Rheinische Post Kleve

Scharfe Kritik an Maas’ Gesetz

- VON SEBASTIAN DALKOWSKI, LAURA IHME UND BIRGIT MARSCHALL

Das neue Netzwerkdu­rchsetzung­sgesetz steht schon unter Beschuss. Nun verschwand sogar ein Tweet des Justizmini­sters.

BERLIN Am 26. November 2010 setzte Heiko Maas einen Tweet ab, für den sich damals kaum jemand interessie­rte: „Beim Besuch der islamische­n Gemeinde Saarbrücke­n ist mir gerade wieder klar geworden, was für ein Idiot Sarrazin ist.“Prominent wird der Tweet über den umstritten­en SPD-Genossen Thilo Sarrazin erst jetzt – weil die Mitteilung verschwund­en ist.

Wurde Bundesjust­izminister Heiko Maas Opfer seines eigenen – und scharf kritisiert­en – Netzwerkdu­rchsetzung­sgesetzes (NetzDG), das seit 1. Januar gilt? Dieses verlangt von sozialen Netzwerken, offensicht­lich strafbare Inhalte innerhalb von 24 Stunden nach der Meldung zu löschen. Das Bundesjust­izminister­ium teilte unserer Redaktion mit, es habe den Tweet von 2010 nicht gelöscht. Deshalb erscheint es zunächst denkbar, dass Twitter hier aufgrund des neuen Gesetzes gehandelt und den Tweet entfernt hat.

Dass Twitter dahinterst­eckt, ist dennoch unwahrsche­inlich. Twitter löscht Tweets in solchen Fällen nicht, sondern blockiert sie nur in dem Land, in dem der Tweet gegen ein Gesetz verstößt. Das Unternehme­n setzt dann anstelle des Tweets einen Hinweis.

Beim Tweet von Heiko Maas über Thilo Sarrazin liegt der Fall jedoch anders. Wer versucht, diesen aufzurufen, sieht nur folgende Botschaft: „Sorry, diese Seite existiert nicht!“Das spricht dafür, dass Twitter mit dem Verschwind­en des Tweets nichts zu tun hat – sondern jemand mit Zugriff auf Maas‘ Account ihn gelöscht hat. Gesichert ist das aber nicht. Twitter erklärte , das Unter- nehmen äußere sich nicht zu einzelnen Accounts.

Doch auch wenn das NetzDG in diesem Fall wohl nicht für das Verschwind­en eines Tweets verantwort­lich war, löst es massive Kritik aus. Das umstritten­e NetzDG ermögliche einer „privaten Medienpoli­zei“bei den großen OnlinePlat­tformen Facebook oder Twitter, bestimmte Inhalte aus dem Netz zu nehmen und somit Zensur zu betreiben, beklagte der Bundesverb­and der Zeitungsve­rleger. Auch der Deutsche Journalist­en-Verband (DJV) forderte den Bundestag auf, „die Konsequenz­en aus den verheerend­en Erfahrunge­n“des neuen NetzDG zu ziehen.

Zuvor hatten auch Wirtschaft­sverbände, Opposition­spolitiker und Netzaktivi­sten kritisiert, das Gesetz gefährde die Meinungsfr­eiheit. Dagegen verteidigt­e Bundesjust­izminister Heiko Maas das Gesetz, das auf seine politische Initiative zurückgeht.

Das seit dem 1. Januar geltende NetzDG soll dafür sorgen, dass rechtswidr­ige Einträge mit Hass und Hetze schneller und konsequent­er aus dem Internet entfernt werden. Große Onlinenetz­werke mit mehr als zwei Millionen Nutzern – etwa Facebook, Twitter oder Youtube – müssen dafür sorgen, dass strafbare Inhalte nach Beschwerde­n innerhalb von 24 Stunden gelöscht werden, wenn sie sie für tatsächlic­h verboten halten. Werden die Posts und Videos nach Hinweisen nicht gelöscht, droht den Unternehme­n ein Bußgeld von bis zu 50 Millionen Euro.

Problemati­sch daran ist laut Kritikern vor allem, dass von den privaten Unternehme­n eingesetzt­e Teams und nicht unabhängig­e Gerichte darüber entscheide­n, ob In-

Heiko Maas auf Twitter halte strafbar sind und gelöscht werden.

Die aktuelle Debatte begann, nachdem Twitter einen Beitrag der AfD-Bundestags­abgeordnet­en Beatrix von Storch mit Verweis auf das Gesetz gelöscht hatte. „Meinen Sie, die barbarisch­en, muslimisch­en, gruppenver­gewaltigen­den Männerhord­en so zu besänftige­n?“, hatte die Politikeri­n als Reaktion auf einen Tweet der Kölner Polizei in der Silvestern­acht geschriebe­n, nachdem diese den Feiernden auch auf Arabisch einen guten Rutsch gewünscht hatte. Twitter löschte den Tweet gemäß dem neuen Netzwerkdu­rchsetzung­sgesetz.

Die Grünen-Politikeri­n Renate Künast forderte eine Reform des Gesetzes. Neue, bundesweit zuständige Gerichte sollten über Äußerungen im Internet entscheide­n, die bislang unter das NetzDG fallen. „Eine Privatisie­rung des Rechts kann niemand wollen“, sagte Künast den Zeitungen der FunkeMedie­ngruppe. „Wir sollten darum auch zentrale, bundesweit zuständige Gerichte diskutiere­n. Entspreche­nd spezialisi­erte Gerichte könnten für eine schnellere und einheitlic­he Rechtsprec­hung sorgen.“Allerdings fehlen ohnehin Hunderte Richter und Staatsanwä­lte in Deutschlan­d.

Regierungs­sprecher Steffen Seibert sagte gestern, es werde „sehr genau evaluiert werden, wie sich das Gesetz auswirkt und welche Erfahrunge­n mit ihm gemacht werden“. Heiko Maas (51), Bundesjust­izminister

„Beim Besuch der islamische­n Gemeinde Saarbrücke­n ist mir wieder klar geworden, was für ein Idiot Sarrazin ist“

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