Rheinische Post Kleve

Ex-Fußballpro­fi auf A 4 beschossen

- VON GIANNI COSTA UND CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

Auf den Wagen von Deniz Naki ist auf der Autobahn bei Düren geschossen worden. Zwei Kugeln schlugen ein. Der ehemalige Spieler vom FC St. Pauli blieb unverletzt. Er vermutet, dass der türkische Geheimdien­st dahinterst­eckt.

DÜREN Es ist etwa 23 Uhr am Sonntagabe­nd, als der deutsch-türkische Fußballpro­fi Deniz Naki mit seinem SUV die Autobahn 4 in Fahrtricht­ung Köln befährt. Der ehemalige Spieler vom FC St. Pauli ist auf dem Heimweg von Aachen nach Düren, als er plötzlich aus einem vorbeifahr­enden Kombi heraus beschossen wird. „Ich habe mich sofort weggeduckt und bin auf den Standstrei­fen gerollt“, sagte Naki der „Welt“. Eine Kugel schlägt in einem Fenster ein, eine weitere neben einem Reifen. Der 28-Jährige selbst bleibt unverletzt. Er vermutet, dass der türkische Geheimdien­st hinter dem Mordanschl­ag steckt. Oder ein Anderer, dem seine politische Haltung als Gegner des türkischen Staatspräs­identen Recep Tayyip Erdogan nicht passe.

„Ich muss sagen, dass ich so etwas noch

nicht erlebt habe“

Katja Schlenkerm­ann-Pitts

Staatsanwa­ltschaft Aachen

Die zuständige Staatsanwa­ltschaft Aachen bestätigte den Anschlag. Man stehe aber noch am Anfang der Ermittlung­en und könne deshalb noch nichts zum Motiv sagen. Der Wagen werde derzeit von Kriminalte­chnikern untersucht. „Wir ermitteln in alle Richtungen und nehmen seinen Hinweis auf einen politische­n Hintergrun­d sehr ernst“, sagte Behörden-Sprecherin Katja Schlenkerm­ann-Pitts. „Aber auch ich muss sagen, dass ich so etwas noch nicht erlebt habe“, betonte sie. Auch aus Polizeikre­isen hieß es, dass dieser Fall ungewöhnli­ch sei und an Szenen aus Hollywoodf­ilmen erinnere. Nach Informatio­nen unser Redaktion sollen die Schüsse bei Tempo 130 abgegeben worden sein. Eine Mordkommis­sion untersucht nun, wer auf Naki schoss.

Der gebürtige Dürener gilt als einer der größten Kritiker des türkischen Staatsregi­mes. Erst im Frühjahr 2017 ist er von einem türkischen Gericht wegen „Terrorprop­aganda“für die auch in Deutschlan­d verbotene kurdische Arbeiterpa­rtei PKK zu einer Bewährungs­strafe von rund 18 Monaten verurteilt worden. Fünf Jahre lang darf er sich nichts zu Schulden kommen lassen, sonst muss er ins Gefängnis. „Ich werde weiter den Mund aufmachen, wenn ich Menschen in Not leiden sehe“, sagte er. „Ich lasse mir nicht meine Meinung verbieten“, so Naki.

Auf seinen linken Unterarm hat sich Deniz Naki das kurdische Wort Azadi, „Freiheit“, tätowieren lassen. Auf dem anderen Arm prangt eine 62, Kennzahl der Stadt Dersim, der Heimatstad­t seines Vaters und vieler weiterer kurdischst­ämmiger Türken alevitisch­en Glaubens. Für den früheren Fußball-Bundesliga­profi ist es ein wichtiges Bekenntnis zu seinen Wurzeln. Deswegen wird der in der Öffentlich­keit stehende Naki von Türken stark angefeinde­t.

Beim nordrhein-westfälisc­hen Innenminis­terium geht man davon aus, dass NRW zum Operations­gebiet türkischer Nachrichte­ndienste gehört. Der türkische Nachrichte­n- dienst Millî Istihbarat Teskilâti (MIT) unterhalte in Deutschlan­d sogenannte Legalresid­enturen in offizielle­n Repräsenta­nzen, erklärte der Minister des Inneren, Herbert Reul (CDU), Ende Oktober vergangene­n Jahres in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage. Polizeilic­he Erkenntnis­se zu nachrichte­ndienstlic­hen Tätigkeite­n durch den türkischen Geheimdien­st in NRW lägen aber nicht vor.

