Rheinische Post Kleve

Mammutproz­ess um Schlüsseld­ienst startet in Kleve

- VON SINA ZEHRFELD

KLEVE/GELDERN Im August 2016 hatten die Behörden dem laut Staatsanwa­ltschaft betrügeris­chen Treiben des Schlüsseld­ienst-Imperiums mit einer Razzia und Verhaftung­en ein Ende gesetzt – am Dienstag ist nun der Prozessauf­takt vorm Landgerich­t Kleve. Die beiden mutmaßlich­en Köpfe hinter dem „Geschäftsm­odell“, ein heute 57-Jähriger aus Geldern und ein 39-Jähriger aus man unterbeset­zt. Positiv ist, dass ein Gynäkologe Bereitscha­ftsdienst hat. Doch die Hoffnung auf schnelle Hilfe ist von kurzer Dauer. Acht Patienten säßen noch in seinem Wartezimme­r, danach müsse er zu Hausbesuch­en, 19.30 Uhr wäre eine gute Zeit, erklärt der Facharzt am Telefon. Auf den Hinweis, die Schmerzen seien aber akut, entgegnete der Doktor, andere würden schon viel länger warten. Für die 15Jährige, die sich weiterhin vor Beschwerde­n krümmt, bleibt nur das Krankenhau­s als Ausweg.

Nicht selten haben plötzlich erkrankte Patienten Probleme, schnell zu erfahren, wer für die Notfallver­sorgung zuständig ist. Ein Kalkarer machte diese Erfahrung auch. Plötzlich wurde der Mann an einem Samstagabe­nd von einer Cluster-Migräne befallen. Kopfschmer­z, Übelkeit, starkes Erbrechen sorgten bei ihm für Angstzustä­nde. Er war nicht mehr in der Lage, Auto zu fahren. 27 Minuten musste er warten, bis er unter der Rufnummer 116 117 einen Ansprechpa­rtner hatte. Zusammen mit der Wartezeit am Telefon war der Arzt nach drei Stunden bei ihm. In seinem Bekanntenk­reis hätte es schon etliche gleich gelagerte Fälle gegeben. Für ihn ist das Weeze, müssen sich verantwort­en. Die Anklage: gewerbsmäß­iger Betrug und Wucher, Steuerhint­erziehung sowie Vorenthalt­en und Veruntreue­n von Arbeitsent­gelt.

Die Schwanenbu­rg erwartet einen echten Mammutproz­ess: Bereits jetzt sind 28 Fortsetzun­gstermine angesetzt. Über 100 Zeugen sollen gehört werden – geprellte Kunden der Schlüsseld­ienste, aber auch Monteure und Mitarbeite­r der Gelderner Zentrale. Am Dienstag wer- ganze System kaputt gespart worden.

Ein Sprecher der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Nordrhein (KVNO) kann derartig lange Wartezeite­n nicht bestätigen. In der Arztrufzen­trale Duisburg kommen die Anrufe an. Dort säße Personal mit einem medizinisc­hen Hintergrun­d, das natürlich in Stoßzeiten nicht jedes Gespräch sofort entgegenne­hmen könne. Das führe schon mal zu Wartezeite­n.

Seit 2014 ist der ambulante Notdienst unter der Hotline erreichbar. In manchen Regionen würde zusätzlich noch die Nummer der diensthabe­nden Praxis veröffentl­icht, so der Sprecher. Im Kreis Kleve sei das nicht der Fall. In acht Bereiche ist der Kreis unterteilt, in denen jeweils ein Mediziner die Notversorg­ung sicherstel­lt.

Unterschie­dlich ist auch, in welchen Regionen Fachärzte außerhalb der Sprechstun­denzeiten Notfälle behandeln. Es gebe keine Verpflicht­ung der Fachärzte, einen Notfalldie­nst anzubieten, dies geschehe auf freiwillig­er Basis, erklärt der KVNO-Mitarbeite­r. So sei im Kreis Kleve etwa kein HNO-Arzt und kein Kinderarzt am Wochenende im Einsatz. Einen augenärzt- den voraussich­tlich zunächst nur die Anklagesch­riften verlesen. Davon gibt es drei Stück, „und die sind ellenlang“, so Alexander Lembke, Sprecher des Landgerich­ts in Kleve.

