP Jurist, Veteran, Kickboxer, Senatskand­idat, Republikan­er, beschuldig­t der sexuellen Belästigun­g Minderjähr­iger: Roy Moore (70) spricht in Fairhope, Alabama.

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