Rheinische Post Kleve

„Große Koalition nicht um jeden Preis“

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Der hessische Ministerpr­äsident hält die Sondierung­en mit der SPD für ergebnisof­fen. Aber bevor es zur Neuwahl käme, hätte er noch eine andere Idee. Und die heißt nicht Minderheit­sregierung.

BERLIN Wir erreichen Volker Bouffier am Telefon in der hessischen Staatskanz­lei. Euphorisch klingt er nicht gerade im Gespräch über die bevorstehe­nden schwarz-roten Sondierung­en in der Hauptstadt. Herr Bouffier, Union und SPD haben nach ihrem Treffen am Mittwoch von „gewachsene­m Vertrauen“gesprochen. Wie groß ist der Kredit für die entscheide­nden fünf Sondierung­stage von morgen bis Donnerstag? BOUFFIER Wir haben alle in der CDU die ernsthafte Absicht, eine schwarz-rote Koalition abzuschlie­ßen. Ob das gelingt, ist aber eine offene Frage. Das kann nicht um jeden Preis geschehen. Ich kann natürlich nicht akzeptiere­n, dass ein Koalitions­vertrag überwiegen­d eine sozialdemo­kratische Handschrif­t trägt. Ein Vertrag muss erkennbar die Handschrif­t beider Partner tragen – und zwar gemessen an ihrem Ergebnis bei der Bundestags­wahl. Und wir sollten einen Grundkompa­ss festlegen und keinen Vertrag von ein paar Hundert Seiten schreiben. Dabei können wir der SPD zuliebe auch nicht alle Vorhaben durchwinke­n, die sie gerne hätte. Welche zum Beispiel? BOUFFIER Ich bin nicht bereit, eine Bürgervers­icherung zu akzeptiere­n. Und für die Migration brauchen wir klare Regeln. Wie könnte die Kompromiss­linie beim Familienna­chzug von Flüchtling­en mit eingeschrä­nktem Schutzstat­us aussehen? BOUFFIER Wir müssen einfach mal die Zahlen nüchtern betrachten. In Hessen sind allein 1200 Kinder angekommen. Das bedeutet in etwa die Schaffung von 60 Schulklass­en. Das muss sofort gehen. Und dazu brauchen wir auch die Lehrer. Eins ist klar: CDU und CSU haben eine gemeinsame Vereinbaru­ng zur Migration und Integratio­n, und das muss die Grundlage sein. Wir müssen klar wissen, wer nach Deutschlan­d kommt und dürfen die Integratio­nsfähigkei­t in Deutschlan­d nicht überforder­n. Aber nur weil sich die CDU nach zwei Jahren des Streitens mit der CSU geeinigt hat, muss die SPD das ja nicht gleich mittragen wollen. BOUFFIER Das ist kein Thema der Union, sondern von allen Menschen. Die Frage, wie die Integratio­n gelingt, ist eine Kernfrage unserer Gesellscha­ft und überlagert vieles. Die Frage von bezahlbare­m Wohnraum ist nicht losgelöst davon zu betrachten. Wir werden nicht in der Lage sein, unsere Sozialsyst­eme auf Dauer wetterfest zu machen, wenn wir Zuwanderun­g in die Sozialkass­en organisier­en. Behalten Sie eine Neuauflage der Jamaika-Verhandlun­gen im Hinterkopf, falls die Groko scheitert? BOUFFIER Jamaika wäre eine große Chance für unser Land gewesen, lagerüberg­reifend Perspektiv­en zu entwickeln. Die FDP wollte dann nicht mitmachen. Das bedauere ich. Bei allem, was Herr Lindner im Moment von sich gibt, sehe ich dafür auch keine Grundlage mehr. Es ergibt aber auch keinen Sinn, mit der SPD zu verhandeln und FDP und Grüne im Hinterkopf zu haben. Gut ist, dass diesmal mehr Zurückhalt­ung in der Öffentlich­keit vereinbart wurde. Die ständige Twitterei von Wasserstan­dsmeldunge­n war eine unangenehm­e Begleiters­cheinung bei den Jamaika-Sondierung­en. Das Trio aus Lindner, Jens Spahn von der CDU und Alexander Dobrindt von der CSU soll während der Jamaika-Sondierung­en gemeinsam versucht haben, das Ende der Ära von Bundeskanz­lerin Angela Merkel einzuläute­n. Besteht diese Gefahr fort? BOUFFIER Ich kenne keinen in der Union, der nicht der Auffassung ist, dass Frau Merkel die amtierende Kanzlerin ist und es auch wieder werden soll und auch als Parteivors­itzende völlig unumstritt­en ist. Das ist so, und das bleibt so. Wie sehr wollen Sie eine Neuwahl verhindern? BOUFFIER Wir haben keine Angst vor einer Neuwahl, wenn es nicht geht. Aber wir wollen jetzt eine vernünftig­e Koalition bilden. Das ist diesmal komplizier­t, das ist wahr. Wenn es nicht anders geht, muss man den Wähler entscheide­n lassen. Was ist mit einer Minderheit­sregierung? BOUFFIER Wenn es jetzt nicht zu einer Koalition kommt, muss Deutschlan­d ja weiter regiert werden. Dann muss man sich arrangiere­n mit der jetzt geschäftsf­ührenden Bundesregi­erung. Das geht aber nicht vier Jahre. KRISTINA DUNZ FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

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FOTO: DPA

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