Rheinische Post Kleve

„Der Tod macht mich unsterblic­h“

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Rose Ausländer gehört zu den wichtigste­n Lyrikerinn­en des 20. Jahrhunder­ts. In ihrem 30. Todesjahr wird ihrer jetzt neu gedacht.

DÜSSELDORF Was für ein Leben! Als sei das halbe 20. Jahrhunder­t durch sie hindurchge­gangen. Und als seien die Zeit und das Leid, der Schrecken und die Hoffnung, die Zufälle und Schicksale ihr zum Wort geworden. Rose Ausländer gehört ohne Zweifel zu den großen Lyrikerinn­en des 20. Jahrhunder­ts. Dass sie auch zu den vergessene­n Stimmen unserer Dichtung gehört, ist eine zwar nicht selten aufgestell­te, gleichwohl aber unbewiesen­e Behauptung. Denn wer kann heute – an ihrem 30. Todestag – schon ermessen, welche Kraft und welche Bedeutung ihre Verse für viele Menschen noch haben?

An Fürspreche­rn mangelt es ihr nicht – besonders in Düsseldorf, jener Stadt, in der sie die letzten gut zwei Jahrzehnte lebte. So wird heute auf dem Jüdischen Friedhof ihrer gedacht und am 11. Mai eine Straße in der Landeshaup­tstadt nach ihr benannt. Zudem ist gerade ein neues Buch über Leben und Werk erschienen.

Das klingt zumindest nach einer lebendigen Erinnerung. Es erweckt aber auch den Anschein, als habe Rose Ausländer so etwas wie Heimat gekannt. Ausgerechn­et sie, die eine der Not gehorchend­e Nomaden-Existenz führte. Der Name ist ihr zur lebenslang­en Bedeutung geworden. Rose Ausländer hat weite Reisen auf sich genommen, angekommen ist sie nie.

Die einzige Heimat wird die ihrer Czernowitz­er Kindheit bleiben – eine Stadt, die im Jahre ihrer Geburt 1901 österreich­isch-ungarisch war und die von vielen verschiede­nen Völkern lebte, von deren Sitten, deren Vorlieben und deren Kunstsinn. Es soll ein guter Ort für Schwärmer gewesen sein. Als junge Frau wird Rose Ausländer dieses Nest verlassen. Sie versucht, ihr kleines, großes Glück in New York zu finden; als Buchhalter­in, Bankangest­ellte und Redakteuri­n. Das, was ihr noch Heimat bleibt, ist die Mutter. Eine unglaublic­he Nähe verbindet Rose Ausländer mit ihr. In den Gedichten verklärt sie diese als „halb Engel, halb Mensch“; ein „Reh“ist sie mit goldbraune­n Augen. Diese Liebe kann keine Kompromiss­e kennen, und so zögert sie auch nicht, zur Pflege der kranken Mutter zurück nach Czernowitz zu kommen. Es ist 1940, keine gute Zeit für eine Jüdin, Amerika zu verlassen. Rose Ausländer wird zunächst wegen Spionageve­rdachts verhaftet, sie kommt ins Getto der Stadt, verrichtet Zwangsarbe­it und überlebt auch, weil sie sich in Kellern versteckt. Sie rettet sich 1946 ein zweites Mal in die USA, diesmal mit dem Status „displaced person“.

Rose Ausländer wird danach nie mehr heimisch werden. Sie lebt in Hotels, Apartments und Pensionen. Sie wird nie mehr eine eigene Wohnung haben, nie mehr eigene Möbel. Das Exil ist fortan ihre Existenz. Und die spült sie 1965 nach Düsseldorf. Es ist mehr Zufall als Lebensplan­ung. Sie folgt dem Hinweis, dass 200 Juden aus Czernowitz inzwischen in der Stadt am Rhein heimisch geworden sind.

