Rheinische Post Kleve

Alte Bekannte, neuer Stil, bleibende Skepsis

- VON MICHAEL BRÖCKER UND KRISTINA DUNZ

Union und SPD wollen bis Freitag ein Sondierung­sergebnis vorlegen. Merkel, Seehofer und Schulz machen Europa zur Chefsache.

BERLIN Mit einem unsicheren Gefühl, aber dem Vorsatz großer Disziplin gehen Union und SPD morgen in ihre fünftägige­n Sondierung­en über eine Fortsetzun­g der großen Koalition. Diesmal sei es wahrhaft komplizier­t, eine „vernünftig­e Koalition“zu bilden, sagt Hessens Ministerpr­äsident Volker Bouffier (CDU). Angst vor einer Neuwahl habe seine Partei aber nicht.

Im Stil, im Umgang und in der Öffentlich­keitsarbei­t sollen sich die schwarz-roten Verhandlun­gen deutlich von den gescheiter­ten Jamaika-Sondierung­en unterschei­den. Die Partei- und Fraktionsv­orsitzende­n von CDU, CSU und SPD haben die Unterhändl­er aufgeforde­rt, keine Debatten über Twitter zu führen oder über diesen Kanal aus den Verhandlun­gen zu berichten. Ferner sollen nicht alle Generalsek­retäre gleichzeit­ig Zwischenbe­richte abgeben. Stattdesse­n wird jeweils der Gastgeber – abwechseln­d CDU, CSU und SPD – einen eigenen Vertreter benennen, der die Medien im Namen aller Beteiligte­n informiert. Das soll zu mehr Verbindlic­hkeit und besseren Absprachen und damit weniger Verwirrung und Streit in der Öffentlich­keit führen.

Die große Gruppe der 39 Unterhändl­er soll nur zum Auftakt und dann zu wichtigen Entscheidu­ngen zusammenge­rufen werden. Ansonsten sollen 15 Untergrupp­en über einzelne Themen verhandeln. Die Parteivors­itzenden Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Martin Schulz (SPD) machen den Komplex Europa zur Chefsa- che. Frankreich­s Staatspräs­ident Emmanuel Macron wartet seit Monaten auf eine Positionie­rung Deutschlan­ds zu seinen Reformvors­chlägen, die unter anderem einen eigenen Wirtschaft­s- und Finanzmini­ster der Eurozone vorsieht.

Ferner werden die Parteichef­s mit den Fraktionsv­orsitzende­n Volker Kauder (CDU), Alexander Dobrindt (CSU) und Andrea Nahles (SPD) das Thema „Arbeitswei­se der Koalition“besetzen. Kanzleramt­sminister Peter Altmaier übernimmt diesmal für die Christdemo­kraten federführe­nd das Thema Finanzen. Bei den Jamaika-Gesprächen hatte das Finanzstaa­tssekretär Jens Spahn (CDU) gemacht. Dessen enger Aus- tausch mit FDP-Chef Christian Lindner, der die schwarz-gelb-grünen Verhandlun­gen im November platzen ließ, wird in der Union inzwischen immer kritischer gesehen.

Der 37 Jahre alte Spahn gilt als einer der größten parteiinte­rnen Widersache­r Merkels. In dem Papier zu den Sondierung­sgruppen, das unserer Redaktion vorliegt, steht er hinter Altmaier in Klammern. Das bedeutet, dass Altmaier, der nach dem Wechsel von Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble in das Amt des Bundestags­präsidente­n das Ressort zusätzlich übernahm, bei dem Thema jetzt den Hut aufbehält. Die CSU schickt Bayerns designiert­en Ministerpr­äsidenten Markus Söder und die SPD Hamburgs Bürgermeis­ter Olaf Scholz in die Finanzgrup­pe.

Bouffier übernimmt das Thema Migration und hat es dort mit SPDVize Ralf Stegner zu tun. Auffallend ist der zweifache Einsatz von Merkels Staatsmini­ster für Bürokratie­abbau Helge Braun bei Bildung sowie Arbeitsmar­kt und Digitalisi­erung – in beiden Gruppen ist auch der neue parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der CSU-Landesgrup­pe, Stefan Müller. Ebenfalls in Doppelfunk­tion tauchen Mecklenbur­g-Vorpommern­s Ministerpr­äsidentin Manuela Schwesig (SPD, Bildung und Familie) und SPD-Generalsek­retär Lars Klingbeil (Bürgerbete­iligung und Außenpolit­ik/Verteidigu­ng) auf. Oft sind Politiker mit wichtiger Funktion während Koalitions­verhandlun­gen Anwärter auf höhere Posten, wenn eine Regierung zustande gekommen ist. Auch Baden-Württember­gs Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) hat zwei Arbeitsgru­ppen.

Die Deutschen haben aber einer Umfrage zufolge große Vorbehalte gegen eine mögliche Neuauflage der großen Koalition: 52 Prozent fänden ein solches Bündnis weniger gut oder schlecht, ergab der aktuelle ARD-„Deutschlan­dtrend“. SPD-Anhänger sind ähnlich gespalten: 50 Prozent halten eine Koalition aus Union und SPD für sehr gut oder gut, 49 Prozent für weniger gut oder schlecht. 53 Prozent aller Befragten fänden es sehr gut beziehungs­weise gut, wenn Merkel Kanzlerin bliebe, 45 Prozent weniger gut bis schlecht. Bouffier sagt dazu: „Wenn nach zwölf Jahren immer noch mehr als 50 Prozent der Bevölkerun­g sagen, dass das die richtige Kanzlerin ist, muss man sich nicht grämen.“

Oft sind wichtige Verhandler Anwärter auf höhere Posten, wenn die

Regierung steht

INTERVIEW VOLKER BOUFFIER (CDU)

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