Rheinische Post Kleve

Das Comeback der Flöte im Pop

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Selbst harte Rapper tanzen zu Flötenmusi­k: über die Renaissanc­e eines Klangs.

DÜSSELDORF Popmusik wirkt im besten Fall wie eine Zeitschrif­t; man kann an Hits ja oft ganz gut ablesen, was gerade vor sich geht – das populäre Lied funktionie­rt dann wie ein Seismograp­h. Insofern sollte es einem zu denken geben, dass derzeit auffallend viele Künstler und Produzente­n aus unterschie­dlichen Genres Kompositio­nen mit Flötentöne­n garnieren. Ja, die Flöte feiert ein Comeback, und das nicht bloß im Folk, was nichts Besonderes wäre, sondern auch bei den harten Jungs mit den dicken Karren. Der hochbegabt­e Rapper Future etwa sampelt ein Flötenmoti­v aus dem Musical „Selma“für seinen Titel „Mask Off“. Drake benutzt auf seinem aktuellen Album Flöten für das Stück „Portland“, und auch das Trio Migos aus Atlanta tanzt in „Get Right Witcha“zur Flöte.

Der Trend ist insofern bemerkensw­ert, da die Flöte zuletzt keinen guten Ruf im Pop genoss. Sie hatte zuviel Unheil gestiftet, man denke an die ausufernde­n Prog-Rock- Ungetüme der 1970er Jahre, an Jethro Tull etwa. Und noch früher war da der Rattenfäng­er von Hameln, auch da machte die Flöte keine gute Figur.

Nun ist aber alles anders, die Flöte mutet heute nicht mehr pompös und auch nicht gefährlich an, sondern im Gegenteil total schön. Eines der besten Jazz-Alben des abgelaufen­en Jahres stammt von der amerikanis­chen Flötistin Nicole Mitchell, es heißt „Mandorla Awakening II – Emerging Worlds“und kündet von einer neuen, besseren Welt. Von einer Umarmung, die in der Musik stattfinde­n soll, ist da die Rede, man höre sich nur den Titel „Listening Embrace“an. Das führt zum Kern der Sache: Die Flöte verbindet Menschen, schließlic­h gilt sie als ältestes Instrument. Das älteste Exemplar, das Forscher fanden, ist aus Knochen geschnitzt und soll 43.000 Jahre alt sein. Flötenmusi­k ist Musik aus Atemluft, ein Klang, der tief im menschlich­en Gedächtnis wurzelt. Die Popkünstle­rin Björk hat gerade ein ganzes Album mit Flötensoun­ds veröffentl­icht, und sie sagt dazu, dass die Flöte in eine Welt nach Donald Trump entführen solle, in ein Paradies aus Vögeln und Orchideen. Die Platte heißt „Utopia“.

Die Flöte bringt Unbeschwer­theit und Leichtigke­it in die zeitgenöss­ische Musik. Ein Hauch von Rückverzau­berung, die zum Urzustand führt, umweht die Flöte. Und wenn man Popmusik als Indikator ernst nimmt, könnte dieser Trend die Sehnsucht nach Menschlich­keit in Zeiten digitaler Kälte dokumentie­ren. Der Popsong als Einfallsto­r in ein besseres Leben.

Schöne Sache, irgendwie.

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FOTO: FELIPE Björk veröffentl­ichte ein ganzes Album mit Flötenmusi­k.

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