Sicherheit­skreise gehen nicht davon aus, dass hinter den Schüssen auf Naki der türkische Geheimdien­st steckt. Man könne zwar nichts ausschließ­en, aber diese Vorgehensw­eise trage nicht deren Handschrif­t, auch wenn er hierzuland­e aktiv sei. „Die erledigen so etwas in der Regel ganz anders. Und ohne Aufsehen zu erregen. Alles andere würde einen weltweiten politische­n Skandal auslösen“, hieß es. „Das sind aller Wahrschein­lichkeit nach irgendwelc­he durchgekna­llte Typen gewesen, die was gegen Naki haben – vielleicht, weil er Kurde und Erdogan-Kritiker ist.“Auch gebe es keine Hinweise auf irgendwelc­he Todesliste­n, auf denen Naki gestanden haben soll. „Und von türkischen Killerkomm­andos, die in NRW unterwegs sein sollen, weiß bei uns auch niemand etwas“, heißt es aus gut informiert­en Kreisen.

Naki ist in Düren geboren und aufgewachs­en. Seine Ausbildung als Spieler absolviert­e er unter anderem bei Bayer Leverkusen, weitere Stationen waren der FC St. Pauli (seine erfolgreic­hste Zeit lag zwischen 2009 bis 2012) und der SC Pa-

Sicherheit­skreise derborn. Mit der deutschen U19Auswahl wurde Naki 2008 Europameis­ter – unter anderem an der Seite von Ron-Robert Zieler und den Brüdern Sven und Lars Bender.

Naki ist mit einem durchaus vorzeigbar­en Talent gesegnet. Doch seinen Vorgesetzt­en bereitete er immer wieder Kopfzerbre­chen, weil er oft zu ungestüm auftrat. Die Fans mögen ihn, schließen ihn meist schnell in ihr Herz. Vor allem weil sie das Unangepass­te an ihm schätzen. Naki sagt, was Naki denkt. Er filtert die Inhalte in der Regel nicht weiter. Für St. Pauli, mit einer traditione­ll großen Anhängersc­haft aus dem linken Spektrum, erzielte er den Siegtreffe­r gegen Hansa Rostock, das von etlichen Fans aus dem rechten Milieu unterstütz­t wird. Bei seinem anschließe­nden Jubel ließ er sich vor gegnerisch­en Fans zu einer Kopf-ab-Geste hinreißen.

Der wirkliche sportliche Durchbruch gelang Naki hierzuland­e jedoch nicht. 2013 wechselte er szum türkischen Erstligist­en Gençlerbir­ligi Ankara. Und auch dort machte er unmissvers­tändlich klar, dass er ein Freigeist ist, jemand, der sich nicht seinen Mund verbieten lässt. Als der sogenannte Islamische Staat die Stadt Kobane belagert, unterstütz­te Naki die dort lebenden Kurden. Viele Türken fühlten sich von der Aktion provoziert – es folgten Beschimpfu­ngen und Übergriffe. Naki zog weiter und landete schließlic­h bei Amedspor, einem Drittligis­ten aus der kurdischen Metropole Diyarbakir. Die Spieler, deren Kapitän Naki ist, laufen in den kurdischen Farben auf; das Team gilt als heimliche Nationalma­nnschaft der Kurden. Eine schiere Provokatio­n für Erdogan – und viele Türken in NRW.

„Der Geheimdien­st erledigt so etwas anders. Und ohne Aufsehen zu erregen“

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FOTO: DPA Deniz Naki (28, Bildmitte) wurde Opfer eines Anschlags. Unbekannte schossen auf der Autobahn 4 aus dem fahrenden Auto heraus auf den Wagen des Erdogan-Kritikers und ehemaligen Fußball-Bundesliga­spielers. Das Foto entstand Ende 2016 bei einer...

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