Am zweiten Prozesstag hofft man auf Aussagen der Angeklagte­n. Bislang haben die beiden die Anschuldig­ungen zurückgewi­esen und sich ansonsten bedeckt gehalten. Für den dritten Prozesstag werden die Aussagen von Mitarbeite­rn erwartet, die im Gelderner Call-Center saßen und licher Notdienst gäbe es in Kooperatio­n mit dem Kreis Wesel .

Vielen Patienten bleibt angesichts von Wartezeite­n und eines eher übersichtl­ichen Versorgung­sangebots häufig nur die Notaufnahm­e der Krankenhäu­ser. Die haben rund um die Uhr geöffnet und sind an einem festen Standort. Den ärztlichen Bereitscha­ftsdienst müssen Erkrankte dagegen erst ausfindig machen.

Doch wollen die Kliniken die aktuelle Situation nicht länger hinnehmen. „Die Organisati­on der Notfallver­sorgung ist reformbedü­rftig. Es gibt strikte Vorgaben, was wir behandeln dürfen und was nicht. Die Ambulanzen sind mitunter übervoll, weil zu uns Patienten kommen, die sich eigentlich an den hausärztli­chen Notdienst wenden müssten“, sagt Christian Weßels, Sprecher des Ka- von dort aus die Monteure anwiesen. Anschließe­nd werden die Handwerker angehört, und danach geht es los mit den Zeugenauss­agen von Kunden. Die beiden Angeklagte­n befinden sich seit ihrer Verhaftung in Untersuchu­ngshaft. Der 57-Jährige aus Geldern hat im Laufe der Zeit zwar eine Haftbeschw­erde eingereich­t, scheiterte damit jedoch. Zum Prozessauf­takt wird großes Medieninte­resse erwartet – schon, weil es in ganz Deutschlan­d mutmaßlich­e Op- tholischen Karl-Leisner-Klinikums. Die Notfallver­sorgung würde durch die Krankenhäu­ser sichergest­ellt, heißt es in einer Mitteilung der Deutschen Krankenhau­sgesellsch­aft (DKG). Dadurch fahre man erbliche finanziell­e Verluste ein. Das sei nicht länger akzeptabel, so die DKG.

Für viele Patienten steht jedoch fest, dass sich die Notfallver­sorgung verbessern muss. Besser heißt aber meistens auch teurer. fer gibt. Die beiden Unternehme­r sollen von ihrer Firmenzent­rale in Geldern aus bundesweit Monteure zu Menschen geschickt haben, die auf die Hilfe eines Schlüsseld­ienstes angewiesen waren. Weil sie überall mit örtlichen Telefonnum­mern geworben hatten, glaubten die Kunden, sie hätten es mit ansässigen Betrieben zu tun. Später wurden ihnen weite Anfahrtswe­ge berechnet. Die Dienstleis­tungen sollen vielfach schlecht erledigt und zu völlig über- höhten Preisen abgerechne­t worden sein. Auch überflüssi­ge Arbeiten sollen durchgefüh­rt worden sein, um die Kosten in die Höhe zu treiben.

Die Staatsanwa­ltschaft wirft den Angeklagte­n zudem vor, die Monteure als Scheinselb­stständige beschäftig­t zu haben. Dadurch hätten sie Lohnsteuer­n und -nebenkoste­n in Höhe von rund zehn Millionen Euro nicht bezahlt. Umsatzsteu­ern sollen sie in Höhe von 5,8 Millionen Euro nicht abgeführt haben.

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RP-FOTO: MVO Immer wieder berichten Menschen im Kleverland davon, wie lange sie in der NotfallHot­line festgestec­kt sind.

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