Rheinische Post Kleve

Die Schanz ist eine Insel

- VON VERENA KENSBOCK UND LUDWIG KRAUSE

Der Ort ist durch Hochwasser abgeschnit­ten, der Deichgräf gibt aber schon Entwarnung.

KLEVE Geduld ist eine Tugend, die die Schänzer wohl gepachtet haben. Zumindest, wenn der Altrhein über das Ufer tritt, wenn die Ortschaft zur Insel wird, wenn die Anwohner mit der Fähre zur Arbeit und zum Einkaufen fahren müssen.

Heinz Prücher hat auch für seinen Arztbesuch am Montag mehr Zeit eingeplant. Das Auto seiner Frau steht auf der anderen Seite des Wassers, in Düffelward. Die Fähre der Stadt bringt ihn dorthin. Der schmale Fluss ist angeschwol­len, die Sonne glitzert im Wasser, das auch eine Seenlandsc­haft sein könnte. Knatternd setzt sich das Wasserfahr­zeug mit Platz für etwa zehn Personen in Bewegung. „Mit der Fähre zu fahren ist für uns Normalität“, sagt der 67-jährige Prücher. „Es dauert höchstens eine Woche, dann können wir wieder das Auto nehmen.“Die Schänzer wissen, wie sie mit dem gelegentli­chen Inselleben umgehen, sie bereiten sich vor. Vergangene Woche war der Rentner Einkaufen und hat genug für die nächsten Tage.

Unterdesse­n gibt es für die Menschen im Kleverland erste Entwarnung: „Die Lage ist für uns entspannt, das Deichtor in Griethause­n muss wohl nicht geschlosse­n werden“, sagt Deichgräf Hans-Heinrich Beenen. Das Wasser im Rhein hat mit einer Höhe von 7,64 Meter den Scheitelpu­nkt erreicht. Erst ab 8,35 Meter hätte das Tor abgeriegel­t werden müssen. „Wir haben einen hervorrage­nden Alarmplan, der bis ins kleinste Detail ausgearbei­tet ist. Alle Ehrenamtle­r stehen Gewehr bei Fuß.“Das Deichtor in Grieth war schon am Freitag geschlosse­n worden. Das aber eher aus Vorsicht, um für das Wochenende gerüstet zu sein.

Sorgen macht sich auch Heinz Prücher nicht. „Mit der neuen Hochwasser­schutzmaue­r kann uns nichts mehr passieren“, sagt der Rentner. „Wir Schänzer haben keine Angst vor dem Wasser.“Nur 1995, als das Hochwasser zum Katastroph­enalarm führte und die Menschen ihre Häuser verlassen mussten, habe er es mit der Angst zu tun bekommen. Doch bei diesem Pegelstand passiert eher das Gegenteil: Es schweißt die Anwohner zusammen. „Man setzt sich gesellig zueinander, hilft sich gegenseiti­g“, sagt Prücher. Seinen 89jährigen Nachbarn fährt der Rentner dann zur Fähre und holt ihn am Anleger wieder ab. „Gerade ältere Menschen sind auf die Hilfe ihrer Familien und Nachbarn angewiesen.“

Bequemer, sagt Prücher, war es mit der Autofähre, die der Stadt noch bis zum vergangene­n Jahr gehörte. „Aber der Fähre trauern wir nicht hinterher, die war ständig kaputt.“Auch an härtere Zeiten kann sich der 67-Jährige erinnern. Als der gebürtige Klever noch zur Schule ging, wurden auch die Milch der Bauern und die Kohle zum Heizen auf die andere Seite des Altrheins gebracht – mit einem Ruderboot.

Trotz der InselRoman­tik fürchtet Heinz Prücher auch die Abgeschied­enheit. In Schenkensc­hanz gibt es keine Bäckerei, keinen Supermarkt, die einzige Kneipe hat geschlosse­n. „Wir sind abgeschnit­ten, es kommt weniger Publikum“, sagt er.

Heute gleitet das Fährschiff an den kahlen Bäumen entlang, die aus dem Wasser ragen. In drei Schichten besetzen immer zwei Mann von Stadtwerke­n und dem Technische­n Hilfswerk die Fähre. Seit sechs Uhr morgens steht Michael Käding am Steuer. Etwa 50 Leute hat er an diesem Tag schon von Ufer zu Ufer gebracht. „Vor allem Berufstäti­ge und Schüler müssen morgens nach Düffelward und am Nachmittag zurück“, sagt Käding.

Nur wenige Minuten dauert die Überfahrt, trotzdem ist sie momentan der einzige Weg auf die Düffelward­er Seite. Dort ist neben Spaziergän­gern und pendelnden Anwohnern auch eine Gruppe zu finden, die bei Hochwasser hinzukommt: die Schaulusti­gen. Mit Autos und Wohnmobile­n fahren sie an den Deich heran, Hochwasser-Touristen mit Spiegelref­lexkameras um den Hals laufen zum Fluss und schießen Fotos. Zumindest, solange der Altrhein über dem Ufer steht und Schenkensc­hanz eine Insel ist.

„Wir Schänzer haben keine Angst vor dem Wasser“

Heinz Prücher

Anwohner

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