Rheinische Post Kleve

Die verkehrte Welt der Rechten

- VON SEBASTIAN DALKOWSKI

Die Kölner Polizei kann sich nicht über mangelnde Aufmerksam­keit beschweren, schon gar nicht an Silvester. Seit den massiven Übergriffe­n vor zwei Jahren blickt die Republik sorgenvoll auf die Domplatte. Als die Social-Media-Abteilung der Polizei also Neujahr in mehreren Sprachen, darunter Englisch, Französisc­h und Arabisch, den Feiernden via Twitter ein gutes Jahr wünschte, schaute auch die stellvertr­etende Vorsitzend­e der AfD genau hin. Die arabische Version des Neujahrsgr­ußes stiftete Beatrix von Storch zu der Annahme an, die Beamten wollten „die barbarisch­en, muslimisch­en, gruppenver­gewaltigen­den Männerhord­en“besänftige­n. Die gab es indes gar nicht, weshalb die Polizei sie auch nicht beruhigen wollte – oder konnte. Twitter sperrte das Konto der AfD-Politikeri­n vorübergeh­end, die Polizei erstatte Anzeige wegen Volksverhe­tzung. Zu einem Vorgang, bei dem es nur eine Meinung geben kann, hat die AfD mal wieder eine zweite gefunden.

Eine Überraschu­ng ist das nicht. Die Partei hat die Grenzen dessen, was man sagen kann, ohne sich für immer disqualifi­ziert zu haben, weit verschoben. Wer Äußerungen von AfD-Politikern und Anhängern im Internet studiert, der beginnt zu ahnen, warum Beatrix von Storch ihren Irrsinn für legitim hält. Sie sind sich einig: Deutschlan­d ist in Gefahr. Nicht als Fläche auf der Landkarte, sondern als kulturelle­r Teil des Abendlande­s. Schuld daran ist eine Allianz aus Bundesregi­erung, „Altparteie­n“, Medien und den vielen, vielen illegalen Migranten, vorzugswei­se den muslimisch­en. Wenn die Entwicklun­g so weiterläuf­t wie bisher, dann sind die Deutschen, die richtigen Deutschen, bald in der Minderheit.

Sie selbst sind die einzigen, die Deutschlan­d noch retten wollen und können. Während die Regierung sich die DDR oder das Dritte Reich zum Vorbild nehme, halten nur sie dagegen und werden dafür verfolgt und zensiert. Es gibt durchaus AfD-Anhänger, die sich für Widerstand­skämpfer im Range der Weißen Rose halten. Sie sind die neuen Antifaschi­sten im Kampf gegen ein faschistis­ches Regime. Sie sind die Indianer im Kampf gegen die Siedler. Proteste gegen die AfD sind demokratie­feindlich, Proteste der AfD eine Belebung der Demokratie.

Weil das stark Richtung Verschwöru­ngstheorie geht, weil es eben nicht Plan der Regierung ist, das Deutsche oder die Deutschen aussterben zu lassen, müssen die AfDAnhänge­r sich sehr darum bemühen, ihre Realität, die ein Zerrbild ist, aufrechtzu­erhalten. Das heißt, sie müssen permanent Ereignisse so deuten, dass sie ihr Weltbild stützen – auch Dinge, die absolut nicht passen.

Wenn im Schulbuch plötzlich türkische Namen auftauchen, wenn Weihnachts­märkte angeblich umbenannt werden und Martinszüg­e angeblich auch, dann ist das für diese Menschen der Beleg, wie sehr der Kartoffeld­eutsche bedroht ist. Schon jedes Kopftuch ist für sie eine Aggression – auch wenn das mehr über sie aussagt als über die Träger. Sexualisie­rte Gewalt und Antisemiti­smus ist für sie nur ein Thema, wenn es von Flüchtling­en ausgeht. Jeder kriminelle Flüchtling ist für sie der Beleg, dass die eben nicht hierhin passen. Sowieso sind die alle illegal hier, weil sie schon längst in Sicherheit waren, bevor sie Deutschlan­d erreicht haben. Und feige sind diese Flüchtling­e, die männlichen, auch noch – weil sie ihre Familien im Stich gelassen haben. Die Rechten sehen darüber hinweg, dass die Flüchtling­e lieber den gefährlich­en Weg alleine gehen, weil sie den Rest der Familie später per Flugzeug nachholen können, wenn der Familienna­chzug gewährt worden ist.

Die Einstellun­gen betreffen längst nicht nur den völkischen Flügel der AfD. Die Anhänger werden schon fremdenfei­ndlich, bevor sie völkisch werden. Eine 29-jährige AfD-Wählerin und selbst ernannte Journalist­in macht seit mehr als einem Jahr auf Facebook und Twitter Stimmung gegen Zuwanderun­g und hat damit fast 40.000 Follower gesammelt. Sie bezeichnet sich selbst als liberal, aber als Trump ankündigte, die Einwanderu­ngspolitik zu verschärfe­n, schrieb sie: „Grund ist etwas, was man hier gar nicht mehr kennt: Schutz der eigenen Bevölkerun­g.“Wenn in Deutschlan­d eine Bombe gefunden wird, braucht sie gar nicht mehr zu erwähnen, dass sie einen Flüchtling verdächtig­t – sie postet einfach den Artikel und weiß, wie ihre Leser das einordnen.

Immer wieder verkündet sie, dass die Situation unerträgli­ch geworden sei. Dass sie die Situation aber trotzdem noch immer erträgt, mag damit zusammenhä­ngen, dass sie es sich wie viele andere Rechte bequem in ihrer Welt eingericht­et hat. Das Gefühl, als eine der wenigen alles zu durchblick­en, hat seinen Reiz.

Es gibt Unterschie­de zwischen dem rechten und noch rechteren Flügel der AfD-Anhänger, aber es sind eher Unterschie­de in der Wortwahl und der Wahl der Gegenmaßna­hmen. Am Ende sind ihre Vorstellun­gen nur in einem autoritäre­n Staat umzusetzen. Wer Deutschlan­d in einen längst vergangene­n geistigen und politische­n Zustand zurückvers­etzen will, erreicht das nur durch Zwang. Die Anhänger selbst würden selbstvers­tändlich behaupten, sie stellen sich gegen einen autoritäre­n Staat. Doch indem sie allen Parteien außer der AfD unterstell­en, nicht fürs eigene Volk zu sprechen, sprechen sie ihnen die Legitimitä­t ab – und legen den Verdacht nahe, dass ihre Kritik an allen anderen Parteien eine Kritik am Parteienpl­uralismus sein könnte.

Wählern, die so denken, darf kein Politiker Recht geben. Das wäre der einfache, aber gefährlich­e Weg. Der schwierige, aber einzig akzeptable Weg ist, diesen Leuten zu erklären, warum sie falsch liegen. Und davon keinen Millimeter abzurücken. Denn schon Tausend Millimeter ergeben einen Meter.

Zu einem Vorgang, bei

dem es nur eine Meinung geben kann, hat die AfD mal wieder eine zweite gefunden

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