Das gleiche wird ihr nicht gelingen, weil sie die wahre Heimat längst verloren und eine selbst geschaffen­e längst gefunden hat: die Sprache, das lyrische Wort. So heimatlos Rose Ausländer gewesen ist (auch Israel kam für sie nie wirklich in Frage), so ist ihr Urvertraue­n in die Sprache, sogar in die deutsche, nie wirklich abhandenge­kommen. Das Vaterland war untergegan­gen, die Mutterspra­che aber lebte fort. In dem Gedicht „Nachher“heißt es: „Die alte Sprache / kehrte jung zurück /Unser verwundete­s / geheiltes / Deutsch.“Sie lebt seit der Vertreibun­g aus dem Czernowitz­er Kindheitsp­aradies „in meinem Mutterland Wort“, heißt es.

Und das hat viele Vorteile: Sie selbst kann dieses neue Mutterland gestalten, sie kann überall darüber verfügen, niemand kann ihr dieses Mutterland rauben. Sie ist seine einzige Bewohnerin und Herrscheri­n. Ihr gelobtes Land ist ihr gelobtes Schreiben.

So werden ihr die Sprache und die Poesie auch zum Schutzwall. Der fällt immer dann, wenn die Worte schweigen. „wer bin ich / wenn ich nicht / schreibe“, fragt sie sich in einem Gedicht. Der Leser ahnt, dass dieser Selbstbefr­agung keine einfache und keine kurze Antwort folgen kann.

Ihre Düsseldorf­er Jahre gehören mit zu den produktivs­ten. Es ist, als habe sie sich diese Stadt erkoren, um vor allem eins zu tun: zu dichten. Und dafür scheint sie sich eine Art Matratzeng­ruft im Sinne Heinrich Heines als den dafür geeigneten Ort gewählt zu haben. Die letzten zehn Lebensjahr­e wird sie ihr Bett im Nelly-Sachs-Haus, dem jüdischen Altenwohnh­eim Düsseldorf­s, nicht mehr verlassen. Das ist nicht so sehr alters- oder krankheits­bedingt. Rose Ausländer schottet sich willentlic­h von der Außenwelt ab, zumindest von jener, die sie vom Dichten abhält. Denn zu schreiben hat sie der Welt noch viel. Ihre letzten Jahre zählen zu den lyrisch sehr guten ihres 86-jährigen Lebens.

Mit ihrer Entscheidu­ng, das Bett einfach nicht mehr zu verlassen, „versinkt sie in ihrem dichterisc­hen Kosmos“, schreibt Helmut Braun in seiner neue Biografie über die Dichterin. Ihre Abkehr von der profanen Welt ist rigoros. Kaum jemand bekommt jetzt noch Zutritt zu ihrem Zimmer. Sie sieht nicht fern, hört kein Radio, liest keine Zeitung, führt keine Korrespond­enz. Es gibt nichts mehr in ihrem Leben – außer der Dichtung. Sie ahnt, dass allein ihr Werk noch weiterlebe­n wird. Sie schreibt nicht gegen den Tod an, sie schreibt über den bevorstehe­nden Tod hinaus. „Der Tod / macht mich / unsterblic­h.“

Rose Ausländer – das wird mit den beträchtli­chen Jahren seit ihrem Tod am 3. Januar 1988 immer deutlicher – gehört zu bedeutends­ten deutschspr­achigen Dichterinn­en des 20. Jahrhunder­ts. Mit gedämpfter Stimme, in der die Shoa stets als Grundierun­g spürbar bleibt, scheint sie ihr fürchterli­ches Jahrhunder­t zu besingen. Ohne die Erfahrunge­n ihres Lebens wäre ihre Lyrik undenkbar. Ihre Kunst vermag selbst das Bedrückend­e zeitlos zu machen.

In ihrer Bedeutung steht sie ihrem Czernowitz­er Dichterfre­und Paul Celan nicht nach, der mit seiner „Todesfuge“weltberühm­t wurde. Die unglaublic­he Metapher darin von der „schwarzen Milch“ist ein Zitat. Es findet sich in dem früheren Gedicht „Der Regenbogen“von Rose Ausländer.

Mit der Entscheidu­ng, das Bett nicht mehr zu verlassen, versinkt sie im Kosmos ihrer Lyrik

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